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„Barbie“ im Kino: Eine Puppe lernt den Frauenhass kennen

Barbie (Margot Robbie) am Steuer – und Ken (Ryan Gosling) auf dem Rücksitz: Männer existieren in der Welt, die der „Barbie“-Film imaginiert, nur im Schatten der Frauen.
Barbie (Margot Robbie) am Steuer – und Ken (Ryan Gosling) auf dem Rücksitz: Männer existieren in der Welt, die der „Barbie“-Film imaginiert, nur im Schatten der Frauen. Warner Bros.
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Ist Barbie schuld an Essstörungen und Ungleichheit? Oder inspiriert sie Frauen zu Großem? Greta Gerwigs heiß erwarteter Kinofilm lenkt den Blick von der Puppe auf die Gesellschaft – und lässt das Patriarchat in die pinke Plastikwelt.

„Du Faschistin!“ Damit hat Barbie nicht gerechnet. Da steht sie in ihrem knallpinken Westernkostüm, bereit, die Umarmungen zu empfangen, die ihr die Mädchen und Frauen dieser Welt doch sicher – so glaubt sie – geben möchten, für ihre glorreichen Verdienste um die Gleichberechtigung von Mann und Frau. Und dann bekommt sie von einem schlagfertigen Teenagermädchen nur Böses an den Kopf geworfen: „Du stehst für alles, was in dieser Gesellschaft falsch läuft!“ Erst friert Barbie das Zahnpasta-Lächeln ein, dann bricht sie in Tränen aus. Eine Barbie in der Ausführung „Enttäuschung und Weltschmerz“ – das hat es im Spielzeugregal noch nicht gegeben.

Im am Freitag anlaufenden, seit Monaten massiv gehypten „Barbie“-Film von Greta Gerwig gibt es diese Barbie. Genauso wie die „Präsidentin Barbie“, die „Raumfahrerin Barbie“ und all die anderen Versionen der erstmals 1959 auf den Markt gekommenen Puppe. Dass sie alle zugleich Barbie sind – eine Art vielgestaltige Nichtpersönlichkeit ohne innere Regungen, die gleichzeitig für selbstbestimmte Wunscherfüllung und für schädliche Körperideale steht – ist ein Kern-Schmäh des durch und durch selbstironischen, dabei ziemlich gewitzten Films.

Dessen Ausgangsposition ist keine einfache. Auch wenn alles Pinke und Mädchenhafte gerade eine popkulturelle Aufwertung erfährt, gilt Barbie als Feindbild im Gender-Diskurs. Gerwig – ein Liebling des US-Indie-Kinos und eine in feministischen Fragen glaubwürdige Regie-Vorreiterin, die gemeinsam mit ihrem Partner, Noah Baumbach, das Drehbuch schrieb – will es hier allen recht machen. Jenen, die Barbie lieben, jenen, die sie hassen. Und dem Spielzeughersteller Mattel, der seine zugkräftigste Marke gerade wieder offensiv vermarktet (was man auch auf dem Weg ins Kino merken kann, wo das Schaufenster eines Kleidergeschäfts gestaltet ist wie eine riesige Barbie-Schachtel). Das Erstaunliche: Das Unterfangen gelingt.

Barbie denkt ans Sterben

Unter anderem deshalb, weil „Barbie“ den Diskurs selbst zur Basis einer kunstvoll überdrehten Abenteuerkomödie macht. Margot Robbie, die auch Produzentin ist, spielt die Heldin, die sich stolz „stereotype Barbie“ nennt. Jeden Morgen wacht sie in ihrem wändelosen Traumhaus auf, grüßt die anderen Barbies, schwebt hinab in ihr Cabrio (so, wie ein Kind sie bewegen würde). Unbeschwert von Gefühlen wie Scham oder Unsicherheit geben die Barbies in dieser rosa Plastikwelt den Ton an – während die Kens nur in ihren Schatten existieren und am Strand in offenen Hemden um ihre Aufmerksamkeit buhlen.

Jeder Tag ist „perfekt“, ruft Barbie aus. Bis „Fehlfunktionen“ sie aus der Bahn werfen: Plötzlich stehen ihre für High Heels vorgeformten Füße fersenfest am Boden (was die anderen Barbies nur deshalb nicht zum Kotzen bringt, weil es im Barbie-Land keine Flüssigkeiten gibt), dunkle Gedanken ans Sterben suchen sie heim. Kurz: Barbie überkommt ein menschliches Bewusstsein. Mit einem anhänglichen Ken (Ryan Gosling) im Schlepptau reist sie also – per Rollerskates, Boot und Schneemobil – in die „echte Welt“.

Flache Füße? Eine Horrorvorstellung für die Barbies.
Flache Füße? Eine Horrorvorstellung für die Barbies.Warner Bros. Pictures

Dort erfährt sie einen Realitätsschock angesichts sexistisch polternder Bauarbeiter und rein männlich besetzter Chefetagen. Dabei war sie doch überzeugt, dass sie Frauen dazu gebracht hätte, alle Ebenen der Gesellschaft zu erklimmen! (Die Wirkung Barbies als Rollenvorbild wird von Mattel gern betont, wurde in einer US-Studie aber widerlegt: Demnach konnten sich Mädchen, die mit einem Plastik-Kartoffelkopf gespielt hatten, mehr Karriereoptionen vorstellen als jene, die mit der Barbie-Ärztin gespielt hatten.)

Ken ist hingegen begeistert vom Konzept Patriarchat. Und will dieses auch im Barbie-Land einführen. Daraus entwickelt sich eine heitere, bisweilen groteske, ungemein dichte Gesellschaftssatire, gespickt mit Details und Anspielungen, in der Margot Robbie wie auch Ryan Gosling – als herrlich naiver wasserstoffblonder Hohlkopf – darstellerisch brillieren. „What was I made for?“, haucht Billie Eilish auf dem Soundtrack, während Barbie zu ihrem Idealismus zurückzufinden versucht und der Blick in der Frage, wie „böse“ Barbie ist, verschoben wird. Nach dem Motto: Die Puppe ist nur ein knalliges Symbol im jahrzehntelangen Diskurs darüber, wie eine Frau sein darf, kann und soll. Das Problem ist eine Gesellschaft, in der Frauen gar keine Chance haben, allen Rollen gerecht zu werden, die sie erfüllen sollen.

Realitätsschock: Barbie erfährt, dass Frauen in der „echten“ Welt nicht unbedingt gut auf sie zu sprechen sind.
Realitätsschock: Barbie erfährt, dass Frauen in der „echten“ Welt nicht unbedingt gut auf sie zu sprechen sind. Courtesy Of Warner Bros. Pictures

Der Mattel-Konzern, verkörpert von Will Ferrell als grobschlächtigem CEO, kriegt sein Fett ab – und darf doch lachen. Nicht nur, weil „Barbie“ seine Unternehmensgeschichte in Ehren hält: Auch die Barbie-Erfinderin Ruth Handler hat einen Auftritt im Film. In knalligen Werbeparodie-Bildern wird eine Parade ehemaliger Produkte aufgefahren, darunter eine aufgelassene schwangere Puppe („That was just too weird“). Nach einer Krise erfindet sich der Spielzeughersteller gerade neu. „Intellectual Property“ lautet das Stichwort, also die Ausschlachtung der eigenen, bereits etablierten Marken. Was Disney perfektioniert hat, will Mattel auch schaffen: Bis zu 45 Filme auf Basis von Mattel-Produkten sind angedacht. Darunter etwa die „Hot Wheels“-Autos und, tatsächlich, das Spiel „Uno“.

Besser als jeder Mattel-Werbespot

Das Praktische: Das Interesse an Barbie war in Hollywood schon da. Nichts zieht in der Unterhaltungsindustrie so gut wie Geschichten, die auf vorhandener Bekanntheit aufbauen – das erklärt auch, warum die meisten Blockbuster Vorgeschichten oder Fortsetzungen sind. Und auch wenn Mattel sich das Drehbuch vorlegen ließ: Regisseurin Gerwig betont, dass sie vollkommene Freiheit hatte. „Barbie“ ist eigenwillig, abgedreht, diskursbewusst. Und dürfte die Puppenverkäufe wohl besser antreiben als jeder Werbespot, den Mattel hätte in Auftrag geben können.

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