Filmkritik

„Oppenheimer“: Die Hände des Bombengotts zittern

Wer war J. Robert Oppenheimer (Cillian Murphy)? Genie, Ehrgeizling, Frauenheld, Zweifler, Patriot oder Kommunist? Christopher Nolans Film „Oppenheimer“ spekuliert: Er war alles auf einmal.
Wer war J. Robert Oppenheimer (Cillian Murphy)? Genie, Ehrgeizling, Frauenheld, Zweifler, Patriot oder Kommunist? Christopher Nolans Film „Oppenheimer“ spekuliert: Er war alles auf einmal.Universal Pictures
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Ein Quantenphysiker als Hauptfigur eines Sommerblockbusters: Christopher Nolan („Inception“) macht’s möglich. In „Oppenheimer“ zeichnet er die Forscherlegende als Zerrissenen, dessen Selbsterkenntnis erst nach dem Atompilz kommt.

Die Hand zittert über dem roten Knopf. Wenn er gedrückt wird, gibt es kein Zurück. Denn dann geht der Trinity-Test über die Bühne bzw. die Wüste New Mexicos, und jahrelange Forschungen kulminieren in einem atemberaubenden – und brandgefährlichen – Knall. Ein Pilz, den niemand pflücken will, schießt aus dem Boden. Die Ära der atomaren Bedrohung beginnt.

In Christopher Nolans jüngstem Film „Oppenheimer“ läuft alles auf diesen kritischen Augenblick zu. Als er dann da ist, wird er weidlich ausgekostet: Die spektakuläre Kernwaffenexplosion auf der Leinwand saugt den Ton gleichsam aus dem Kinosaal, wo vorher angespanntes Countdown-Schwirren war, ist plötzlich Stille. Alle Augen im Film – und auch die des Publikums in den Sitzreihen – starren gebannt auf den riesigen Feuerball, der sich vor ihnen entfaltet wie eine glühende Blume des Bösen. Lodernde Schönheit, erhabene Blendung! Die zugleich auch fatale Verblendung sein könnte: Wird solche Zerstörungskraft wirklich Frieden bringen?

J. Robert Oppenheimer, der US-Physiker und sprichwörtliche „Vater der Atombombe“, glaubt in Nolans Filmbiografie daran. Zumindest tut er das eine entscheidende Zeit lang. Sein Ziel ist die Gewissheit eines andauernden Waffenstillstands. Endgültige Sicherheit! Doch so sehr er sich auch anstrengt, sie abzuschütteln: Die leidige Unsicherheit lässt ihn nicht los. Tut er das Richtige? Trägt er Verantwortung für die teilweise katastrophalen Folgen seiner Forschung? Ist Wissensdrang womöglich gar eine moralische Kategorie?

Cyanid im Pausenapfel

In seinem Wankelmut ist Oppenheimer der perfekte Nolan-Protagonist. Der 52-jährige britische Bombastfilmkünstler ist seit jeher fasziniert von der Instabilität unserer wahrnehmbaren Wirklichkeit – und von den Menschen, die dennoch versuchen, ihr ordnend beizukommen, seien diese nun Superhelden wie Batman („The Dark Knight“) oder genialische Forschergeister wie Nikola Tesla („The Prestige“). Die Hauptfigur von Nolans neuem Breitwand-Blockbuster – der militaristische Terminus passt hier ausnahmsweise – ist kein Ordnungshüter, aber durchdrungen vom Fluidum der quantentheoretischen Materie, mit der sie sich wie besessen beschäftigt: eine Art fleischgewordene Unschärferelation.

Entsprechend quecksilbrig erscheint Oppenheimer zu Beginn des Films: Wenn er in den 1920ern als aufstrebender Jungspund im Universitätslabor von Cambridge herumzappelt, heimgesucht von sprühkerzenhaft aufflackernden Visionen flirrender Teilchen und Wellen, erinnert das mehr an einen Künstler als an einen Wissenschaftler – sowie an Forscherfilm-Edelkitsch wie das süßliche Stephen-Hawking-Biopic „Die Entdeckung der Unendlichkeit“. Doch wer sagt, dass intellektuelle Wallungen weniger aufwühlend sind als die des Gefühls? Und: Die Bitterstoffe folgen auf dem Fuße. Als Oppenheimers Dozent ihm den Besuch eines Gastvortrags von Niels Bohr (Kenneth Branagh) versagt, injiziert der Verärgerte kurzerhand Cyanid in dessen Pausenapfel. Obwohl der unverzehrt bleibt, wird klar: Der Quantenmann ist selber instabil.

Freilich: Lang böse sein können wir ihm schwer, wenn er von einem wie Cillian Mur­phy verkörpert wird. Der Ire mit den einladenden hellblauen Augen und dem hager-androgynen Antlitz wirkt in „Oppenheimer“ selbst dann noch sympathisch, wenn er andere abkanzelt. Ja, eitel konnte dieser J. Robert sein, sagt uns Nolan, der auch das Skript schrieb. „Genie macht vieles wett“, erwidert sein „amerikanischer Prometheus“ einmal frech auf Kritik. Später gelangt er zur allzu menschlichen Erkenntnis: nicht alles.

Im Eiltempo saust der Film durch Oppenheimers Lehr- und Wanderjahre, vorbei an seiner kurzen Begegnung mit Werner Heisenberg (Matthias Schweighöfer). Ein regelrechtes Who’s who des Physik-Pantheons paradiert über die Leinwand; auch Albert Einstein (Tom Conti) darf nicht fehlen, er wirft an seinem Lebensabend mürrisch Steinchen in den Teich. Ins richtige Element gerät Nolan aber erst, als es ans wissenschaftlich und politisch Eingemachte geht, sprich: an den Bau der Atombombe für das Manhattan-Projekt – und an die damit einhergehenden technischen und moralischen Dilemmata.

Eierköpfe im Teilchenbeschleuniger

Hier spielt plötzlich alles mit hinein: Oppenheimers Judentum und sein Wissen um Hitlers Vernichtungswillen, seine linken Überzeugungen und sein persönlicher Ehrgeiz, sein Patriotismus und sein moralischer Eigensinn. All das sorgt im Widerstreit miteinander für das nötige Drama, während wir zusehen, wie ein illustres Eierkopfkommando – darunter auch Richard Feynman (Jack Quaid) und Edward Teller (Benny Safdie) – die „Grundkräfte des Universums“ bündelt. „Oppenheimer“ ist, trotz einer Handvoll bemerkenswerter Spektakelszenen, primär ein Film über Männer in Zimmern: Männer, die auf Schiefertafeln starren und darauf weite Kreidekreise ziehen. Die sich dann mithilfe des militärisch-industriellen Komplexes materialisieren, als Retortenstadt im US-Südwesten, als ein Testgelände für Sprengkörper. Und schließlich als Atompilzwolke.

Die Frauen in Oppenheimers Leben kommen derweil zu kurz, auf der Handlungsebene, aber auch im Film selbst: Nolans Versuch, ihre unverschuldete Randständigkeit im Prozess des „History Makings“ mitzuverhandeln, bleibt halbherzig – und lässt bisweilen wirklich den Wunsch aufkeimen, man befände sich in Greta Gerwigs als „weibliches“ Konkurrenzprodukt zu „Oppenheimer“ verkauftem „Barbie“-Film. Florence Pugh dient in der Rolle der kommunistischen Psychiaterin Jean Tatlock vor allem als „rote“ Buhlschaft und erotisches Dekor, später als Quell von Gewissensbissen. Emily Blunt bekommt als des Bombengotts kluge und pragmatische Partnerin „Kitty“ Oppenheimer einen markanten Oscar-Moment – warum nicht zwei?

Vielleicht, weil Nolan sich inszenatorisch fast rückhaltlos vom feurigen Forschungseifer seiner Hauptfigur anstecken lässt, um die für viele Laien doch eher trocken anmutende Welt der Wissenschaft den ästhetischen Anforderungen eines Kassenschlagers anzupassen. „Oppenheimer“ fühlt sich zum Teil an wie ein Ritt durch den Teilchenbeschleuniger: Alles scheint stets in nervöser Vorwärtsbewegung zu sein, egal, ob es sich um eine triviale Gesprächsszene handelt oder um eine aufwendige Suspense-Sequenz. Dazu trägt Ludwig Göranssons fibrillierender Soundtrack genauso bei wie der brillante Schnitt von Jennifer Lame: Dieser setzt stark auf Bild-Ton-Überlappungen, um die Erzählung subtil, aber unablässig voranzutreiben. Sogar der Dialog hat etwas Sprunghaftes, fast wie bei älteren Screwball-Comedys: Drei Stunden vergehen so wie im Flug.

Hiroshima schlägt zurück

Dass die Dramaturgie des Films kaum weniger verschachtelt ist als die des Nolan-Hirnschwurblers „Inception“, fällt beinahe nicht auf: Man ist geneigt, das Wort „elegant“ zu verwenden. Die jüngste von drei Zeitebenen, gehalten in Schwarz-Weiß, handelt von Oppenheimers Beziehung zum Politiker Lewis Strauss, gespielt von Robert Downey Jr. – er und Matt Damon in der Rolle des Generals Leslie Groves verleihen dem vor Charakterköpfen berstenden Geschehen noch mehr schauspielerisches Gewicht. Für das emotionale sorgt die Auseinandersetzung Oppenheimers mit Täterschaft: Die Städte Hiroshima und Nagasaki kommen im Film nicht vor, doch das Echo ihrer Verwüstung hallt durch eine verstörende Szene, in der der Forscher im Zuge einer Rede von einer argen Panikattacke erfasst wird. Nolan glaubt nicht an das Konzept der nuklearen Abschreckung, und er spricht seine Hauptfigur nicht frei. Sein Film warnt: Es gibt immer eine noch größere Bombe.

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