Bruno de Sá ist kein Countertenor, sondern Sopranist – und das nicht nur in Barockopern. In Innsbruck ist er in Vivaldis „L’Olimpiade“ zu hören.
Bruno de Sá selbst kann sich nicht mehr erinnern. Aber er hat die Lieblingsgeschichte seiner Mutter oft gehört: Noch keine drei Jahre sei er alt gewesen, da habe er verlangt, ein Solo zu singen – in jenem Kirchenchor in São Paulo, in dem seine Eltern von Kindheit an Mitglied waren und wo sie einander auch kennengelernt hatten. Was sich bei Bruno eingeprägt hat, war dann der Tag, als es wirklich Zeit war fürs erste Solo. Singen war für ihn pure Freude, hatte nichts mit einem Beruf zu tun. Von Klassik im Allgemeinen und speziell von Barockmusik hatte er nur eine ferne Ahnung. Und dann, spät im Leben des Jugendlichen, kam der Stimmbruch – und hinterließ kaum eine Spur. Sprech- wie Singstimme blieben hoch, beim Gesang war bloß mehr Luft in der Höhe nötig. Ergebnis: Bruno de Sá ist Sopranist. Punkt. Und kein Countertenor! Denn Countertenöre kultivieren auf Basis ihrer Tenor- oder Baritonstimme ein Falsettregister, das ihnen die hohe Lage erschließt. Bruno de Sá jedoch singt von vornherein in seiner natürlichen Lage.
Ausnahmebegabung
Dabei fühlt er sich wohl bis hinauf zum hohen Es – bis zu jenem Ton also, mit dem traditionell die Interpretinnen der Lucia di Lammermoor ihre Wahnsinnsszene toppen. Das hohe F von Mozarts Königin der Nacht, ein Ganzton darüber, liegt für ihn nicht außer Reichweite. Nota bene: Das sind keine isolierten, der Stimme abgetrotzten Töne bei Bruno de Sá, sondern er besitzt eine voll ausgebildete, runde und bewegliche Sopranstimme, die er in solche Höhen führen kann. Franco Fagioli zählt aktuell zu den wenigen Countertenören, die sich dem Klangideal einer weiblichen Stimme so annähern konnten, wie es für Bruno de Sá ganz natürlich ist: Eine Begabung, die man weltweit mit der Lupe suchen muss.