Gastkommentar

Karas befeuert die Twitter-Bubble

Warum der EU-Parlamentarier Othmar Karas von der ÖVP nicht mit eigener Bürgerliste als Pro-EU-Partei antreten wird.

Alle fünf Jahre wieder füllen in Österreich vornehmlich Politikjournalistinnen und -journalisten die dazugehörige Twitter-Bubble mit Spekulationen, wonach der einzige EU-Parlamentarier mit nationaler Wahrnehmung, Othmar Karas, nicht mehr für die ÖVP, sondern mit einer eigenen Bürgerliste als Pro-EU-Partei antreten würde. Es ist nur bedeutungsschwangere Folklore mit dem stets selben Ergebnis: Karas vertritt die Volkspartei.

Der Autor

Clemens Maria Schuster ist Start-up-Unternehmer in Zürich und Brüssel. Er baut mit savoirr.com und politik.ch Datenplattformen zu Analyse und Monitoring politischer Verfahren.

Nur wenige sind mehr Volkspartei als Karas, und zwar lebenslänglich: Der 65-Jährige ist seit 1976 Parteimitglied, war im Nationalrat, war Generalsekretär und sitzt seit 1999 für die ÖVP im Europaparlament, zurzeit zum zweiten Mal als Vizepräsident. Auch abseits der Politik: ÖVP-Nähe allerorten, MKV und ÖCV, Hilfswerk, Schuman- und Waldheim-Stiftung.

Warum sollte er eine neue Partei gründen? Die verworrene Geschichte von Parteigründungen in Österreich diene als Lehre. Mit Ausnahme von Grünen und Neos hat es bisher keine Partei geschafft, länger als zwei Perioden zu überleben – zumal, wenn sie monothematisch oder auf die Person ihres Gründers und/oder Financiers zugeschnitten waren.

Beschwörende Elogen

Warum sollte sich Karas auf so ein Experiment einlassen? Um mit einem Karas-&-Friends-Zweckbündnis fünf bis zehn Prozent der Stimmen zu holen, mit einem (seinem), maximal zwei Mandaten ins EU-Parlament einzuziehen, um dort wieder der Europäischen Volkspartei beizutreten? Realiter haben in Straßburg und Brüssel einzelne Abgeordnete ohne große Fraktion fast keinen Gestaltungsspielraum.

Wenn man seine glaubwürdige politische Leidenschaft voraussetzt, stünde 2028 die Wahl zum Bundespräsidenten an. Wenn man schon eine politische Karriere krönen möchte, dann sicher nicht als Hinterbänkler ohne Macht, irgendwo zwischen Brüssel, Straßburg und Wien. Betrachtet man die aktuellen Wortmeldungen, fallen vor allem in den digitalen Medien solche auf, die Karas selbst niemals wählen würden. Beschwörende Elogen auf den letzten wahren Christlichsozialen, der doch nur links und rechts der Mitte Stimmen einsammeln müsse – allesamt mehr amüsant als glaubwürdig.

Bewusste Abspaltung

Und wer glaubt auch nur eine Sekunde lang, dass Karas in einer vermeintlich über alle Parteigrenzen mitgetragenen Liste Erfolg haben könnte, wenn er etwa Ex-Kanzler Christian Kern (57), Ex-EU-Kommissar Franz Fischler (76), Ex-Staatssekretärin Ulrike Lunacek (66) oder Ex-Nationalrat Michael Ikrath (70) um sich schart? Und warum sollten sich gerade die Neos auf eine Karas-Kooperation einlassen? Nicht wenige im pinken Umfeld würden nach dem Rückzug der EU-Mandatarin Claudia Gamon über einen nach Brüssel versorgten Ex-„Kurier“-Chefredakteur und Nationalratsmandatar Helmut Brandstätter aufatmen.

Gerade die erste Generation Neos, zu der Beate Meinl-Reisinger gehört, hat sich bewusst aus der ÖVP abgespalten. Nicht nur sie war Karas-Assistentin, sondern auch Feri Thierry, aktuell Geschäftsführer des Forum Alpbach und erster Neos-Bundesgeschäftsführer, Stefan Zotti, einst ÖAAD-Geschäftsführer und vormals Kabinettschef von EU-Kommissar Johannes Hahn, oder der frühere Neos-Kärnten-Chef und jetzige Meinungsforscher Christoph Haselmayer. Kurzum: Ich halte sowohl die Parteigründung als auch eine Kandidatur von Karas außerhalb der ÖVP für abwegig – und lasse mich trotzdem gern eines Besseren belehren.

E-Mails an: debatte@diepresse.com

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