„Reine Kosmetik“

Greenwashing? Boku übt Kritik an der Wiener Stadt-Begrünung

Unter dem Motto „MQ goes Green“ hat die Stadt am Mittwoch ein neues Konzept zur Begrünung des Museumsquartiers präsentiert. Die wahren Defizite liegen laut Boku anderswo.
Unter dem Motto „MQ goes Green“ hat die Stadt am Mittwoch ein neues Konzept zur Begrünung des Museumsquartiers präsentiert. Die wahren Defizite liegen laut Boku anderswo.APA / Georg Hochmuth
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Laut einer Studie ist die Begrünung in Wien vielerorts reine Symptombekämpfung. Die Umsetzung hinke dem eigentlichen Bekenntnis hinterher. Essenziell sei es auch, Flächen erst gar nicht zu versiegeln.

„Grünraumgerechtigkeit für eine resiliente Stadt“, heißt eine Studie, in der die Wiener Grünpolitik einer Prüfung unterzogen wird. Dabei zeige sich, „dass sich die Stadt Wien in ihren Strategien und Leitbildern zu einer gerechten Grünraumversorgung für alle Bürger:innen bekennt. Sie verfügt grundsätzlich bereits über Instrumente, um dieses Ziel zu erreichen, oder ist aktuell dabei, sie auszuarbeiten. Die Umsetzung dieser Instrumente hinkt allerdings dem Bekenntnis hinterher.“

Lilli Lička vom Institut für Landschaftsarchitektur der Universität für Bodenkultur Wien (Boku) ist Mitautorin der heuer im Auftrag der Arbeiterkammer Wien erstellten Studie. „Die Stadt Wien ist in der PR sehr gut und in ihren Konzepten ebenso. Auch die Beamtinnen und Beamten sind gut. Aber sie bringen es politisch nicht durch“, fasst sie zusammen, was auf 181 Seiten detailliert ausgeführt wird. An Bewusstsein mangle es nicht, erinnert sie an ein Plakat der SPÖ aus dem Jahr 1981, auf dem die Pflanzung von 500.000 neuen Bäumen innerhalb eines Jahres versprochen wurde: „Das Thema ist uralt - und es ist jahrelang nichts geschehen.“

Garagen statt Wurzelwerk

Auch Rosemarie Stangl, Professorin am Boku-Department für Bautechnik und Naturgefahren, weist auf die Versäumnisse einer ganzen Generation hin: „Die Initiativen der Stadt Wien sind nicht schlechtzureden. Es gibt viele Projekte. Ich sehe einige von ihnen kritisch, aber jede einzelne Maßnahme ist ein wichtiger Puzzlestein, der mithilft, die Sünden und Fehler der vergangenen 30, 40 Jahre zu lindern. Doch es muss uns bewusst sein: Alles, was wir nach einer Vollversiegelung in einer Stadt wie Wien machen können, ist nur Kosmetik.“

Und wie es bei Kosmetik eben ist: Es geht vor allem um ein besseres Aussehen. Die Situation unter der Oberfläche ist eine ganz andere Sache. Bei den als Vorzeigeprojekten beworbenen Neugestaltungen am Praterstern und am Neuen Markt sei etwa die starke Unterbauung der Plätze ein Problem, so Lička. Während am Praterstern aufgrund der U-Bahn bei der Bepflanzung nicht in die Tiefe gegangen werden konnte, habe man am Neuen Markt vor der Neugestaltung der Oberfläche einen Privaten eine Garage errichten lassen: „Das wäre nicht nötig gewesen.“

Dabei ist nicht nur das oberflächliche Aufheizen von Flächen, in denen Asphalt oder Steinplatten dominieren, ein Problem, sondern auch die Verdichtung des Bodens, in dem Regenwasser nicht mehr versickern und gespeichert werden kann und auch Bäume große Schwierigkeiten haben, normal Wurzeln zu schlagen. Weil aber Beschattung und Begrünung unbestritten immer wichtigere Kernelemente von städtischer Lebensqualität sind, hat man aufwändige Verfahren entwickelt, den Bäumen unter der Oberfläche wieder entsprechenden Lebensraum zu schaffen: die Schwammstadt.

„Nebelduschen alleine reichen nicht aus“

„Idealerweise werden zahlreiche, klimafitte Bäume nach dem Schwammstadtprinzip gepflanzt. Dadurch steht ihnen ausreichend Wurzelraum zur Verfügung, sie können Starkniederschläge abfangen und nur so wird gewährleistet, dass sie alterungsfähig sind und all ihre positiven Effekte (Beschattung, Bindung von CO₂, Verdunstung, ...) wirksam werden“, sagt Isabel Auer. Die Meteorologin und Stadtklimatologin, die eine „Wiener Stadtklimaanalyse“ erstellt hat, mahnt „den Blick auf die Gesamtstadt“ ein: „Wir benötigen dringend strategische, rechtliche Rahmenbedingungen für Klimawandelanpassung - wie etwa durch Vorgaben in der Bauordnung, verbindliche Durchführung von klimatischen Analysen bei großen Projektvorhaben und dem Freihalten von Kaltluftbahnen.“ Einem angesichts knapper werdenden Frischwassers nötigen Regenwassermanagement fehlten oft die rechtlichen Grundlagen, weiß Stangl: „Dachwasser darf in Wien etwa nicht auf öffentlichem Grund entwässert werden.“

Stattdessen setzt die Stadt Wien lieber auf hübsche und gut vermarktbare Wasserspiele. „Nebelduschen können ein Puzzleteil einer klimafitten Gestaltung sein, weil sie im direkten Kontakt für eine ‚erlebbare‘ Erfrischung sorgen. Nebelduschen alleine reichen aber leider nicht aus, um die Hitzebelastung untertags - die eine zunehmend größere Herausforderung wird - wirkungsvoll zu reduzieren“, stellt Auer klar. Lilli Lička wird noch deutlicher: „Nebelduschen sind eine Symptombekämpfung und eine Spielerei. Klimatisch verändern sie nichts.“

Die drei Expertinnen sind sich einig: Die paar Prestigeprojekte, zu denen nun auch die Begrünung des Museumsquartiers kommt, sind schön und gut, doch die wahren Defizite auf dem Weg zur städtischen Klimafitness liegen anderswo - etwa bei der Stadtwüste Schwedenplatz, am zugepflasterten Schwarzenbergplatz oder um dem Hauptbahnhof. „Der Hauptbahnhof ist insgesamt eine Katastrophe“, meint Lička. „Rund um den Hauptbahnhof herrscht der Oberwahnsinn. Dabei wurde der in einer Zeit errichtet, in der die Problematik von Bodenversiegelung und Aufheizung längst bekannt war“, ärgert sich Stangl: „Das kann ich nicht nachvollziehen!“

Flächenversiegelung gering halten

Vor allem aber geht es um eine konsequente Strategie für neue Bauprojekte. „Der Rückbau geht nur Schritt für Schritt - gleichzeitig werden aber bei Neubauprojekten weiterhin riesige Flächen frisch versiegelt und wichtiger Vegetationsaltbestand erst einmal großflächig beseitigt“, so Stangl. „Viel wichtiger als aufwendig und kostspielig Bäume nach dem Schwammstadtprinzip zu pflanzen, wäre es, möglichst viele Flächen erst gar nicht zu versiegeln, sondern zu erhalten und zu regenerieren“, sagt Lička.

Die Professorin engagiert sich in der Bürgerinitiative „Westbahnpark jetzt“ für eine zusammenhängende Grünfläche entlang der Felberstraße. Hier habe die Stadt Wien die Chance, „ein wirkliches Statement zu setzen, dass sie sich nicht nur theoretisch und werbewirksam zur Klimaanpassung bekennt, sondern auch für die Zukunft handelt“, so Lička, die allerdings nach mehreren Beteiligungsformaten, die ergaben, „dass alle den Park wollen und niemand eine Bebauung“, den Verdacht hegt, es handle sich um „reines Particitainment, in welches Bürger*innen hunderte Arbeitsstunden einspeisen“.

Wie bei der künftigen Oberflächengestaltung der 2er-Linie nach dem U-Bahn-Bau übe sich die Stadt in Lippenbekenntnissen, die auch als Verzögerungs- oder Hinhaltetaktik verstanden werden könnten. „Die große Entsiegelung sehe ich nur bedingt. Man ist sehr stark hinten nach - dabei wäre allerhöchste Eisenbahn geboten“, sagt Rosemarie Stangl. Die Zeit drängt. Schon vor vier Jahren prognostizierte eine Studie der ETH Zürich für Wien bis 2050 Temperaturen, wie sie heute in der nordmazedonischen Stadt Skopje üblich sind.

Die Boku-Studie „Grünraumgerechtigkeit für eine resiliente Stadt“ plädiert nicht für einzelne, prestigeträchtige Maßnahmen, sondern für gründliches Umdenken und energisches Umsetzen. So könnten etwa aus Straßen Straßenparks werden, keine Asphaltbänder für den privaten Autoverkehr, sondern Erholungs- und Grünraum mit Erschließungsfunktion. In der Executive Summary, häufig das Einzige, das von Politikerinnen und Politikern gelesen wird, heißt es jedenfalls unmissverständlich: „Die Studienautor:innen betonen, dass einzelne Begrünungsmaßnahmen noch nicht zu Grünraumgerechtigkeit führen.“ (APA)

Die gesamte Studie zum Download finden Sie hier.

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