Die Stunde der Anti-Politiker

Proteststimmen. Journalisten, Staatsanwälte, Professoren und Hausfrauen: Noch nie bewarben sich so viele Kandidaten ohne Polit-Erfahrung um einen Parlamentssitz.

Rom/Wien. Silvio Berlusconis voraussehbare Polit-Clownesken und die langwierigen Reden des farblosen Linken Pier Luigi Bersani wirken wie ein Déjà-vu-Erlebnis. Doch neben diesen altbekannten Politikergesichtern hat der heurige italienische Wahlkampf auch etwas radikal Neues zu bieten: Noch nie in der jüngeren Geschichte des Belpaese warben so viele Kandidaten ohne jegliche politische Erfahrung um ein politisches Amt. Und noch nie kamen sie bei den Wählern so gut an.

Der erfolgreichste Antipolitiker ist Ex-Komiker Beppe Grillo. Der Populist darf zwar wegen einer Verurteilung selbst nicht ins Parlament einziehen. In seiner Bewegung hat er aber ausschließlich Kandidaten aufstellen lassen, die noch nie in einem politischen Amt tätig gewesen waren. Hausfrauen sind darunter, Ärzte, Ingenieure, Mitglieder von linken Protestgruppen ebenso wie einfache Angestellte oder Künstler. Grillos Fünf-Sterne-Bewegung ist die drittstärkste Kraft in Italien geworden.

„Wir erwarten einen Rekord an Proteststimmen“, sagt Meinungsforscher Renato Mannheimer. „Die Italiener haben die Nase voll von der alten politischen Klasse.“

Monti, der „korrekte Bürger“

Politische No-Names bringen also Stimmen. Das hat nicht nur Grillo verstanden, dessen Wahlkampf aus Frontalattacken gegen „das verfaulte System“ bestand.

Das erfolgreichste Schlagwort des diesjährigen Wahlkampfes hieß Zivilgesellschaft. Mario Monti hat etwas ungeschickt versucht, sich als Vertreter des korrekten Bürgertums zu präsentieren. Etwas mehr überzeugen konnte die linke Rivoluzione Civile des ehemaligen sizilianischen Anti-Mafia-Staatsanwaltes Antonio Ingroia, die am Sonntag und Montag mit einem Achtungserfolg rechnen kann. Erwartet wird, dass sie den Linksdemokraten wichtige Stimmen wegnehmen wird. Aufatmen kann indes Berlusconi: Seinen lästigen Rivalen Oscar Giannino, der dem Cavaliere mit einer wirtschaftsliberalen Bewegung etliche Wähler stibitzte, ist er los: Der Wirtschaftsjournalist warf wegen eines Skandals um einen gefälschten Lebenslauf das Handtuch.

In der norditalienischen Lombardei, die zeitgleich zum Parlament auch eine neue Regionalregierung wählt, setzt die Mitte-links-Allianz ganz auf die Macht des Nichtpolitischen: Als Kandidaten hat sie den jungen Anwalt Umberto Ambrosoli aufgestellt, Sohn eines von den Roten Brigaden ermordeten Juristen. Ambrosoli sieht sich als „Vertreter der Zivilgesellschaft“. Und punktet damit sogar bei der traditionell antilinken Mailänder Bourgeoisie.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 22.02.2013)

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