Kolumne

Wie „heilig“ ist Putin das Höhlenkloster in Kiew?

Ein zentraler religiöser Ort auch für die russische Orthodoxie: Das Kiewer Höhlenkloster am Fluss Dnepr.
Ein zentraler religiöser Ort auch für die russische Orthodoxie: Das Kiewer Höhlenkloster am Fluss Dnepr.imago stock&people
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Am symbolträchtigen Ort eskaliert der Konflikt zwischen prorussischen Kirchenanhängern und der ukrainischen Regierung.

Was würde wohl der berühmte Mönch Nestor über das denken, was derzeit im Höhlenkloster von Kiew passiert? Er hat jedenfalls auf diesem Gelände Schlimmeres erlebt, 1096, als Turk-Krieger es verwüstet haben. Jetzt gibt es zumindest an diesem ukrainischen Ort keine offene Gewalt, aber einen erbitterten Konflikt von Geistlichen und Gläubigen mit der ukrainischen Regierung. Zuletzt kamen Vertreter der ukrainischen Behörden, ihnen wurde der Zutritt verwehrt.

Hintergrund ist, dass sich die ukrainisch-orthodoxe Kirche zwar 2022 aus dem Moskauer Patriarchat gelöst hat, viele Bischöfe und Priester aber prorussisch gesinnt sind. Als Reaktion darauf hat die ukrainische Regierung den Nutzungsvertrag für ungültig erklärt.

Der vor 910 Jahren hier verstorbene Nestor von Kiew würde von alledem nichts verstehen. Trotzdem hat er etwas damit zu tun. Das Gebiet der heutigen Ukraine wäre nicht so mit russischer Symbolik aufgeladen ohne seine Anfang des zwölften Jahrhunderts entstandene berühmte Chronik: die „Powest wremennych let“, die „Erzählung der vergangenen Jahre“, heute als „Nestorchronik“ bekannt. Sie verspricht gleich am Anfang: „Hier ist die Geschichte der vergangenen Jahre, wie das russische Land zum Entstehen kam.“ Hier liegt auch die Wurzel für den Mythos von der Kiewer Rus als Ursprung Russlands. Die symbolische Bedeutung des Kiewer Höhlenklosters für die russisch-orthodoxe Kirche kann ebenfalls kaum überschätzt werden. „Lawra“ nennen sich die großen orthodoxen Männerklöster mit besonderer historischer Bedeutung. Auf russischem Staatsgebiet haben von den rund 800 Klöstern überhaupt nur zwei diesen Rang.

Und da der russische Patriarch Kyrill, Putins mächtiger ideologischer Verbündeter, religiöse mit nationaler Identität gleichsetzt, ist denn auch in seinen Augen das Höhlenkloster „Ursprung der gesamten geistlichen Mönchs­tradition der Völker Russlands, der Ukraine und Belarus“ und „unserer nationalen Kultur“. In Kyrills und Putins Augen kein Widerspruch. Aber auch Deutsche haben das Höhlenkloster geprägt. Der Architekt Johann Gottfried Schädel, der auch in Sankt Petersburg und an Kreml-Bauten seine Spuren hinterlassen hat, hat 1751 den Glockenturm geplant, der zu den größten orthodoxen weltweit gehört und der architektonische Mittelpunkt des Klosterkomplexes wurde. Knapp 200 Jahre später wurde 1941 unter den deutschen Besatzern die Mariä-Himmelfahrt-Kathedrale gesprengt, die jahrhundertelang der wichtigste altrussische Sakralbau war.

Im Verständnis des noch amtierenden russischen Staatspräsidenten ist das Höhlenkloster heiliges Terrain. Aber selbst dieses ist wohl vor ihm nicht sicher, solang er noch das russische Szepter zu halten imstande ist. Oder vielleicht erst recht, wenn ihm klar wird, dass es ihm entgleitet.

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