Mailand: Wahlkampf-Blues in Italiens Modemetropole

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Das politische Schicksal Italiens liegt in den Händen der Lombardei, der wohlhabendsten und bevölkerungsreichsten Region des Landes. Doch im krisengeschüttelten Mailand, Heimat Silvio Berlusconis und Mario Montis, hat man das Vertrauen in die Politik verloren.

„So schlecht ging es uns noch nie", seufzt Barmann Daniele während er einen Cappuccino auf die Theke stellt. Kopfschüttelnd schaut er auf den eleganten Corso Vercelli im Herzen Mailands hinaus, seit jeher beliebter Shoppingtreff der Bourgeoisie. Heute schließt hier ein Geschäft nach dem anderen - die Nachfrage sinkt, die Mieten sind zu hoch. „Die Wahlen werden nichts ändern. Die Politiker sind ja immer dieselben. Vielleicht aber Beppe Grillo .... der will den Politikbonzen zumindest die Super-Gehälter streichen", denkt der junge Mann laut nach. Ein etwa 50-Jähriger blickt gelangweilt von seiner Zeitung auf. „Die sind doch alle gleich. Alles Diebe. Berlusconi, der ist in Ordnung. Der sagt es dir wenigstens ins Gesicht, dass er ein Dieb ist

Von Wahlkampf-Begeisterung ist unter den Mailändern wenig zu spüren. Verwaist wirken die Plakate mit den Kandidaten, die allesamt den Bewohnern der norditalienischen Finanzmetropole nach der Parlamentswahl am 24. und 25. Februar eine rosigere Zukunft und saubere Verwaltung versprechen. Etwas ratlos wirkende Wahlkampfhelfer werden von Passanten ignoriert.

Und doch liegt das politische Schicksal Italiens in den Händen der Lombardei und ihrer Hauptstadt Mailand, wo zeitgleich zur Parlamentswahl über eine neue Regionalregierung abgestimmt wird. Der Ausgang des Votums entscheidet über die Zusammensetzung des Senats, da die Lombardei als bevölkerungsreichste Region die meisten Senatoren nach Rom schickt. Ein Szenario beunruhigt die Märkte: Laut Umfragen könnte Berlusconis Block dank der Lombarden die Kontrolle über das Oberhaus erlangen. Die Mitte-Links-Allianz, derzeit prognostizierter Wahlsieger, würde dann mit ihrer Mehrheit im Abgeordnetenhaus kaum ein Gesetz durchbringen. Dem tief verschuldeten Italien droht die Unregierbarkeit - und eine dramatische Verschärfung der Eurokrise.

„Monti, du Banker, du Mörder!", lässt in der Straßenbahn ein ärmlich gekleideter Mann seiner Wut über den Noch-Technokraten-Premier freien Lauf. Die meisten Fahrgäste schauen weg. Doch manche nicken zustimmend. In den letzten 14 Monaten hat der Ex-EU-Kommissar mit einem Sparkurs das Land wieder auf die Beine gebracht. Doch in Umfragen liegt der Professor bei knapp zehn Prozent. Nichteinmal in seiner Heimat Lombardei kommt das Versprechen, das Land zu sanieren, gut an. Drei Jahre Rezession, vorausgegangen von einer mehrjährigen Stagnation, haben in der reichsten Region Italiens tiefe Spuren hinterlassen: Weit mehr als 2000 Unternehmen mussten allein 2012 ihre Produktion einstellen - so viele wie in keiner anderen Region. Keine Spur mehr von der Boom-Stimmung jener Zeit, als Mailand globales Designer- und Modezentrum war. Heute herrscht Tristesse:Ganze Shoppingviertel sterben aus, sogar in Dom-Nähe. In einigen Boutiquen sind Spielhallen eingezogen. Und die Arbeitslosenzahl steigt stetig.

Monti hat Fans verloren. Ein anderer Mailänder hingegen hat verstanden, wie die Lombarden ticken. Silvio Berlusconi kennt seine Stadt. Er hat hier sein Immobilien- und Medienimperium aufgebaut. Über die Bunga-Bunga-Partys in der Vorort-Villa des Cavaliere spricht kaum noch jemand. Eher über Berlusconis Versprechen, die verhasste Immobiliensteuer abzuschaffen. Dadurch hat der Ex-Premier Herzen und Stimmen zurückerobert. „Auch wenn viele Berlusconi nicht wirklich glauben. Sie denken sich: Die anderen Parteien haben nichts besseres zu bieten", analysiert der bekannte Meinungsforscher Renato Mannheimer.

Der Medienmogul hat sich im Lombardei-Wahlkampf auffallend zurückgehalten und das Feld seinem Partner, Roberto Maroni, Chef der quasi-sezessionistischen Lega Nord, überlassen. Das war der Preis für den Koalitionspakt in der Lombardei, den Berlusconi aus wahltaktischen Gründen braucht. Auch die Lega verspricht Aufschwung - durch mehr Unabhängigkeit vom „ressourcenschluckenden Rom". Derzeit punktet die Partei mit dem Versprechen einer 75-prozentigen Steuerautonomie. Vergessen sind die Korruptions- und Mafiaskandale der Lega.

Die Lega ist mit ihrer polternden Anti-Rom-Hetze in der Provinz stark. Aber die Mailänder scheinen den Kandidaten der Linken vorzuziehen - Umberto Ambrosoli, Sohn eines 1979 von den Roten Brigaden ermordeten Rechtsanwaltes. Der Anwalt mit dem sanften Blick „hat das traditionell links-feindliche Großbürgertum erobert", meint eine Society-Reporterin. Vor allem aber verkörpert der Jurist so gut wie kein anderer das Bild, das viele Mailänder gerne von sich haben: Des gebildeten, korrekten, bescheidenen Bürgers. Ambrosoli stellt das Mailand der Anti-Korruptions-Staatsanwälte dar, der engagierten Zivilgesellschaft.

Vor allem aber ist er kein Politiker. Und allein das bringt Stimmen. „Eine sehr große Anzahl von Wähler will einen radikalen Neuanfang", sagt Meinungsforscher Mannheimer. Profitieren von der Politikverdrossenheit kann auch in der Lombardei die populistische Bewegung des Ex-Komikers Beppe Grillo. Sie hat ausschließlich Kandidaten ohne politische Erfahrung aufgestellt. Darunter Paola Carinelli aus Mailand, Mitarbeiterin eines Exportunternehmens. Ziel der 32-Jährigen: „Wir wollen das System von innen in die Luft jagen."

("Die Presse", Print-Ausgabe, 16.02.2013)

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