Kunst: Im Anfang war das Rad

Lukas Troberg. „Verfolger“ 2012. Der Bildhauer, spezialisiert auf Graffiti, Street-Art, war Erwin-Wurm-Student.
Lukas Troberg. „Verfolger“ 2012. Der Bildhauer, spezialisiert auf Graffiti, Street-Art, war Erwin-Wurm-Student.(c) Lukas Troberg
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Mobilität, Modernität, Rausch der Geschwindigkeit – all das wurde lange vor dem Auto mit dem Fahrrad verbunden. Die Kunst hat zu diesem Vehikel ein besonderes Verhältnis.

Von der Schönheit des Fahrrads haben viele schon geschwärmt. Die Formulierungen dazu fallen meist mehrgleisig aus, Assoziationen mit der Kunst sind eher nachrangig und gebrochen durch technische Aspekte oder auch sportliche: Das Akrobatische spielt da ebenso mit hinein – etwa in Form des Kunstrad-Fahrens oder der meisterhaften Beherrschung eines Trickrads – wie die Ästhetik der Konstruktion, beispielsweise die puristische Bauweise eines Bahn- oder Rennrades, was wiederum die Fetischisten und Aficionados auf den Plan ruft. Ein Grund dafür liegt sicher darin, dass das Rad, dessen Erfindung vor 6000 Jahren ein Meilenstein der Zivilisation war, im Prinzip ein Fall für die Technik ist. Somit spielt, was dessen Fortentwicklung zum Fahrrad betrifft, neben ästhetischen Überlegungen stets auch ein gewisser Utilitarismus hinein. Adam Opel (1837–1895), Gründer der Opel-Werke, in denen ursprünglich Nähmaschinen und Fahrräder hergestellt wurden, bevor 1898 die Automobilproduktion anrollte, konstatierte beispielsweise: „Bei keiner anderen Erfindung ist das Nützliche mit dem Angenehmen so innig verbunden wie beim Fahrrad.“

Legendär ist auch John F. Kennedys Ausspruch, der das Fahrrad als Fortbewegungsmittel lobte: „Nichts lässt sich mit der vergnüglichen Schlichtheit des Fahrradfahrens vergleichen.“ Eine eindeutige, zweckfreie, autonome Angelegenheit war das Fahrrad also nie, jedenfalls nicht im Sinn des klassischen Kunstverständnisses. Stattdessen spiegelt sich im Thema, wenn es zum Gegenstand künstlerischer Darstellung wurde, stets auch eine gehörige Portion Zeitgeist. So drückte etwa Henri Toulouse-Lautrec – einer der scharfsichtigsten Porträtisten der Pariser Bohème des späten 19. Jahrhunderts – deren leidenschaftliche Begeisterung für Geschwindigkeit und Wettkampf als Zeitzeichen nicht nur in zahlreichen Darstellungen von Pferderennen aus, sondern auch in Plakaten für den Fahrradkettenhersteller Simpson, die Szenen aus dem damals eben aufkommenden Radrennsport zeigen. Mit dem berühmtesten dieser Plakate setzte er der französischen Rennrad-Legende Constant Huret (1870–1951) ein Denkmal.

Picasso und sein „Stierschädel“-Rad. Noch pragmatischer mutet die Entstehungsgeschichte von Marcel Duchamps „Roue de Bicyclette“ 1913 an: ein Laufrad auf einer Fahrradgabel, das er mit ein paar Handgriffen auf einem Schemel fixiert hatte und das als erstes Readymade kunsthistorisch Furore machte.
Duchamp selbst kommentierte die Entstehung folgendermaßen: „Mir gefiel die Idee, ein Fahrrad-Rad in meinem Atelier zu haben. Es war, als hätte ich einen Kamin in meinem Atelier, die Bewegungen des Rades erinnerten mich an die Bewegungen von Flammen.“ Dass dieses „Fahrrad-Rad“ in der Folge zum Gegenstand künstlerischer Betrachtung wurde, kommt einem Betriebsunfall der Kunstgeschichte gleich. Duchamp selbst spielte seine Absicht herunter: „Ich wollte ja eigentlich kein Kunstwerk daraus machen. Der Ausdruck ‚Readymade‘ tauchte erst 1915 auf, als ich nach Amerika ging. Er interessierte mich als Wort, aber als ich ein Fahrrad-Rad mit der Gabel nach unten auf einen Schemel montierte, dachte ich dabei weder an ein Readymade noch an irgendetwas anderes, ich wollte mir so nur die Zeit vertreiben. Es gab keinen bestimmten Grund dafür, ich wollte es nicht ausstellen und nicht beschreiben.“

29 Jahre später drehte Pablo Picasso mit seiner Assemblage „Stierschädel“ (1942) den Spieß zwischen Kunst und Alltag erneut um: „Eines Tages nehme ich einen Fahrradsattel und eine Lenkstange, setze sie aufeinander und mache einen Stierkopf. Sehr gut. Was ich aber sofort danach hätte tun sollen: den Stierkopf wegwerfen. Ihn auf die Straße, in den Rinnstein, irgendwohin werfen, aber wegwerfen. Dann käme ein Arbeiter vorbei, läse ihn auf, fände, dass man aus diesem Stierkopf vielleicht einen Fahrradsattel und eine Lenkstange machen könnte. Und er tut es . . . Wundervoll wäre das.“

Medium der Demokratisierung. Picasso spielt mit dem „Tête de taureau“ auf das Fahrrad als Symbol des modernen Lebens an, das individuelle Fortbewegung ermöglicht, zum Medium der Demokratisierung und Emanzipation wurde. „Das Fahrrad war aber von Beginn an auch ein negatives Statussymbol der Armut. Vor allem die Künstler waren mit dem Fahrrad unterwegs, weil sie kein Geld hatten“, weist Rainer Ganahl, selbst überzeugter Radfahrer, der sich seit 2001 in Videos und Konzeptarbeiten intensiv auch künstlerisch mit dem Thema beschäftigt, auf einen wenig beachteten soziologischen Aspekt des heute zum Kultgegenstand stilisierten Gefährts hin. Diese Ambivalenz zwischen einer bis zur Exzentrik ausgelebten Fahrradbegeisterung und sozialem Realismus spitzte Ganahl im seinem Werkblock „I wanna be Alfred Jarry“, der 2012 auch im Bank-Austria-Kunstforum in Wien zu sehen war, noch einmal zu.

Festgemacht an der Biografie des französischen Schriftstellers Alfred Jarry werden bis heute hochaktuelle Fragen von der Sehnsucht nach Wunderdrogen, dem Fahrrad als Kultobjekt und Fetisch abgehandelt. Mit der Kernaussage seines an die Manifeste der Futuristen angelehnten „Fahrrad-Manifests“ liegt Ganahl im Trend: „50 Prozent aller Straßen müssen in Bikeways umgewandelt werden.“ Diese Forderung ist ein Vorstoß im Sinn einer grünen Verkehrspolitik: „Es geht um neue Formen der Auto-Mobilität und nicht zuletzt ein Bekenntnis zur Langsamkeit“, sagt Ganahl. Wie sehr auch die eigene Fahrradbiografie zum Motor künstlerischer Arbeit werden kann, zeigt eine Reihe von Arbeiten jüngerer Künstler. Markante Impulse kommen dabei vor allem aus der Street-Art- und Graffiti-Szene, die eng mit der Kultur der Fahrradboten – Vorreiter einer neuen Form urbaner Mobilität – verflochten ist. Einer von ihnen ist Boicut. Für die Wiener Kult-Rad-Boutique FixDich überzog der Grafiker, der früher selbst als Bote unterwegs war, einen „Corima Cougar“-Monocoque-Rahmen mit einem flirrenden Tattoo und schuf ein Unikat im Grenzbereich zwischen Kunstwerk und Benützbarkeit. Ein begeisterter Rennrad- und Trickradfahrer, Szenebeobachter und Radliebhaber, der sowohl selbst schraubt als auch mit seinen Tricks regelmäßig für ein Wiener Radmode-Label modelt, ist der in Wien lebende Stuttgarter Lukas Troberg. Seine an einen Laternenpfahl angehängte Holzplattenskulptur „Verfolger“ (2012) zitiert ein minimalistisches Bahnrad, ausgestattet mit nur einem Gang, Scheibenrad, windschlüpfrig abfallendem Oberrohr und ohne Bremsen. „Der Traum eines jeden Boten!“, sagt er. Nimmt’s wunder, dass er als eigene Lieblingsarbeit eine weitere Fahrradarbeit nennt? „Boa Continentalis“, eine aus gefundenen Teilen, darunter einem gebrauchten Fahrradreifen der Firma „Continental“ zusammengesetzte Skulptur des Vorarlberger Künstlers und Szenefotografen Matthias Bildstein: aufgenagelt auf einer Platte, präsentiert sie sich dem Betrachter wie ein von einem Forscher im Urwald aufgegabeltes Tierpräparat. „Erzählungen“ wollte er mit seiner Kunst liefern, sagt Bildstein – und sich damit befreien von den Korsagen, die die Kunst von Duchamp bis zur Street-Art der Kunst auferlegt. Er hat sich ganz gut gehäutet.

TIPP

Fahrradgeschichten, 14. 6. bis 6. 10. 2013, Museum für angewandte Kunst Wien www.mak.at

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