Bachmann-Preis

Eine weinende Jurorin beim Wettlesen in Klagenfurt

„Kolossal gut“: Der Text „Er putzt“ der studierten Mathematikerin Valeria Gordeev.
„Kolossal gut“: Der Text „Er putzt“ der studierten Mathematikerin Valeria Gordeev.Apa/GERD EGGENBERGER
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Der erste Lesetag in Klagenfurt brachte die gründlichste Abflussreinigung der Literatur, einen schwangeren Trans-Mann und eine erste Favoritin: die Deutsche Valeria Gordeev.

Den Preis für den unterhaltsamsten Vortrag hätte er am Donnerstag jedenfalls gewonnen, auch für die unterhaltsamsten Sätze (die Preise gibt es halt nicht): Jayrome C. Robinet, der als Französin aufwuchs und in Deutschland zum Trans-Mann wurde, hat sich mit dem Buch „Mein Weg von einer weißen Frau zu einem jungen Mann mit Migrationshintergrund“ einen Namen gemacht. In Klagenfurt hat der über Performance Poetry promovierende Autor nun bewiesen, dass er nicht nur ein Performance-Kenner, sondern auch -Könner ist.

In seinem offenbar autofiktionalen Text „Sonne in Scherben“ wird vom kindlichen, sehr synästhetischen Erleben eines Familienlebens erzählt: „Als ich ein Kind war, dachte ich, Mozzarella sei ein Stück von Mozart. Mozartella. Ein Menuett.“ Die Eltern sind da „Polentakörper“, und der Papa, der gut gelaunte Super-Handwerker-Held, dessen „principessa“ das Kind ist, singt „La vie en rose“ und selbst erfundenen „Quatsch“.

Ein Trans-Mann wird schwanger

Kontrapunktiert wird die Idylle von einer Familientragödie, und der zurückblickende Ich-Erzähler erzählt auch von seiner jüngeren Vergangenheit: wie er sich in Angèle verliebte und einen Sohn zur Welt brachte – er, der Trans-Mann. Man hätte den Text auch „Sonne trotz Scherben“ nennen können, so viel Positivität versprüht er, allerdings klingt das ab und zu wie in einem Motivationsseminar („manchmal stehst du da im Regen, wie der letzte Depp, bist klatschnass und dreckig und die Welt ist herrlich)“.

Sprachlich war der Text erfrischend kreativ, punktete mit Sätzen wie „Ich habe einen Vagina mit Variationshintergrund“ und brachte in der Jury sogar jemanden zum Weinen – nämlich jene Neo-Jurorin, die Robinet eingeladen hatte: Die deutsche Autorin Mithu Sanyal, entschuldigte sich deswegen „bei der Maske“. Auch von der übrigen Jury wurde „Sonne in Scherben“ trotz Einschränkungen – etwas zu konventionell, etwas inhomogen – kräftig gelobt. Und doch, sein Sieg wäre vielleicht doch mehr ein Sieg der Sympathie als der Literatur.

Nach dem schwangeren Trans-Mann der schwere Allergiker im Text „Verwechslung“ des Deutschen Andreas Stichmann: Dieser Autor ist ein Vielreisender, aus einer Nordkoreareise entwickelte er seinen ausgezeichneten Roman „Eine Liebe in Pjöngjang“, der es 2022 auf die Longlist des Deutschen Buchpreises schaffte. In Klagenfurt nun ging es um einen älteren, schwer an Nesselsucht leidenden Mann, der in der Klinik versucht, sich auf das, was in seinem Leben passiert ist einen Reim zu machen (unter anderem die Trennung von seiner Frau). Nicht ganz leicht für einen Mann, dessen Realität die ist, „dass ich überhaupt immer danebenliege!“ Und so kann man sich auch nicht sicher sein, ob der Pfleger, den er antrifft, tatsächlich der Schläger Pepe aus seiner Jugendzeit ist, wie er glaubt. Aber gerade aus dieser verirrten Wahrnehmung bezieht der Text Witz. Die Jury war sich über die literarische große Gekonntheit weitgehend einig, Klaus Kastberger fand es freilich gerade in seiner „zu risikolosen“ Perfektheit eher durchschnittlich.

Gordeev, Tochter von Sowjetemigranten

Der nächste Mann am Donnerstag war ein Ordnungsversessener. Man erlebte ihn bei der übergründlichen, mit vielen Putzmitteln vorgenommenen Reinigung der Wohnung, in der Mutter und Schwester noch leben – vielleicht noch nie in der Literatur wurde eine Abflussreinigung so minutiös beschrieben wie hier, von Valeria Gordeev, deutsche Tochter sowjetischer Emigranten. „Er putzt“ heißt dieser Text, er war der erste in diesem Wettbewerb, der literarisch die ganze Jury begeisterte: „kolossal gut“, „hoch interessant“, „in keiner Sekunde langweilig“, eine weite Welt öffnend . . . Fast ebenso einhellig negativ waren zum Schluss die Reaktionen auf „Eves Sommer“ von Anna Gien.

Am Mittwoch Abend hatte die ukrainische, seit 2011 in Österreich lebende Schriftstellerin Tanja Maljartschuk die traditionelle Klagenfurter Rede zur Literatur gehalten, in der sie sehr persönlich den Sinn von Literatur in Zeiten des Krieges in Frage stellte: Sie sei eine „gebrochene“, eine „ehemalige“ Autorin.

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