Gastkommentar

Wiens selbst ernannte Denkmalstürmer

Peter Kufner
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Schon wieder hat es Karl Lueger erwischt. Bald soll das „schiefe Denkmal von Wien“ an ihn erinnern.
Dabei gibt es zahlreiche andere Denkmäler in der Stadt, die genauso infrage gestellt werden müssten. Geschieht aber nicht.

Wann waren Sie zuletzt am Karl-Lueger-Platz im ersten Bezirk und haben das inmitten des Platzes thronende, dem Platz den Namen gebende, fast 100 Jahre unberührte Denkmal des Wiener Bürgermeisters von 1867 bis 1910 gesehen? Es ist eine Schande für diese Stadt, was einige selbst ernannte „Gerechte“ dort unter den Augen der Bürger aufführen, von den Autoritäten der Stadt geduldet.

Jetzt soll auf deren Druck hin das Denkmal schief gestellt werden! Statt eines Turms hat Wien dann ein „schiefes Denkmal“. Der Sinn der Sache: Aufzeigen, dass dieser Bürgermeister, der Wien sozial und zur Weltstadt gemacht hat, Antisemit war! Sein Pech: Er wurde von Adolf Hitler einst als ein Vorbild genannt!

Der Autor

Rainer Stepan ist Historiker und Sozialwissenschaftler, inzwischen in Pension. Früher enger Mitarbeiter von ÖVP-Chef Alois Mock. Studiendirektor an der Diplomatischen Akademie und zuletzt in der Außenpolitik der Stadt Wien tätig.

Grund genug, ihn zu verdammen, mit Farbe zu überschütten, wirre „künstlerische“ Pawlatschen in riesigen Dimensionen rundum zu errichten. Alle schauen zu, niemand sagt etwas Sinnstiftendes. Man weicht der gewaltsamen, bewussten Destruktion einiger weniger, die über die Geschichte dieses Mannes das Urteil der Verdammnis gesprochen haben.

Patron des „kleinen Mannes“

Warum? Er war Antisemit! Schlimm genug, Lueger hat populistisch „erfolgreich“ gegen die Juden Stimmung gemacht, hatte dabei aber auch jüdische Freunde! Lueger war rassischer Antisemitismus fern, er nützte ihn als Propagandavehikel – so wie heute Karl Mahrer (ÖVP Wien), Innenminister Gerhard Karner und Integrationsministerin Susanne Raab (beide ÖVP) Fremdenfeindlichkeit schüren und damit der FPÖ die Wähler zutreiben.

Lueger hat als Bürgermeister dieser Stadt die bis dahin privaten Straßenbahnen kommunalisiert, damit sie dort fahren, wo die Menschen sie brauchen und sich diese auch leisten können. Er hat die Stadtwerke kommunalisiert, um den Stadtbewohnern Gas profitunabhängig liefern zu können. Er hat die Zentralsparkasse gegründet, um dem „kleinen Mann“ das wenige ersparte Geld zu sichern und zinsmäßig zu verbessern. Er hat in den Arbeiterbezirken an die 100 Schulen errichtet, und er hat die Grünflächen Wiens versiebzehnfacht!

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Lueger hat die sogenannten Zinskasernen mit Wasser und Klo am Gang errichtet, um die rasante Bevölkerungsvermehrung in Wien halbwegs in den Griff zu bekommen. Wien hatte Mitte des 19. Jahrhunderts etwa 500.000 Einwohner und 1914 bereits 2,2 Millionen! Er hat die Zweite Hochquellenwasserleitung nach Wien errichtet, die bis heute funktioniert. Er hat errechnen lassen, wie viele Einwohner Wien im Jahr 1950 haben wird (drei bis vier Millionen – noch für die Monarchie errechnet), und er hat entsprechend die Infrastruktur – Kanalisation, Stadtbahn, Lainzer Krankenhaus – dieser Stadt errichten lassen.

Nur der Antisemitismus zählt

Wien war damals als Haupt- und Residenzstadt Anziehungsort aus der gesamten Monarchie mit damals 53 Millionen Einwohnern. Natürlich gab es infolge große soziale Probleme wie die Bettgeher, die von der Industrie (Ziegelwerke) ausgebeuteten Arbeiter! Dennoch wurden in dieser Zeit die wichtigsten Sozialgesetze im Parlament beschlossen. Dafür war der Lausanner Kreis um Karl von Vogelsang, den „roten“ Prinzen Liechtenstein, Graf Kuefstein etc. verantwortlich.

Von diesen Leuten wurde die erste Sozialenzyklika von Papst Leo­ XIII., „Rerum Novarum“, die sogenannte Arbeiterenzyklika, verfasst. Karl Lueger hat deren Programm umgesetzt; er war auch der Gründer der Christlichsozialen Partei Österreichs.

Das zählt nunmehr alles nicht, weil er Antisemit war! Schlimm genug, er hat so den „Sound“ mitgeschaffen, auf dessen Grundlage sich Hitlers Programm der Vernichtung des Judentums entwickeln konnte. Ich frage nur, wer war damals außer den Juden selbst und wenigen Bürgern kein Antisemit – in allen politischen Parteien, auch in der Sozialdemokratie, war der Antisemitismus prominent vertreten. Leider und schlimm genug!

Was ist mit Karl Renner …

2012 wurde der Dr.-Karl-Lueger-Ring, auch auf Wunsch der Uni Wien, in Universitätsring umbenannt. Der damalige Kulturstadtrat Wiens, Andreas Mailath-Pokorny, sagte: Diese Umbenennung solle eine Ausnahme bleiben, denn „Namensgebungen spiegeln die Geschichte einer Stadt wider“, auch wenn diese nicht immer positiv war. Dieser Grundsatz ist vergessen, jetzt ist Luegers Denkmal dran.

Die selbst ernannten, „gerechten“ Denkmalstürmer übersehen aber viele andere Denkmäler, die mindestens genauso infrage gestellt werden müssten. Prominentes Beispiel ist der dem ehemaligen Lueger-Ring benachbarte Renner-Ring. Karl Renner hat unmittelbar nach Ende der Monarchie als provisorischer Staatskanzler verlangt und umgesetzt, dass „Fremdnationale“, die noch einige Wochen davor als Österreicher im Ersten Weltkrieg gekämpft hatten, das klein gewordene Österreich verlassen müssen. Darunter viele jüdische Familien aus Galizien oder der Bukowina.

Karl Renner, überzeugter Deutschnationaler und Austromarxist, ist nach dem „Anschluss“ 1938 freiwillig zum von den Nazis eingesetzten „Bürgermeister“ Neubacher gegangen und hat ihn gebeten, ihm die Möglichkeit zu geben, via Medien seine Genossen aufzurufen, am 10. April für Adolf Hitler und den „Anschluss“ zu stimmen!

Derselbe Karl Renner hat 1945, von den Sowjets als Staatskanzler eingesetzt, in servilem Ton dem Generalissimus Stalin in einem Schreiben versichert, dass „Österreich sozialistisch werden wird!“. Dieser Ringabschnitt aber sowie Renners dortiges Denkmal in Silber sind noch immer unberührt, werden nicht diskutiert, sind nicht umstritten. Warum?

… oder Julius Tandler?

Oder Julius Tandler, berühmter und verdienstvoller Mediziner, Universitätsprofessor und sozialdemokratischer Abgeordneter im Wiener Gemeinderat und Landtag. Er war Befürworter der „freiwilligen“ Sterilisation und der „positiven“ Eugenik. Im Sinn der „Erbgesundheitslehre“ (Rassenreinheit ist ein Teil davon) zielt diese positive Eugenik drauf ab, die Auslese der „Tüchtigen“ zu fördern. Deshalb auch die „freiwillige“ Sterilisation, wenn kein „tüchtiger“ Nachwuchs zu erwarten war.

Die „negative“ Eugenik soll die Geburt der „Minderwertigen“ verhindern. Das Rasseprogramm der Nazis hat dies umgesetzt – vor allem mit der Vernichtung des Judentums! Julius Tandler hatte – wie es in der Tandler-Biografie der Stadt Wien heißt, „eine ambivalente Haltung zur negativen Eugenik“. Auch in den Reden Tandlers über „Minusvarianten“ (des Menschen) und über das Lumpenproletariat kam seine Einstellung zum Durchbruch – wenn das nicht in Richtung der Nationalsozialisten weist? Er wurde von den Nazis jedoch als Jude (er konvertierte zum Katholizismus) abgelehnt. Er hat noch seinen Platz im 9. Bezirk Wiens, und seine Büsten sind an prominenten Orten wie etwa in der Uni Wien zu finden.

Warum dann ausgerechnet Lueger? Die Antwort liegt auf der Hand. Es lebe der wesentliche Unterschied!

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