Krieg in der Ukraine

Russland-Experte: „Moskau hält an seinen Maximalplänen fest“

Ein Bild von Ende Juli 2023 aus der Region Saporischschja, wo verwundete ukrainische Soldaten medizinisch versorgt wurden.
Ein Bild von Ende Juli 2023 aus der Region Saporischschja, wo verwundete ukrainische Soldaten medizinisch versorgt wurden.Imago / Dmytro Smolienko
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Alexander Gabujew schließt nicht aus, dass Russland in der Ukraine auf einen jahrelangen Abnutzungskrieg zusteuert. Das könnte auch eine weitere Mobilmachung in Russland bedeuten.

„Die Realität ist, dass Moskau an seinen Maximalplänen festhält“, sagt Alexander Gabujew, Leiter des Carnegie Russia Eurasia Centers in Berlin, in einem „Spiegel“-Interview über die Vorhaben Russlands im Angriffskrieg gegen die Ukraine. „Erst im Juni sagte (Russlands Präsident Wladimir) Putin, wenn Russland zurück nach Kiew wolle, brauche es eine neue Mobilisierung. Er hat diese Idee also keinesfalls aufgegeben“, so der Experte.

In diesem Zusammenhang sieht Gabujew, der zu russischer Außenpolitik forscht, auch eine mögliche weitere Mobilisierung in Russland. Dieses Vorhaben habe sich der Kremlchef Putin mit einer Gesetzesänderung im Juli sogar erleichtert. Infolge dieser wurde die Obergrenze für Einberufungen zum Militärdienst um drei Jahre auf 30 angehoben. Der Experte sagt dazu: „Das neue Gesetz erlaubt Putin, so viele Männer zu rekrutieren, wie er will. Sobald ein elektronischer Einberufungsbescheid im System eingeht, ist die Grenze für diese Menschen dicht. Damit braucht Putin gar keine Mobilmachung mehr anzukündigen. “

Das Risiko, dass die Nato in den Krieg hineingezogen werde, hält er für gering. Dennoch stelle man sich auf europäischer Seite auf einen langen schlimmen Konflikt ein. „Aber das sagen westliche Offizielle nur im Privaten, um die Ukraine nicht zu entmutigen“, sagt Gabujew.

» Bevor man einen Prigoschin eliminiert, muss man wissen, welche Informationen er wo versteckt«

Alexander Gabujew

Leiter des Carnegie Russia Eurasia Centers in Berlin

Der Experte vermutet im Fall des Chefs der Söldnertruppe Wagner, Jewgenij Prigoschin, der nach seinem versuchten Aufstand im Juni vorerst ungestraft davonkam, einen „Deal“ im Hintergrund. Man wisse allerdings nicht, was dieser beinhaltet habe. Aber Gabujew sieht auch noch eine weitere Möglichkeit als Grund für die unterlassene Verfolgung: „Bevor man einen Prigoschin eliminiert, muss man wissen, welche Informationen er wo versteckt“, gibt er zu bedenken. „Womöglich landet in dem Augenblick, in dem er getötet wird, ein Ordner voll von kompromittierendem Material über die russische Führung in den Medien.“

Gabujew stellt die Aussicht auf eine baldige Zurückeroberung aller Gebiete seitens der ukrainischen Armee in Frage. „Ähnliche Kommentare kommen aus dem Baltikum, aber auch Deutschland“, meinte er. Die Hoffnung in diesem Szenario liegt auf „der einen magischen Sanktion, die das russische Regime stürzt“. Laut dem Russlandexperten werde dieses aber nicht stürzen.

Kein Ende des Ukraine-Kriegs in Sicht

Ein Ende des Krieges sieht der Experte in naher Zukunft nicht, dafür jedoch die Rolle der westlichen Welt im Konflikt: „Die NATO befindet sich in einem Stellvertreterkrieg mit Russland. Das birgt die Gefahr, dass die Öffentlichkeit, in Europa oder in den USA, irgendwann sagt: Tragisch, dass die Ukraine leidet, aber zumindest wir sind sicher.“

Der Russlandkenner fasst zusammen: „Es läuft alles auf einen jahrelangen Abnutzungskrieg hinaus.“ Die Aussicht auf einen Waffenstillstand sieht er als „unbefriedigend“. In einer solchen Situation wäre es aber am wichtigsten, dass der Westen trotzdem am Ball bleibt. Die Unterstützung der Ukraine dürfe nicht nachlassen. „Russlands Ressourcen sind kleiner als die eines vereinten Westens. Das Problem ist der politische Wille.“ (APA)

>> Der Artikel im „Spiegel“ (nur für Spiegel-Plus-Abonennten)

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