Leandro Erlichs „Swimming Pool“ lässt sich von oben und unten betrachten.
Reise in die Niederlande

Kannst du deinen Augen trauen?

Es leben die Täuschung und das Wunderbare: Den Haag feiert den 125. Geburtstag von Maurits Cornelis Escher.

Man geht und geht und findet kein Ende. Wir bewegen uns im Inneren eines Stahlkolosses. 216 Tonnen stehen hier, gebaut als vier Meter hohe Wände. Massiv und doch leicht beschwingt. Wieder eine Kehre, und weiter geht es im Stahl, ohne den Ausgang zu kennen. Der begehbare Koloss ist ein Kunstwerk, Industrial Art, mit viel Grips gemacht. Was ist innen, was außen? Der US-Bildhauer Richard Serra parkte das Schwergewicht namens „Open Ended“ bei Den Haag ein. Die lichtdurchfluteten Säle im Museum für moderne und zeitgenössische Kunst Voorlinden waren der monumentalen Installation gewachsen. Macht das rostbraune Gebilde von außen einen überschaubaren Eindruck, weitet es sich innen, scheint sich zu dehnen und aufzugehen wie ein Germteig, was physikalisch doch unmöglich ist. Entlang der Stahlwandkurven geht es weiter. Das Ende ist offen.

Spiel mit Perspektiven

Das Spiel mit den Perspektiven ist für Voorlinden ganz charakteristisch. Leandro Erlichs „Swimming Pool“ lässt sich von oben und unten betrachten, die realitätsgetreuen Fahrstühle von Maurizio Cattelan sind nicht grösser als ein Unterarm und die sonnenden Senioren, hyperrealistisch bis zum Leberfleck modelliert, sind von Ron Mueck als Giganten auf doppelte Menschengröße angelegt. Maarten Baas wiederum setzt die Zeit auf „relativ“ – und putzt munter auf der Bahnhofsuhr von Londons Paddington Station die Zeiger weg. Die Kunst zeigt Desorientierung und Perspektivenwechsel bis zur Realitätsbiegung mit klugem Humor. Dann macht es „bing“, die kleinen Fahrstuhltüren gleiten auf, und man erwartet eine Maus, die hinausschlüpft. Man könnte ewig zuschauen.

Doch da liegen noch die vielen Tiger von Ai Weiwei aus der aktuellen Sonderausstellung „This Far And Further“, formen 500.000 Angelhaken ein Meer und führt die Installation „Through the Wall“ in ein Riesenkabinett voller Spiegel, zur Beschau der eigenen Realität und ihrer Illusion.

Da kommt ein bekannter Name ins Spiel, ein Meister der perspektivischen Paradoxa, Maurits Cornelis Escher. In seinen Zeichnungen steigen Treppen ins Unendliche und fließt Wasser bergauf. Hände zeichnen sich gegenseitig und Metamorphosen finden kein Ende: Fliegen werden zu Vögeln zu Fischen und kreisen immerfort. Dem Niederländer wurde bereits 2002 mit der größten Sammlung im Escher in het Paleis ein museales Denkmal gesetzt. Nun startet Den Haag diesen Sommer ins große Escher-Jahr, zum 125. Geburtstag des Mannes, der über seinen Tod hinaus wie ein Popstar gewürdigt wird – für seine unmöglichen Werke der möglichen Täuschungen.

Der Winterpalast von Königinmutter Emma zeigt die Ausstellung „The Man who discovered Escher“, gewidmet Eschers Lehrmeister, Samuel Jessurun de Mesquita. Gleich ums Eck macht das Museum Bredius in einer weiteren Ausstellung auf optische Täuschungen lang vor Escher aufmerksam, mit feinen Schätzen, Gemälden aus dem 17. Jahrhundert, einer Anamorphose und diversen Trompe-l’œils. „Escher steht in einer langen Tradition von Künstlern, die von Perspektiven und optischen Täuschungen fasziniert waren“, erzählt Kurator Willem Jan Hoogsteder, ein Kunstexperte für niederländische und flämische Meister, und öffnet das Highlight, eine Perspektivbox aus dem 17. Jahrhundert, die einzige der Niederlande von sechs auf der ganzen Welt.

Im Gemeentemuseum, Den Haags großem Kunstmuseum in der Stadhouderslaan, wird für die neue Ausstellung „Escher – Other World“ eine Auswahl berühmter Drucke mit Raum-Installationen des belgischen Künstlerduos Gijs Van Vaerenbergh in Szene gesetzt. Hier, in der anderen Welt, wartet schon Remco Dörr. Als gebürtiger Den Haager und Stadtführer hat er nicht nur ein Faible für Kunst, sondern auch für sein Fiets. Das steht angeleint vor dem Kunstmuseum. Daneben warten noch twee Fietsen, leuchtend in blau und gelb. Also aufgesattelt! Die Schultern gerade und in seiner Sakkojacke vornehm aufrecht sitzend, radelt Remco entschlossen voran, vorbei am Europol-Komplex weiter auf der Eisenhowerlaan. Im Van Stolkweg hält er. Auf der Fassade des Liberal-Christian Lyceum prangt ein großes M.-C.-Escher-Mosaik mit geflügelten Pferden. „Das Werk kennen nicht viele, nicht einmal die Hagenaar“, freut sich Remco, einen Geheimtipp vorzeigen zu können. „Als das alte Gebäude abgerissen wurde, hat man das Mosaik gesichert und nach dem Wiederaufbau neu angebracht.“

Villen auf Sand gebaut

Rundherum liegen beeindruckende Villen. Hier im Westen wurden die Häuser früher auf die Nordseedünen gesetzt. Ein reiches Pflaster – ganz auf Sand gebaut! „Ja ja, kommt man vom Sand, ist man ein Hagenaar; kommt man vom Tief, ist man ein Hagenees“, lacht Remco. Das Tief, das meint die einstigen Sumpfgebiete und verläuft da unten, von der Mitte der Stadt gen Osten. „Na ja, eigentlich sind wir keine Stadt, sondern ein großes Dorf.“ Einst ein Jagdsitz der Grafen von Holland, wurde Den Haag kommunalrechtlich nie zur Stadt, man hatte im Mittelalter die Ernennung wohl verschlafen. Heute ist das große Dorf immerhin Parlaments- und Regierungssitz, Sitz des Internationalen Gerichtshofs, des Internationalen Strafgerichtshofs und von 120 Botschaften. „Und das Beste: Wir liegen direkt am Meer!“ Keine fünf Minuten braucht es ab hier bis zum Strand. Der Stadtteil Scheveningen öffnet sich mit einer langen Promenade zur Nordsee. An einem Ende ragt das Riesenrad bei der Seebrücke De Pier auf, am anderen Ende markiert der Tower des neu eröffneten Den Haag Marina Beach Hotels am Hafen die schön angelegte Flaniermeile mit top ausgebauten Radwegen. Mittig vor dem Leuchtturm wurde das De Waterreus auf Sand gesetzt – als eines der angesagten Restaurants der Region. Die Küche zeigt ihre Kunst mit frischem Seafood und kreativer Kulinarik aus Indonesien, von Gambas Aioli bis Balinese Chicken. Und der Grüne Veltliner aus Langenlois sorgt bei österreichischen Gästen für überraschte Gesichter. Ob High Heels oder Flip-Flops, Hemd oder Neopren-Shorts, alles geht: Das Ambiente ist gehoben und zugleich lässig, genau wie die coolen Surfer und Kitesurfer, die vor den Lounge Chairs über die Wellen toben. Da steigt gerade ein sonnengelbes Kite-Segel auf – und hinein in den blauen, wolkenlosen Himmel.

Klingelstreich bei Königs

„Wollt ihr sehen, wie es hier vor 150 Jahren ausgesehen hat?“, steigt Remco wieder auf sein Fiets. „Dann mir nach, den Scheveningseweg entlang bis in die Zeestraat!“ Im Museum Mesdag ist ein imposantes, rundumführendes Panorama installiert: Hendrik Willem Mesdag malte den Strand von Scheveningen von 1881, mit den Dünen voller Fischerboote. Weiter geht die ungewöhnliche Fahrradtour durch Den Haag. In der Molenstraat öffnet Remco die Türen des Park Centraal zu einem Treppenhaus, das aussieht wie aus einer Escher-Zeichnung ins Reale übertragen.

Einmal ums Eck geradelt, steht am Ende der Molenstraat 27 ein hoher Zaun. Dahinter erhebt sich der Königliche Palast Noordeinde, Amtssitz der niederländischen Monarchie. „Ich klingel mal kurz beim König“, drückt Remco schon auf den Knopf „Hier bellen“, „vielleicht ist er gerade in seinem Büro.“ Ein holländischer Klingelstreich, und Remco will testen, wie schnell wir davonradeln können? Zu spät, da macht jemand auf. Wir haben bei der Koninklijke Marechaussee angeläutet, den für das Königshaus zuständigen Niederländischen Streitkräften. Gegründet 1814 von König Wilhelm I. sichert die Militärpolizei auch bei offiziellen Staatsbesuchen. Die Touristen auf den blitzblau-gelben Fietsen sehen nicht nach Staatsbesuch aus, dürfen aber passieren und den königlichen Park beschauen. Remco feixt: „Und jetzt noch zum Rathaus!“ – „Aber nur, wenn Escher da Bürgermeister ist“, parieren wir den Hagenaarer Humor.

Auf der Fassade des Gemeindeamt prangen Grafiken in XL, dem Stil Eschers folgend. Nebenan, beim Nachbarn, stellen wir die Räder ab: Das Amare wurde als größtes Kulturgebäude der Niederlande eröffnet, ist CO2-frei, nutzt Regenwasser, hat Sonnenkollektoren und 50 integrierte Vogelnistkästen, „und nicht zu vergessen 28 eingebaute Fledermausverstecke“, lacht Remco noch einmal herzlich und winkt vom Fiets zum Abschied.

Escher in Den Haag

Escher in het Palais: „The Man who discovered Escher”, bis 1. 10. „Just Like Escher”, 3. 11.–23. 3. 2024, www.escherinhetpaleis.nl
Kunstmuseum: „Escher – Other World“, bis 10. 9., www.kunstmuseum.nl.

Museum Bredius: „Gezichtsbedrog lang voor Escher“, bis 31. 9., www.en.museumbredius.nl.

Voorlinden: „This far and further“ (u. a. Man Ray, Ai Weiwei). Besonderheit: „Silent on Socks“-Touren: Auf Socken, ohne Handy durchs Museum. www.voorlinden.nl.

Kulinarik am Strand: De Waterreus, zentral gelegen, an Promenade und Strand, für Snacks, Kaffee und Cocktails, Lunch und Abendessen. www.waterreus.nl.

Den Haag Marina Beach: direkt am Pier gelegen, 226 Hotelzimmer, Bar & Brasserie Willem I, mit Pool on top, www.inntelhotelsdenhaagmarinabeach.nl.

Infos: Den Hague Tourismus, www.thehague.com, www.escher2023.nl/en/citydressing.

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