Die Ich-Pleite

Abschiedsbrief an die ÖBB

Carolina Frank
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Bei Bahnfahrten heißt es Abschied nehmen - manchmal trifft man auch alte Bekannte wieder.

Liebe ÖBB, was haben wir zusammen für eine tolle Zeit gehabt! Weißt du noch, wie wir nach der Matura nach Sizilien gefahren sind? Meine Eltern haben „abgehaut“ dazu gesagt. Aber du hast uns sicher bis Palermo und wieder zurück gebracht. Oder wie wir ein paar Jahre später frisch verliebt gemeinsam nach Wien gefahren sind und ich vor lauter Schmetterlingen im Bauch den Koffer im Abteil vergaß? Oder wie ich letzten Sommer stundenlang auf der Westbahnstrecke vor mich hin geweint habe, weil mich eine Todesnachricht erreicht hat? Damals hast du mir einen Kamillentee und ein Taschentuch gebracht.

Ja, wir sind gemeinsam durch dick und dünn gegangen! Einmal im Winter ohne Heizung und einmal im Sommer ohne Klimaanlage auf Geleisen herumgestanden. Viele Tage, Wochen und wahrscheinlich Monate sind wir gemeinsam unterwegs gewesen  du am Steuer, ich arbeitend, lesend, schlafend oder einfach aus dem Fenster schauend. Von mir aus hätte unsere Fahrgemeinschaft noch ewig dauern können! Aber jetzt hast du mich leider schwer enttäuscht. Aber vielleicht habe auch ich dich enttäuscht. Weil ich ein Klimaticket gekauft habe.

Jedenfalls hast du mir von einem Tag auf den anderen meine Vorteilscard-Ermäßigung für die erste Klasse gestrichen. Am meisten kreide ich dir an, dass du es mir nicht einmal vorher gesagt hast. Du hast mich neulich im Zug von Wien nach Salzburg draufkommen lassen, dass das Ticket jetzt nicht mehr 28 Euro 90 kostet, sondern 57 Euro 80. Aber gut, ich sage mir: Auch andere Bahnunternehmen haben schöne Züge. Sicher, das Umsteigen fällt mir schwer. Ich verliere einen alten Freund. Aber dafür bekomme ich einen anderen alten Freund zurück. Den guten alten Westbahnhof.

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