Wo bleibt die gefürchtete Inflation?

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Notenbanken fluten die Märkte mit Geld. Trotzdem bleibt die Teuerungsrate niedrig. Die Furcht vor Geldentwertung ist aber nicht unbegründet. Die Inflation kommt früh genug.

Wien. Mit EZB-Chef Mario Draghi hat auch der letzte große Notenbanker die Zinsen auf ein Rekordtief gesenkt. USA, Europa, Japan: Allerorten setzen Währungshüter auf billiges Geld, um die stotternde Wirtschaft anzukurbeln, und schüren damit vor allem eines: Angst vor rapider Geldentwertung.

Doch die gefürchtete Inflation lässt auf sich warten. Erst am Donnerstag verkündete die EU-Kommission, dass die Teuerungsrate heuer auf 1,8 Prozent – unter das Stabilitätsziel der EZB – fallen wird. In Deutschland sorgen Bücher wie „Die Inflationslüge“ von „Zeit“-Autor Mark Schieritz für Furore. Waren also all unsere Warnungen unbegründet? Kommt die Inflation gar nicht, kommt sie später, oder ist sie längst da? „Die Presse“ beantwortet die wichtigsten Fragen zur Geldentwertung.

1 Warum sind die Inflationsraten trotz der tiefen Zinsen so niedrig?

Angesichts der wirtschaftlichen Lage ist die Inflation alles andere als niedrig. Denn wenn die Wirtschaft wie in Europa lahmt, Unternehmen und Private weniger nachfragen, müssten die Preise eigentlich fallen. Stattdessen steigen sie trotz Rezession an – zwar moderat, aber eben doch. Noch im April 2009 erwartete auch der Internationale Währungsfonds, dass die Preise in diesem Jahr fallen würden. Stattdessen stiegen sie in der EU um ein Prozent.

2 Können die Notenbanken überhaupt Inflation erzeugen?

Es stimmt, dass ein Übermaß an Geld die Kaufkraft und damit die Preise steigen lässt. Allein können die Notenbanken allerdings keine Inflation erzeugen. Denn für eine richtige „Geldschwemme“, von der oft die Rede ist, braucht sie die „Hilfe“ der Geschäftsbanken. Die Notenbanken erschaffen nur einen kleinen Teil des „frischen“ Geldes. Dieses sogenannte Basisgeld verdoppelte sich in Europa seit Anfang 2008 bis September 2012 tatsächlich auf 1,8 Billionen Euro. Die wahren „Geldschöpfer“ sind aber die Geschäftsbanken. Wann immer sie Kredite vergeben, verleihen sie Geld, das vorher eigentlich nicht existiert hat. Nur: Derzeit zaudern viele Kreditinstitute bei der Darlehensvergabe und horten ihr Geld lieber bei der EZB. Die Geldmenge M3, die die Banken in die Höhe treiben könnten, stieg seit Ausbruch der Krise gerade einmal mit 1,1 Prozent im Jahr. 2007 lag dieser Wert etwa noch bei über zehn Prozent. Verglichen mit früheren Perioden ist der Geldwert heute stabil.

3 Ist die Furcht der Österreicher vor Geldentwertung unbegründet?

Nein. Angesichts der darbenden Wirtschaft sind höhere Inflationsraten derzeit zwar unwahrscheinlich, aber die Teuerung hängt eben nicht nur von der Geldmenge ab, sondern vor allem auch von der Nachfrage nach Gütern – egal, ob der Staat oder die Bürger einkaufen. Hohe Lohnsteigerungen, wie sie in Deutschland diskutiert werden, oder steigende Staatsausgaben könnten hier den entscheidenden Impuls geben. Und springt die Konjunktur doch wieder an, könnte es schnell gehen. Notenbanken versichern zwar, bei einem Aufschwung die Zinsen anzuheben oder Geld aus dem Markt „abzusaugen“, um eine ungezügelte Inflation zu verhindern. Ob das dann schnell genug geht, bleibt fraglich.

4 Warum haben viele jetzt schon das Gefühl, dass alles teurer wird?

Einerseits liegt die Teuerungsrate in Österreich deutlich über dem Schnitt der 27 EU-Länder. Andererseits, und noch wichtiger: Die offizielle Inflationsrate taugt kaum, um die echte Teuerung für den einzelnen Menschen abzubilden. Die Warenkörbe, die der Statistik zugrunde liegen, werden in jedem Land von den Statistikern mehr oder weniger willkürlich zusammengesetzt und gewichtet. Ihre Aussagekraft ist also beschränkt. So drückt die technologische Entwicklung bei Computern etwa Monat für Monat die Inflationsrate, ohne dass die Preise wirklich sinken würden. Stattdessen bekommen die Käufer für das gleiche Geld mehr Leistung, so die Idee hinter der „hedonischen“ Preisberechnung. Dumm nur für jene, die sich nicht alle paar Wochen mit neuer Elektronik eindecken wollen. Aussagekräftiger ist der Miniwarenkorb, der Güter des täglichen Einkaufs umfasst. Diese „gefühlte“ Inflation stieg in Österreich in den letzten Jahren mitunter um bis zu sieben Prozent.

5 Wer profitiert am meisten von hohen Inflationsraten?

Die Formel ist einfach: Die Gläubiger verlieren, und Schuldner gewinnen. Vor allem Staaten fanden in der Geschichte oft Gefallen an hohen Inflationsraten, um ihre Schuldenberge unauffällig abschmelzen zu lassen. So auch in dieser Krise. Eine Hyperinflation von über 50 Prozent im Monat braucht es dafür gar nicht. Eine schleichende, dafür aber längere, Inflation von sechs Prozent wie in den 1970ern tut es auch – und ist den Bürgern leichter zu verkaufen.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 04.05.2013)

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