Volles Haus statt leerer Fabriken

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Wie entstehen Kreativquartiere, wie viel Unterstützung brauchen Kreative, und was kann Wien dabei von Hamburg oder Linz lernen? Ein Rückblick auf die Kreativ-Enquete.

Es sind kleine Brutstätten, alte Fabriksgelände, kleine Grätzel, in denen sich das Leben der Künstler und Kreativen konzentriert. Und doch sollen es keine Enklaven sein, offene Orte, von denen ganze Städte profitieren. Und, es sind prestigeträchtige Orte, kein Wunder also, dass Stadtplaner und -politiker Kreativquartiere längst als Lieblingsprojekte entdeckt haben. Diese zu etablieren, das aber ist ein Balanceakt.

Welche Unterstützung brauchen Kreative, und wie viel ist zu viel? Wie können brachliegende Areale lebendige Zentren werden, und wie bringt man Künstler und Wirtschaftstreibende zusammen? Diese Fragen waren jüngst das Thema der diesjährigen Kreativ-Enquete im Parlament. So wie die Frage, was die Köpfe hinter Best-practice-Quartieren denn richtig gemacht haben, damit diese funktionieren.

Zum Beispiel in Hamburg. Geht es um Kreativquartiere, hat die Hansestadt Wien noch einiges voraus. Obwohl viele Kreative nach Berlin wandern, sei Hamburg nach wie vor das kreative Zentrum Deutschlands, sagt Inga Wellmann. Sie leitet das Referat für Kunst und Kreativwirtschaft in der Hansestadt, war zuvor selbst lange in der Szene aktiv und ist nun als Keynote-Sprecherin im Parlament in Wien.

Die Stadt als Makler und Financier. 2012 haben die 80.000 Menschen, die in Hamburgs Kreativszene arbeiten, für einen Jahresumsatz von 10,6 Milliarden Euro gesorgt (Hamburger Kreativwirtschaftsbericht). Um diesen zu halten, geht Hamburg bei der Förderung der Kreativen seit drei Jahren einen neuen Weg: 2010 wurde die Hamburg-Kreativ-Gesellschaft (HKG) gegründet. Eine Dienstleistungseinrichtung für Kreative, aber ohne bürokratischen Überbau, so Wellmann.

Die Gesellschaft vermittelt etwa Immobilien – die HKG mietet Immobilien an und vermietet sie an Kreative weiter. Das reduziere den Aufwand für Kreative – und nehme Eigentümern Ängste, Kreative könnten einziehen, nicht zahlen und seien nicht mehr loszuwerden. Gerade angesichts der großen Zahl an Einzelunternehmern in der Kreativbranche sei ein Vereinfachen des bürokratischen Prozedere eine große Hilfe.

Daneben betreibt die HKG eine Crowdfunding-Plattform oder kümmert sich um die Entwicklung von Arealen. Wellmann sieht die Hansestadt als Vorreiterin, wenn es darum geht, unbürokratisch auf Kreative zuzugehen. Dabei war der Start nicht leicht: War doch die Kreativgesellschaft für die Künstlerszene erst ein rotes Tuch. Auch den Zuspruch der Wirtschaftstreibenden habe man sich erst erkämpfen müssen.

Raum, WLAN und Ruhe, bitte. Heute versucht die HKG, quer über Hamburg verteilt neue Kreativquartiere zu etablieren. Zum Beispiel das Oberhafenquartier, einen Teil der neuen Hafencity, in der alte Güterhallen von Kreativen bespielt werden sollen. Oder in der noblen Speicherstadt, in der die HKG günstige Ateliers vergibt. Daneben überlegt die HKG, eine alte Kaserne zu kaufen, oder ist maßgeblich an der Revitalisierung des Gängeviertels beteiligt.

Wellmann spricht von diesen Orten und Projekten als „Brutplätze mit Betastatus“, als Experimentier- und Testfelder zwischen Handwerk, Technik und Subkultur. „Top-down geht in diesem Bereich gar nicht“, sagt sie. Und das fordern die Vertreter der Szene auch ein. Lars Hinrichs, Gründer von Xing und prominenter Kopf der Hamburger Start-up-Szene, etwa habe ihr einst geraten: „Alles, was Kreative von der Stadt brauchen, sind günstige Flächen und gutes WLAN, abgesehen davon, lasst uns lieber in Ruhe.“


Leuchtturmprojekt mit Sogwirkung.Raum zu schaffen, das ist auch in Linz gelungen, und das nicht zu knapp: 80.000 Quadratmeter Nutzfläche bietet die Tabakfabrik, die seit 2009 der Stadt Linz gehört. Chris Müller, künstlerischer Leiter der Tabakfabrik, spricht von einem Leuchtturmprojekt für ganz Oberösterreich – mit einer Sogwirkung, die bis Wien reicht. „Wir sehen uns als Zentrum, aber wir wollen auch Projekte mit Partnern“, sagt er. Und die Fabrik soll kein elitärer Elfenbeinturm sein. „Es geht um Kreativität, um Arbeit, Soziales und Bildung“, so Müller, der den Geist der alten Fabrik erhalten will – etwa, indem ehemalige Fabriksarbeiter dort heute mitgestalten. Mittlerweile haben sich Unternehmen angesiedelt, klassische wie Start-ups, Veranstaltungen vom Clubbing bis zu Firmenfeiern finden statt, zuletzt wurde die Ausstellung „Terrakotta-Armee“ eröffnet. Was genau dort noch alles passieren soll oder kann, ist offen. Fertig entwickelt im herkömmlichen Sinne, könne die Tabakfabrik auch nie sein, da es immer Freiräume für Experimente brauche.


Verständnis wächst. Neue Großprojekte wie die Tabakfabrik sind in Wien aktuell nicht am Entstehen. Versuche, Kreative in den Zielgebieten der Stadtentwicklung anzusiedeln, gibt es freilich: etwa in Aspern, im Arsenal, in St.Marx oder um die neuen Bahnhöfe.

Das Konzept des Hamburger Referats solle auch in Wien Schule machen, sagt Elisabeth Hakel, SPÖ-Sprecherin für Creative Industries. Wichtig sei, gemeinsam mit Kreativen Ideen zur Förderung zu entwickeln. Und da habe sich in den vergangenen Jahren viel verändert. Edeltraud Stiftinger, die Geschäftsführerin vom Austria Wirtschaftsservice (AWS), erzählt, der erste Fördercall der Technologieagentur der Stadt Wien (Zentrum für Innovation, ZIT, Stiftinger war dort Geschäftsführerin) sei nun genau zehn Jahre her. Damals gab es 117 Einreichungen, es ging um eine neue Zielgruppe, und viel Unverständnis – auf beiden Seiten. Mittlerweile sei viel Verständnis gewachsen– auf beiden Seiten.

Brutstätten

Wie entstehen Kreativquartiere, welche Unterstützung brauchen Kreative, um freie Areale zu nutzen? Das war Thema der Kreativ-Enquete, die jüngst im Parlament stattfand.

Hamburg, nach Eigendefinition Kreativzentrum Deutschlands, geht mit der städtischen Agentur HKG neue Wege.

In Linz ist auf dem Areal der Tabakfabrik seit 2010 ein neues Kreativquartier entstanden – für Chris Müller ein gelungenes Beispiel eines top-down-initiierten Bottom-up-Prozesses.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 14.04.2013)

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