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Schweden: Europas Nabel für einen Tag

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Der Eurovision Song Contest geht am Samstag in Malmö über die Bühne. Die Stadt hat sich aus der Krise gezogen. Im Möllevang-Viertel lebt ein wahres Völkergewirr.

Malmö. Auf dem Stortorg, Malmös großem Platz, thront hoch zu Ross Karl X. Gustav, der Regent, der im 17. Jahrhundert Deutsche, Polen und Dänen befehdete. In diesen Tagen wirkt der Kriegerkönig weniger grimmig. Bunte Schmetterlinge zieren sein Pferd, seine Rüstung und seinen Hut. Es sind Symbole des Eurovision Song Contest (ESC), die sich auf der Statue niedergelassen haben: Der in den vergangenen Jahren immer bizarrer (manche sagen lächerlicher) gewordene Sangeswettstreit findet dort am Samstagabend statt (live auf ORF1 ab 21 Uhr).

Das erste Mal seit 20 Jahren kommt der ESC wieder in einen so kleinen Ort wie Schwedens drittgrößte Stadt (300.000 Bewohner). Daher ist die Begeisterung groß. „Jetzt sind wir der Nabel Europas“, sagt Staffan Jönsson, der den Kinderwagen mit seiner Tochter über den Stortorg schiebt. Stadt und Region pumpen 25 Millionen Kronen in die Veranstaltung, also drei Millionen Euro –, bei so viel Steuergeldern muss schon ein Volksfest herausspringen.

Moderne Stadtviertel auf Werftgelände

Arme Schlucker gibt es in Malmö reichlich. Als das Wettsingen, bei dem 26 Länder im Finale antreten (Österreichs 18-jährige Popsternschnuppe Natália Kelly schied zuvor aus) und bei dem Dänemark als Favorit gilt, 1992 schon einmal in Malmö Station machte, war diese eine Stadt in der Depression. Der Niedergang der Werft- und Textilindustrie trieb sie fast in den Ruin, das kommunale Defizit war Schwedens höchstes, die Arbeitslosigkeit lag bei 25 Prozent. Jetzt pulsiert das Leben wieder, die neue Hochschule zog 13.000 Studenten an, auf dem Werftgelände entstanden moderne Stadtviertel, die Brücke über den Öresund verbindet Malmö mit Kopenhagen.

Wer über die Öresund-Brücke Richtung Malmö fährt, sieht zuerst „Turning Torso“, den weißen, 54-stöckigen Wohnturm mit seiner charakteristischen Drehung. Er ist das Wahrzeichen des neuen Viertels „Västra Hamnen“. Hier wohnen die, die Geld haben. Die Wohnqualität ist erstklassig, der Blick aufs Wasser unvergleichlich. Der „Westhafen“ versorgt sich dank Sonnenpanelen und Abfallverbrennung selbst mit Energie.

Nicht alles ist gut geworden. Die Arbeitslosigkeit ist weiter höher als anderswo im Land, Bandenkriminalität und Integrationsprobleme schrecken die Schweden auf. „Malmö ist als gewaltsam stigmatisiert“, sagt Malmös Song-Contest-Projektleiterin Karin Karlsson. „Wir wollen ein anderes Malmö zeigen, eine freundliche, junge Stadt mit reichem Kulturleben.“ Jung ist Malmö, die Hälfte der Bevölkerung ist unter 35. Dass es multikulturell ist, erwähnt Karlsson nicht. Sie hat zwei schulpflichtige Kinder, in ihren Klassen hat jeder Zweite fremde Wurzeln.

Man muss vom Gustaf-Adolf-Torg nur zehn Minuten weitergehen, um einzutauchen in die ethnische Vielfalt. Um den Möllevangstorg rankt sich ein Gewirr von Geschäften, Kneipen und Läden. 174 Nationalitäten zählt Malmö, das Möllevang-Viertel gilt als jener Ort weltweit, an dem die meisten Völker auf engstem Platz leben. „We are one“, lautet das Motto des ESC. In Malmö braucht kein Grand-Prix-Zirkus einzufallen, um dieses Schlagwort zu verwirklichen.

Berühmtester Sohn aus Rosengård

Möllevang ist Integration. Rosengård, fünf Busstopps entfernt, Segregation, Malmös Problemviertel. 60 Prozent der Leute hier sind außerhalb Schwedens geboren, weitere 26 Prozent sind Einheimische, aber mit ausländischen Eltern. Wer nach Rosengård zieht, tut es aus Not, nicht aus Lust. Nur 36 Prozent sind berufstätig, 40 Prozent verdienen weniger als einen halben Durchschnittslohn. Und doch kommt Malmös berühmtester Sohn aus Rosengård: Hier wuchs Zlatan Ibrahimovic auf, der Fußballstar. Er hat vorgemacht, wie ein Problem-Kid zum Helden werden kann. Man kann zwar „einen Kerl aus Rosengård herausreißen, aber nicht Rosengård aus einem Kerl“, sagt er selbst. Auf dem „Zlatan-Court“, den er gestiftet hat, kicken die Mini-Zlatans und träumen davon, es ihm nachzutun. Zlatan wird zum ESC kommen, mit einem vorab eingespielten Videogruß.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 18.05.2013)

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