Dorf? Großstadt? Meidling!

Dorf Grossstadt Meidling
Dorf Grossstadt Meidling(c) Clemens FABRY
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Mit dem "Palais Kabelwerk" versorgt Erich Sperger den zwölften Bezirk mit Kunst und Kultur. An Meidling mag er die dörfliche Struktur, das Barockschloss und das Schnapsmuseum.

Eine Kindergartengruppe verlässt gerade, brav in Zweierreihe, das Gebäude, eben ist die Kasperlvorstellung zu Ende gegangen. Ja, auch das gehört zum Programm eines Vorstadttheaters wie dem „Palais Kabelwerk“ in Meidling: vormittags der Kasperl, abends eine moderne Tanzperformance, eine (Off-)-Theaterproduktion oder eine Schreibwerkstatt. Erich Sperger, künstlerischer Leiter des „Palais Kabelwerk“, das sich „kulturelles Stadtlabor“ nennt, steht im Hof vor dem Palais. Auf dem riesigen Areal war ein Jahrhundert lang die Kabelwerkfabrik angesiedelt, jahrzehntelang einer der größten Arbeitgeber der Stadt. Vom alten Fabriksgebäude ist wenig übrig – einzig einige Ziegelmauern hat man erhalten.

Auf dem ehemaligen Fabriksgelände sind neben dem „Palais Kabelwerk“ zahlreiche Wohnhäuser sowie ein Altersheim entstanden, an die 3000 Leute leben heute hier auf dem Areal. Niederschwellig und leicht zugänglich sollte das „Kabelwerk“ sein, betonte man stets rund um die Eröffnung 2009, dies sei gelungen, sagt Sperger. „Das Programm wird von den Meidlingern gut angenommen. Kindertheater sind sehr beliebt, es gibt hier auf dem Areal vier Kindergärten.“ Aber auch für Tanz- und Performanceproduktionen würden sich die Bewohner interessieren.

Sperger verlässt das Areal, spaziert stadtauswärts die ruhige Oswaldgasse entlang. Als „begeisterter Stadtgeher“ hat Sperger, gebürtiger Vorarlberger, den zwölften Bezirk zu Fuß erkundet. An Meidling gefällt dem Kabelwerkchef, der selbst in der Josefstadt wohnt, die immer noch erkennbare dörfliche Struktur. „Hier sind ja viele Dörfer zusammengewachsen, das lässt sich an manchen Orten noch erahnen.“ Wie auf dem Khleslplatz mit seiner alten Kirche, den niedrigen, hübschen Häusern (mit teils fast verwunschenen Gärten) und den beiden Heurigen („Zum alten Pflug“, „Zum Fünfer-Pflug“). „Hier kann man sich noch bildhaft vorstellen, wie es früher als Dorf ausgesehen hat.“ Trotz des Autoverkehrs ist der Platz ein ruhiger Ort mitten im Bezirk geblieben.

Ein paar Gehminuten weiter ist es mit der dörflichen Idylle vorbei. Die riesigen Wohnhausanlagen „Am Schöpfwerk“ stehen für den Großstadtcharakter, den der Bezirk an vielen Stellen auch hat. Mit Kindergärten, Schulen, Polizeiinspektion, Bücherei und Kapelle ist die Schöpfwerksiedlung, in der an die 6000 Menschen leben, so etwas wie eine kleine Stadt in der Stadt.

Immer wieder führen Spergers Spaziergänge auch in Richtung Hetzendorf zum gleichnamigen Barockschloss. „Das Schloss hat wunderschöne Prunksäle, die große Parkanlage ist wunderbar.“ Seit 1946 ist in einem Teil des Schlosses die Modeschule Hetzendorf untergebracht.

Vom Kabelwerk, das nahe der U6-Station „Tscherttegasse“ liegt, ist es nur eine U-Bahn-Station (bis Philadelphiabrücke) bis zu einem weiteren Lieblingsort Spergers: dem Altwiener Schnapsmuseum in der Wilhelmstraße. „Ich habe das Schnapsmuseum zufällig bei einem Bezirksfest kennengelernt“, erzählt er. „Es fasziniert mich, weil es eine sehr lange Geschichte hat.“ Mit Bränden und Likören aus der Destillerie wurde schon das Kaiserhaus beliefert. Das historische Interieur des kleinen, privat geführten Museums ist großteils noch erhalten, „man glaubt fast, man befindet sich in einer alten Apotheke“, sagt Sperger.

Platz für junge Künstler. Dem Grätzel ist Sperger schon länger verbunden. Nach dem Aus für die alte Fabrik 1998 war er – gemeinsam mit anderen Künstlern, darunter Hubsi Kramar – für die Zwischennutzung der leer stehenden Hallen verantwortlich. „Das war damals ein wildromantischer, anarchischer Ort, das ist mit dem heutigen Palais kaum vergleichbar.“ Statt riesiger Hallen hat man heute im Palais zwei Veranstaltungszentren, die insgesamt 1000 Besucher fassen. Künstler können sich mit ihren Stücken und Performances einmieten, die Nachfrage von künstlerischer Seite sei groß. „Wir sind mittlerweile dreifach überbucht, immer wieder müssen wir interessanten Produktionen absagen.“

In nächster Zeit steht etwa Bärbel Strehlaus Stück „Goodbye Europe oder wie ich den Mauerfall verpennte“ auf dem Programm, in dem drei Schauspieler mit einem wechselnden prominenten Gast (u.a. am 26.Juni Paul Lendvai, am 27.Juni Maria Vassilakou) über Europa diskutieren. Das Palais will auch jungen, noch nicht etablierten Künstlern eine Plattform bieten. „Das ist etwas, was ich in Wien vermisse: Die Stadt müsste mehr auf zeitgenössische Kunst setzen. Sehr viele junge Künstler leben unter prekären Bedingungen“, sagt Sperger auf dem Weg zurück ins Kabelwerk. „Wien ist sehr historisch-lastig, und das ist auch gut so. Aber der jüngere Sektor befindet sich ein bisschen im Dornröschenschlaf.“

("Die Presse", Print-Ausgabe, 28.04.2013)

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