Wachstum - welches Wachstum?

Wachstum welches Wachstum
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Wifo und IHS versprechen uns ein wenig BIP-Wachstum. Viele Indikatoren - vom Arbeitsmarkt bis zur Einkommensentwicklung - deuten freilich darauf hin, dass wir es teilweise mit Scheinwachstum zu tun haben.

Die heimische Wirtschaftsleistung wird heuer real zwischen 0,8 und ein Prozent und im kommenden Jahr um 1,8 Prozent wachsen, prognostizieren die Wirtschaftsforschungsinstitute Wifo und IHS in ihrer jüngsten, gestern vorgestellten Prognose. Das ist erfreulich, allein schon wegen des Aufwärtstrends.

Wenn man sich die Zahlen genauer anschaut, kommen einem freilich erhebliche Zweifel daran, ob es derzeit real überhaupt Wachstum gibt. Verschiedene Daten – etwa die hartnäckig steigende Arbeitslosenrate, die Entkopplung von BIP- und Realeinkommenswachstum (siehe Grafik) oder die (wie es ein heimischer Ökonom ausdrückte) immer stärker „gefühlte Armut“ in den unteren Einkommensdezilen passen nicht so recht mit den schönen BIP-Werten zusammen.

Bevor wir zur Sache kommen, zwei sehr interessante Zahlen vom Statistischen Zentralamt: Seit dem Jahr 2000 ist das Bruttoinlandsprodukt (also die Wirtschaftsleistung) Österreichs nominell um 101,5 Mrd. Euro gewachsen. Die Staatsschuld hat gleichzeitig um 92 Mrd. Euro zugenommen. Mit anderen Worten: 90 Prozent des „Wohlstandsgewinns“ im letzten Jahrzehnt war kreditfinanziert.

Natürlich: Auch Wachstum auf Pump ist Wachstum. Ob Wachstum, das auf Vorgriffen auf die Zukunft basiert, besonders real ist, ist freilich die Frage. Nachhaltig ist es jedenfalls nicht: Kredite müssen zurückbezahlt oder mittels Inflation, Währungsreform oder anderer unschöner Dinge entwertet werden. Beides wird zukünftige BIP-Wachstumsraten bremsen.

Wie fiktive Zahlen das BIP „aufblasen“

Die netten BIP-Werte sind aber auch von ihrer Genesis her zu hinterfragen. Denn die Volkswirtschaft lässt sich nicht bis in alle Ecken statistisch erfassen, die Volkswirtschaftliche Gesamtrechnung (VRG) ist also klarerweise keine exakte Wissenschaft. Sie bietet eine Menge Spielraum. Und der wird, wie nicht wenige Ökonomen meinen, auch intensiv genutzt. Anders gesagt: Das Bruttoinlandsprodukt wird ein wenig aufgepumpt, wodurch alle am BIP gemessenen Daten (etwa die Staatsschuldenquote) gleich ein wenig freundlicher aussehen. Am Beispiel Pfusch: Schwarzarbeit ist natürlich Teil der Wirtschaftsleistung, das Volumen lässt sich mangels Rechnungslegung aber nur schätzen. In Österreich geht der Pfusch mit rund acht Prozent des BIPs in die VGR ein, in Deutschland mit 14 (was darauf hindeutet, dass das deutsche BIP noch aufgeblasener ist als das österreichische). Dass die Deutschen fast doppelt so viel pfuschen wie die Österreicher wäre nämlich eine echte Überraschung – wenn es wahr wäre. Es zeigt aber zumindest, welchen Spielraum Schätzungen bei der BIP-Gestaltung ermöglichen.

Dann wären da noch die so genannten „imputierten Mieten“. Das sind die Mieten, die Hausbesitzer und Wohnungseigentümer an sich selbst bezahlen würden, wenn sie ihre Behausungen gemietet hätten. Eine rein fiktive Zahl – die das BIP aber um mehr als fünf Prozent „aufbläst“. Dafür überweist der Bund auf der anderen Seite echtes Geld an die Schulverwaltungen, damit sie das ihm (bzw. seiner Immobiliengesellschaft) als Mieten zurücküberweisen können. Ein reines In-sich-Geschäft also – das aber das BIP erhöht. Man wird nicht weit danebenliegen, wenn man meint, dass das BIP solcherart insgesamt um 15 bis 20 Prozent nach oben gerechnet wird.

Dafür macht man auf der anderen Seite die Inflation klein. Etwa durch die seit mehr als 10 Jahren übliche „hedonische“ Preisberechnung, bei der Qualitätssteigerungen von den echten Preisen abgezogen werden. Die so berechnete Inflation liegt deutlich unter dem, was gemeine Bürger an der Supermarktkassa oder beim Einzahlen der Müllgebühr „fühlen“.

Das ist praktisch, denn nominelle Einkommenssteigerung minus Inflation ist reale Einkommenssteigerung. Nimmt man die echte Inflation (etwa den deutlich über der Inflationsrate liegenden „Mini-Warenkorb“), dann wird in der Realität aus ein paar Zehntelprozent „realer“ Einkommensteigerung schnell ein Einkommensverlust.

Großer Spielraum

Noch krasser geht es beim realen BIP-Wachstum zu. Dort kommt nämlich nicht die Inflationsrate zum Abzug, sondern ein normalerweise deutlich darunter liegender Deflator, der ausschließlich die Preissteigerungen inländischer Güter und Dienstleistungen misst und damit Preistreiber wie etwa Rohöl unberücksichtigt lässt. Ein Beispiel: 2011 war die Inflationsrate 3,3 Prozent, der Deflator aber nur 2,1 Prozent. Gemessen an der offiziellen Inflationsrate wäre das Wachstum also um mehr als einen Prozentpunkt niedriger gewesen.

Bei solchen Differenzen und Gestaltungsspielräumen sagt ein prognostiziertes Wachstum von 0,8 Prozent nichts darüber aus, ob die Wirtschaft real wirklich wächst oder nicht. Aussagen treffen kann man aber über die Tendenz (weil über die Zeitreihe ja gleich richtig oder falsch gerechnet wird).

Insofern kann man sagen, dass uns die Prognostiker eine Aufhellung der Wirtschaftslage voraussagen. Ob das schon Wachstum ist – nun, das wissen wir nicht. Die Prognose für den Arbeitsmarkt (weiterer Anstieg der Arbeitslosenrate) spricht eher nicht dafür. Aber immerhin: Über dem Europa-Schnitt werden wir auch heuer und im kommenden Jahr liegen.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 22.03.2013)

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