Deutschland

Das große Zittern vor der AfD

„Die EU muss sterben“, sagte AfD-Politiker Björn Höcke in Magdeburg.
„Die EU muss sterben“, sagte AfD-Politiker Björn Höcke in Magdeburg.Imago / Dts Nachrichtenagentur
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Das Umfragehoch der rechten Kleinpartei beschäftigt die größte Volkswirtschaft Europas. Das radikale Lager hat übernommen. Rufe nach einem Parteiverbot nehmen zu.

Jens Kestner hat sich in Rage geredet. Er spricht von einer Wiedergeburt Europas, das wie ein Neugeborenes die Faust ballen müsse. Von einer Festung, deren Schlüssel weggeworfen werden sollte, bis alle in Reih und Glied gebracht wurden. Von einer Speerspitze, die er ins Fleisch seiner Feinde treiben werde. Selbst die katholische Kirche empfindet er nicht mehr als barmherzig, sondern gefährlich. „Ja, das ist Bürgerkrieg, Freunde!“, ruft er. Und: „Ich bin Deutscher, ich werde als Deutscher leben, und glauben Sie mir, ich werde auch als Deutscher sterben!“

Wer dem 51-Jährigen am Freitag zuhörte, konnte meinen, er stünde kurz davor, ein Heer in die entscheidende Schlacht zu führen. Doch Kestner steht auf der Bühne einer Mehrzweckhalle in Magdeburg, Sachsen-Anhalt. Es geht nicht um sein Leben, sondern den 17. Listenplatz der „Alternative für Deutschland“ (AfD) für die EU-Parlamentswahl im kommenden Juni.

Deutschland galt im vergangenen Jahrzehnt als Sonderfall. Die Briten wählten sich aus der EU, die US-Amerikaner entschieden sich für Donald Trump, in vielen europäischen Ländern schafften es rechte oder rechtspopulistische Parteien in die Regierung. Nur in Deutschland wurde die AfD kompromisslos ausgegrenzt.

Verfassungsschützer schweigt

Nun liegt die Partei seit Wochen an zweiter Stelle der bundesweiten Umfragen in der größten EU-Volkswirtschaft. Die deutschen Zeitungen widmen dem Aufstieg der Rechten eine Titelgeschichte nach der anderen. Es wirkt, als könnte Deutschland mit Verzögerung an den rechten Rand heranrutschen.

Wie der tickt, ließ sich dieses und vergangenes Wochenende in Magdeburg beobachten (die „Presse“ berichtete). Dort hält die AfD bis Sonntag einen Parteitag ab. Er habe „rechtsextreme Verschwörungstheorien“ vernommen, sagte Thomas Haldenwang, Chef des Bundesverfassungsschutzes nach dem ersten Teil. Daraufhin wurde er vom Verwaltungsgericht in Köln zum Schweigen angehalten. Die AfD hatte dies in einem entsprechenden Eilantrag gefordert. Der oberste Verfassungsschützer stimmte zu, bis Montag keine Bewertung mehr abzugeben.

Die Stimmung ist angespannt – auch weil die AfD in den vergangenen Jahren die letzten Gemäßigten aus ihren Reihen vertrieben hat. In Magdeburg will der „Spiegel“ eine weitere Machtverschiebung beobachtet haben: Der Anführer des extrem rechten Lagers, Björn Höcke, habe an Einfluss verloren. Statt ihm ziehe zunehmend ein Netzwerk um den 34-jährigen Sebastian Münzenmaier aus Hessen die Fäden. Auch er gilt als sehr weit rechts außen. Vor sechs Jahren wurde der Parlamentarier wegen „Beihilfe zur gefährlichen Körperverletzung“ verurteilt. Er soll laut Ansicht der Richter eine Rolle bei einem Überfall von Fußballhooligans auf verfeindete Fans gespielt haben. Münzenmaier streitet das ab.

Parteiverbot gefordert

SPD-Chefin Saskia Esken stellte am Freitag in den Raum, die AfD zu verbieten. „Nach meiner Ansicht verfolgt sie verfassungsfeindliche Ziele und muss vom Verfassungsschutz beobachtet werden“, sagte sie. In weiterer Folge könnte die Partei verboten werden. Etwas Ähnliches hatte auch der ehemalige Ostbeauftragte der Bundesregierung, der CDU-Parlamentarier Marco Wanderwitz, gefordert.

Der Druck von außen hilft der Partei wohl, ihre Uneinigkeit und Machtkämpfe zu überspielen. In Magdeburg wurde nur über ein Thema offen gestritten – den Austritt Deutschlands aus der EU, den Dexit. Bei der Bundestagswahl im Jahr 2021 stand er im Wahlprogramm. Damals befand sich die Partei im Sinkflug, am Ende landete sie bei rund zehn Prozent.

Nun möchten manche in der Partei die guten Umfragewerte nicht mit einer radikalen Forderung wie dem Dexit riskieren. Einige AfDler sorgen sich außerdem, von anderen großen europäischen Rechtsparteien geschnitten zu werden, sollten sie einen EU-Austritt in ihrem Programm haben. Weil der Wunsch nach einem Dexit beim ganz rechten Flügel aber groß ist, könnte die AfD die Entscheidung auf das Frühjahr verschieben.

Jens Kestner hat Listenplatz 17 mit seiner Rede bekommen, auch er zählt zu den extrem Rechten. Die Parteispitze wollte ihn vor einem Jahr ausschließen, sie warf ihm Intrigen vor. Wenn die Umfragen stimmen, wird Kestner ab nächstem Sommer in Brüssel arbeiten.

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