Literatur

Was geschah im Club Bataclan?

Emmanuel Carrère ist hierzulande spätestens seit seinem autofiktionalen Roman „Yoga“ ein Begriff.
Emmanuel Carrère ist hierzulande spätestens seit seinem autofiktionalen Roman „Yoga“ ein Begriff.Julia von Vietinghoff
  • Drucken

Relevant, klug und bewegend: Emmanuel Carrères Reportage „V13“ über Frankreichs Jahrhundertprozess zu den Terroranschlägen vom November 2015.

Es gibt mehrere schwarze Freitage in der Geschichte. Einer davon erschütterte Frankreich. Am Freitag, den 13. November 2015, wurden an drei Orten in Paris Terroranschläge verübt, allen voran im Club Bataclan, die 130 Todesopfer forderten. Frankreichs „Jahrhundertprozess“ dazu fand vom 8. September 2021 bis 29. Juni 2022 in einer eigens dafür gebauten weißen Box vor dem Palais de Justice auf der Île de la Cité in Paris statt. Emmanuel Carrère, der auch hierzulande spätestens seit seinem autofiktionalen Roman „Yoga“ ein Begriff sein sollte, war während dieser neun Monate jeden Tag dort, hat sämtliche Aussagen der Überlebenden gehört, die Verhöre der An­geklagten, die Plädoyers von Staatsanwaltschaft und Verteidigung, schließlich das Urteil. Wöchentlich hat er für „L’Observateur“ eine Kolumne geschrieben, darauf aufbauend ist das 280-seitige Buch „V13“ (für Freitag, vendredi, den 13.) entstanden. Und das hat es in sich. Auch wenn es makaber klingt, weil in dem Buch hundertfach unbegreifliches, echtes Leid verhandelt wird: „V13“ ist als Lektüre äußerst spannend, politisch relevant, sehr klug und emotional packend.

Die Personen des Prozesses lernt man als Leser kennen wie Figuren in einem Roman

„V13“ liefert ebenso viele Informationen zum Thema Radikalisierung, Dschihadismus, zum tragischen Verlauf des Arabischen Frühlings und den Gepflogenheiten im vom IS ausgerufenen Kalifat Bilad al-Scham wie ein Sachbuch. Da sämtliche Informationen an konkrete Personen gekoppelt sind – an die Zeugen, Angeklagten oder Experten –, erhalten diese gleichsam ein Gesicht; sie werden plastischer, emotionaler und damit einprägsamer. Gleiches gilt für die Schilderungen der Geschädigten – der überlebenden Opfer und der Hinterbliebenen der Ermordeten: Das Leid, das für alle Menschen, die diese Attentate nicht erlebt haben, absolut unvorstellbar ist, wird in „V13“ zumindest nachvollziehbarer. Die Personen des Prozesses lernt man als Leser kennen wie Figuren in einem Roman. Weil hier reale Personen erzählen, erhalten ihre Aussagen durch die Faktizität noch größeres Gewicht.

Lesen Sie mehr zu diesen Themen:


Dieser Browser wird nicht mehr unterstützt
Bitte wechseln Sie zu einem unterstützten Browser wie Chrome, Firefox, Safari oder Edge.