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Songcontest: Mehrheitsfähige Gesichtslosigkeit

Songcontest
Songcontest (c) EPA (JOERG CARSTENSEN)
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Der 58. Eurovision Song Contest in Malmö war musikalisch langweilig wie selten. Der Sieg ging an die Favoritin Emmelie de Forest. Der ESC-Zirkus muss 2014 nur eine Brücke weiterziehen ins Nachbarland Dänemark.

Jedes Jahr fällt diese Veranstaltung tiefer in den Orkus der Profanität. Schwer zu sagen, wer für die stetige Nivellierung nach unten verantwortlich ist: das gemeine Volk oder die sogenannten Fachjurys, die aus Funktionären bestehen, die wirtschaftliche Interessen mit dem Spektakel Eurovision Song Contest verbinden. Die einzige Möglichkeit diese popmusikalische Farce zu ertragen, ist es, zu versuchen, dem Seichten tiefere Bedeutung zuzuschreiben.

Es ist längst Ritual, diesem Sangeswettbewerb mit einer wilden Mischung aus widersprüchlichen Strebungen zu begegnen. Da mag zuweilen auch archaische Grausamkeit aufflammen. Wichtig ist, dass die wüstesten Anwandlungen schlussendlich vom Walten emotionaler Intelligenz abgemildert werden. Auf diese Art kann der Zuseher den jahrtausendealten, mühevollen Zivilisationsprozess noch einmal in verdichteter Form durchleben. „In deiner Brust sind deines Schicksals Sterne“ hieß es einst so schön in Schillers „Wallenstein“. Das ist eine Warnung, die einfach nicht altert.

Mit Emotionen soll man lieber vorsichtig sein. Weise ist, wer nicht zu spontan auf die musikalischen Zumutungen reagiert. Zu vermeiden ist auch die habituelle politische Kaffeesudleserei danach. Es ist müßig darüber zu philosophieren, warum wer wem wieviele Punkte verliehen hat. Dabei fiele womöglich auf, dass Griechenland der deutsche Beitrag heuer satte null Punkte wert war oder dass Österreich eine Vorliebe für aserbaidschanische Popmusik hegt. Wer, wenn nicht Ö3, wäre daran schuld? Egal.

Radikales hat keinen Platz mehr

Lieber versuchen wir, die tiefen Wahrheiten zu erkennen, die diesmal im Schaum der Klänge verborgen waren. Jedes Ende ist ein neuer Anfang. Sank im Vorjahr die schwedische Loreen in den Bühnenboden, so erhob sich die neue dänische Regentin Emmelie de Forest aus demselben. Bald hüpfte sie barfüßig über den blanken Bühnenboden als wäre er eine taubenetzte Waldwiese. Die aschblonde Schönheit demonstrierte traditionell siegbringende Naturverbundenheit. Schon Sandie Shaw gewann mit nackten Wackelzehen in Wien 1967. Ihr brisanter Titel hieß damals „Puppet On a String“. Derart Radikales hat im heutigen Europa keinen Platz mehr. Forests Kernbotschaft war von süßer Harmonie. „How many times can we win and lose? How many times can we break the rules between us?“, fragte sie. Ihr Mittel gegen alle Unbilden war ein profunder Appell: „Let's leave the past behind us.“ Das wollen die Griechen auch, vorher müssen sie die Gegenwart vergessen. Das gelingt am besten mit wackerem Trinksport, der die Gefahren von Gastritis und Sodbrennen tapfer auf sich nimmt, um am Ende im Daunenbett der Amnesie zu landen. „Alcohol Is Free“, dieser tosende Sirtaki-Ska von Koza Mostra & Agathon Lakovidis, kam immerhin auf Platz sechs.

Hervorstechend war auch Countertenor Cezar, ein auf einem Stück Fleisch stehendes, rumänisches Bubenmädchen, das mit gleißender Stimme die Glorie des Synthiepop verteidigte. Das bei diesem Wettbewerb habituell angefeindete Moll kam einzig im niederländischen Beitrag vor. Anouk sang in „Birds“, von Federvieh, das von den Dächern fällt. „No air, no pride“, war ihre interessante Conclusio. Abgesehen von Griechenland, Rumänien und den Niederlanden, die nach alter Art originell sein wollten, konzentrierten sich die Teilnehmer heuer hauptsächlich darauf, jene Form von Gesichtslosigkeit zu finden, die mehrheitsfähig ist. Nur Böswillige wollen darin eine Parallele zu politischen Wahlen erkannt haben.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 21.05.2013)

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