Werbung und Kunst nehmen an Gewicht zu

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Plus-size-ModelREUTERS
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Eine Modekette wirbt mit „kurvigen Bikini-Models“, junge Performerinnen vertrauen der Kraft ihrer Körper.

H & M setzt nun auf ein kurviges Bikini-Model. Top oder Flop?“, fragt man sich derzeit auf Facebook – und rund 50.000 drückten bisher das „Gefällt mir“-Symbol. Illustriert wird das Ganze von einem Werbefoto aus der Size-plus-Kollektion des Bekleidungsriesens, eines durchschnittlich gewichtigen dunkelhaarigen Mädchens, das tatsächlich Busen, Bäuchlein und, ja, Schenkel hat. Zumindest kann man sagen, dass auch Pop-Queen Beyoncé, die im Namen des schwedischen Konzerns plakattechnisch zur Zeit den Außenraum dominiert, kein Mager-Model ist. Doch schlabbern darf hier schon nichts mehr, dafür sorgt Photoshop, das Ideal bleibt straff, jung, sportlich. Wer diese Norm bricht, wird mit sozialer Ächtung konfrontiert.

Das zeigt auch eine aktuelle Studie der amerikanischen Leeds University mit 126 Kindern zwischen vier und sechs Jahren. Schon im Alter von vier Jahren sind sie zu „Fattists“ erzogen worden, so das Ergebnis, sie lehnen „Dicke“ als Freunde größtenteils ab. „Wir haben unterbewusst einen sozialen Kommentar über Gewicht und Moral ablaufen, die Moral wird nach der Form der Leute beurteilt“, folgert der Psychologe Andrew Hill (Leeds). Dass die Kluft zwischen diesem Subtext und der Realität in Zukunft zu einem immer „fetteren“ Problem wird, nicht nur in den USA, ist anzunehmen.

Da hilft auch nichts, wenn deutsche Grün-Politikerinnen dieser Tage „Miss-Wahlen“ tatsächlich als „ausgrenzend“ enttarnen, und fordern, dass nicht immer die Schönen und Schlanken gewinnen sollten. Da hilft auch nichts, wenn Ausstellungen die Fruchtbarkeit der „Venus von Willendorf“ beschwören und Starkünstler wie Niki de Saint Phalle und Botero in ihren Skulpturen und Bildern bewusst keine „dicken“ Frauen, sondern vor Lebensfreude platzende Wesen gesehen haben wollen.

Lebenslang lernen? Lebenslang zunehmen!

Interessanter ist das Selbstverständnis einer jungen Performancekünstler-Generation, die in Wien gerade recht präsent ist. Die Einladung zu einem „Life Long Weight Gaining“-Contest etwa ist doch recht erfrischend. Wie es auch die teuren Pralinen waren, die Veronika Merklein im „Neuen Wiener Kunstverein“ kiloweise zur Entnahme auflegte. An einer Adresse, die sonst Wiener Glamour verspricht, in einem der obersten Stockwerke des Herrengassen-Hochhauses, begrüßte aber kein schlankes, blondes TV-Mädchen die Vernissagen-Gäste. Sondern die wie zur Statue erstarrte Künstlerin selbst, praktisch splitternackt, in ihrer ganzen üppigen Form.

Werbung Kunst nehmen Gewicht
Werbung Kunst nehmen Gewicht(c) H&M

Ein trickreich aufgestellter Spiegel versetzte die Besucher an Künstlerinnenstelle. Ein Pappaufsteller der Künstlerin als Gewinnerin des „lebenslangen Gewichtsgewinns“ sorgte für weitere Diskrepanzen. Trotzdem, die über sechs Kilo Pralinen wurden ratzebutz vertilgt, auch wenn – oder vielleicht ja weil – auf dem Boden der geleerten Schoko-Schütte ein Bild Merkleins in (zu) engen schwarzen Männerunterhosen erschien.

Die Performance endete nach über zwei Stunden, als die 1982 in Deutschland geborene, in Wien lebende Künstlerin von der Schokolade-Waage rutschte, auf der sie stand. Diese Schoko-Waage samt Fußabdrücken erzählt noch heute in den Kunstvereins-Räumen von dem „Event“, das manchen zu viel Party und zu wenig Reflexion war, was Merklein wenig störte – nur ja nicht prätentiös sollte die Selbstexhibition sein. Wie sie es selbst empfunden hat? „Extrem anstrengend, aber nicht unangenehm. Es ist für mich schwerer, selbst auf meinen nackten Körper zu sehen als ihn zu spüren“, sagt sie. Obwohl sie ebenfalls einen „Trend“ bemerkt, Dickleibigkeit zu thematisieren, so waren für sie eher negative Erfahrungen in ihrem engsten familiären Umkreis Anlass für die Performance. Wie auch die Betonung des „Wettbewerbs“ an sich, in dem Künstler stehen.

Wobei schön und schlank im „Kunstbetrieb“ allerdings nicht immer nur Vorteile sind, denkt man an die Vorurteile, von denen gerade Performerinnen der 1960er-Jahre berichteten. Es ist allerdings interessant, darüber nachzudenken, wie Wirkung bzw. Aussage sich ändern würden, hätte etwa der/die Performerin Jakob Lena Knebl die Figur eines Topmodels. Hat sie aber nicht, im Gegenteil. Seit Dienstag ist ihr Abbild als Teil einer Installation auf dem Morzinplatz zu sehen, „Schwule Sau“ nennt er/sie das temporäre Mahnmal für die im Nationalsozialismus verfolgten und ermordeten Homosexuellen, Lesben und Transgender-Personen. Indem Knebl sich die Schimpfwörter selbst auf den Körper „schreibt“, versucht er/sie diese durch Umarmung zu entschärfen, sozusagen. Die Optik ist ebenfalls „trickreich“, so Knebls Strategie: Das Ganze schaut bunt, fröhlich, geometrisch aus, ganz akzeptierte Moderne.

Auf einen Blick

Jakob Lena Knebl, Installation „Schwule Sau“ bis 10. 11. auf dem Morzinplatz. Das „Mahnmal für die im Nationalsozialismus verfolgten und ermordeten Homosexuellen, Lesben und Transgender-Personen“ ist ein KÖR-Projekt.

Veronika Merklein, „Life-Long-Weight-Gaining“, bis 7. Juni, im „Neuen Wiener Kunstverein“, Herreng. 6–8, 13. Stock, Mi–Fr 17–19h. Künstlerinnengespräch am 22. 5., 19h.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 16.05.2013)

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