Urologe Kadir Tosun in seiner Ordination im ersten Wiener Gemeindebezirk.
Gesundheit

Urologie – das Fach der Mythen und Missverständnisse

Sie gehört zu jenen medizinischen Fächern, die seit jeher mit den größten Irrtümern behaftet sind. Betroffen sind nicht nur Männer – rund 20 Prozent der Patienten von Urologen sind Frauen.

Während der Pubertät, so lautet ein beliebter Spruch unter Urologen, ist das Gehirn von Burschen und Mädchen wegen Umbauarbeiten geschlossen. Gemeint sind mit diesem gewagten, aber durchaus treffenden Vergleich weitreichende chemische und strukturelle Veränderungen im Gehirn von Teenagern, die zu schwer kontrollierbaren Emotionen führen können. Ein vorübergehender Zustand, in dem Entscheidungen bekanntlich nicht immer auf Basis von Vernunft und Weitsicht getroffen werden.

Um den Übergang vom Kindes- ins Erwachsenenalter insbesondere bei Burschen zu verdeutlichen, bemüht Kadir Tosun gern eine weitere Metapher. „Es ist fast so, als würdest du jemanden, der in den vergangenen Jahren auf einem Pony geritten ist, plötzlich auf einen wilden Hengst setzen“, sagt der Facharzt für Urologie und Andrologie. Andrologie heißt so viel wie Männergesundheit. „Genau in dieser sensiblen Phase des massiven Testosteronanstiegs sind die meisten Jugendlichen auf sich gestellt, haben häufig keine qualifizierten Ansprechpartner, um über die vielen Fragen zu reden, die ihnen im Kopf herumschwirren. Denn während Mädchen in die Obhut von Gynäkologen übergeben werden, sobald sie in die Pubertät kommen, müssen Burschen mit den Veränderungen ihres Körpers und Anliegen rund um Sexualität und Geschlechteridentität selbst klarkommen.“

Bedarf nach verlässlicher Information

Wie groß in diesem Alter das Bedürfnis nach verlässlichen Informationen ist, zeigen die Zugriffszahlen auf Tosuns Aufklärungsvideos auf Instagram und TikTok, die Hunderttausende Male angeklickt werden. „Über diese Plattformen erreiche ich Jugendliche am besten“, sagt Tosun. „Angebote wie meine müsste es viel mehr geben, damit das breite gesundheitliche Feld der Urologie enttabuisiert wird.“

Wenn etwa sein 14-jähriger Sohn in der Schule offen über die Tätigkeit seines Vaters spreche, würden seine Lehrer und Schulkollegen diese Selbstverständlichkeit als etwas Ungewöhnliches empfinden. „Aber im positiven Sinn“, so Tosun. „Sie sind überrascht, dass er keine Berührungsängste hat. So sollte es ja auch sein.“ Tatsächlich sei das Schamgefühl in Zusammenhang mit urologischen Beschwerden nach wie vor weit verbreitet. So komme es immer wieder vor, dass er von seinen Patienten nicht gegrüßt werde, wenn diese in Begleitung seien und ihm irgendwo begegneten. „Einem Augenarzt passiert das sicher nicht“, sagt Tosun. „Was bedauerlich ist und unserer aufgeklärten Gesellschaft nicht zur Ehre gereicht. Die Medien tragen hier ebenso Verantwortung wie die Politik.“

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