Emma Reynolds: „Cameron ist opportunistisch“

Britain's Prime Minister David Cameron speaks at the Global Investment Conference 2013 in London
Britain's Prime Minister David Cameron speaks at the Global Investment Conference 2013 in LondonREUTERS
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Die britische Schatten-Europa-Ministerin von der Labour Party, Emma Reynolds, über die Gefahren eines EU-Austritts für ihr Land und die Union.

Die Presse: Nigel Lawson, sechs Jahre lang britischer Finanzminister unter Margaret Thatcher, hat diese Woche als erster prominenter Vertreter der britischen Politik den Austritt des Landes aus der EU offen empfohlen. Glauben Sie, dass dies ein mögliches Szenario ist und die Briten sich bei einem Referendum gegen die EU entscheiden?

Emma Reynolds: Ich bin optimistisch. Bis zu einem möglichen Referendum über den EU-Beitritt werden wir die Menschen davon überzeugen, dass die Vorteile der EU-Mitgliedschaft überwiegen. Der wirtschaftliche Mehrwert der Union übersteigt die Kosten bei Weitem. Ausländische Direktinvestitionen, der britische Exportsektor und viele Arbeitsplätze sind davon abhängig. Wenn wir die EU verlassen würden, hätte das absolut desaströse Auswirkungen. Das müssen wir der britischen Bevölkerung unbedingt klarmachen.

Bisher ist Ihnen das aber nicht gelungen. Die Stimmung im Land ist schlecht wie schon lange nicht mehr. Was wäre, wenn das Referendum nicht 2017, sondern schon morgen abgehalten werden würde?

Das ist eine sehr theoretische Frage. Es ist doch gar nicht sicher, dass dieses Referendum überhaupt stattfindet. Die Konservativen versprechen es nur im Fall einer Neuverhandlung der britischen Mitgliedschaft. Premierminister David Cameron hat noch nicht einmal gesagt, was seine Forderungen sind, geschweige denn, was er tun wird, wenn er diese nicht umsetzen kann. Das bedeutet für unsere Wirtschaft, der es ohnehin schon schlecht geht, und das ganze Land vier Jahre großer Unsicherheit.

David Cameron macht für die schwächelnde Wirtschaft eher die Eurokrise verantwortlich...

Die Art und Weise der Regierung zu argumentieren ist opportunistisch. Cameron versucht, anderen Ländern die Schuld dafür zu geben, dass die heimische Wirtschaft schwächelt. Wie aber lässt sich dann erklären, dass es der deutschen und österreichischen Wirtschaft gut geht? Die Tatsache, dass die Krise in anderen Ländern wie Spanien oder Griechenland so stark eingeschlagen hat, trägt allerdings nicht gerade dazu bei, das Vertrauen der Briten in die EU zu stärken.

Das wird auch bei den Wahlergebnissen im Land offensichtlich. Die rechtsgerichtete United Kingdom Independence Party (UKIP) – eine betont europakritische Partei – verzeichnete bei Kommunalwahlen vergangene Woche große Zugewinne. Ist das nicht auch ein Zeichen für die starke Europaskepsis im Land?

Die Zugewinne dieser Partei sind nicht so einfach zu interpretieren. Die UKIP konnte die Stimmen vieler Bürger gewinnen, die sich gegen das Establishment richten, also typische Protestwähler sind. In dieser Position hat die Partei die Liberaldemokraten abgelöst, die ja heute in der Regierung sitzen. Eine kürzlich veröffentlichte Umfrage zeigt, dass es UKIP-Wählern viel mehr um Arbeitsplätze, Immigration und ähnliche Anliegen geht. Nicht jeder, der sein Kreuzchen dort macht, will aus der EU austreten.

Die Labour Party hat sich in der ganzen Debatte um die EU-Mitgliedschaft Großbritanniens bisher auffallend zurückgehalten. Warum?

Wir haben uns von Anfang an gegen ein Referendum über den EU-Austritt ausgesprochen. In einer Rede vor Vertretern der Industrie hat Parteichef Ed Miliband klar gesagt, dass die Labour Party für einen Verbleib Großbritanniens in der EU eintritt. Das ist für den Erfolg der Wirtschaft, aber auch für eine starke Stimme in der Welt wichtig. Unsere Argumente hört leider keiner, weil die Konservativen mit ihren Anti-EU-Parolen das Thema in den Medien dominieren.

Was wären die größten Risken eines britischen EU-Austritts?

Ein großes Risiko wäre der Verlust ausländischer Direktinvestitionen. Besonders in der Produktion und bei Finanzdienstleistungen sind wir davon sehr stark abhängig. Zudem bestünde die Gefahr, dass zahlreiche Firmen im Land zusperren würden. Auch der Handel mit dem Rest der Welt würde durch einen EU-Austritt beeinträchtigt. Im Moment verhandelt die EU mit den USA eine Freihandelszone, die auch Großbritannien sehr zugutekommen würde. Wir wären in diesen Deal als Nicht-EU-Mitglied allerdings nicht involviert. Die Nachteile eines EU-Austritts wären jedoch nicht nur ökonomischer Natur. Ein solcher Schritt wäre auch eine Gefahr für die nationale Sicherheit. Die polizeiliche und justizielle Zusammenarbeit ist ein wesentliches Element im Kampf gegen Kriminelle. Als Nicht-EU-Land bestünde für Großbritannien die Gefahr, ein sicherer Hafen für Verbrecher anderer Länder zu werden.

Was wären die Nachteile für die EU, würde Großbritannien austreten?

Großbritannien ist eine starke Stimme für eine offene europäische Volkswirtschaft. Auch in Fragen der Außen- und Verteidigungspolitik spielen wir eine wichtige Rolle. Diese Elemente könnten geschwächt werden, wenn wir die EU verlassen.

Sollte es tatsächlich so weit kommen: Wäre eine Partnerschaft nach dem Vorbild der Schweiz oder Norwegens denkbar?

Natürlich. Aber dabei sollte man bedenken, dass Norwegen etwa 80 Prozent der Beiträge bezahlt, die wir auch bezahlen, und es muss sich an die gleichen Regeln halten, ohne eine Stimme bei deren Zustandekommen zu haben.

Zur Person

Die Labour-Abgeordnete Emma Reynolds ist seit Oktober 2011 auf Geheiß ihres Parteichefs Ed Miliband Schatten-Europa-Ministerin. Zuvor war sie Abgeordnete für die Region Wolverhampton.

Reynolds arbeitete zuvor einige Zeit als politische Beraterin für die Europäischen Sozialisten in Brüssel. Die heute 35-Jährige machte ihren Abschluss an der Oxford-Universität in den Fächern Philosophie, Politik und Wirtschaft. [Renner-Institut]

("Die Presse", Print-Ausgabe, 11.05.2013)

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