Wer hat Angst vor den Deutschen? Sie sind doch gar nicht so unsolidarisch, hartherzig und streberhaft. Nur ihre/unsere Geschichte wird ihnen noch lange eine Last bleiben.
Eine ältere deutsche Frau erzählte mir einmal von der Zeit nach dem Krieg, als sie bei jedem Einkauf in Österreich wie Abschaum behandelt wurde. Ihre Familie zog schließlich zurück nach Deutschland, wo sie sich wohler fühlte. Es war nach dem Zusammenbruch des Nationalsozialismus. Mit einem Mal waren die „Heilsbringer“ aus dem Norden wieder die unbeliebten Nachbarn, die Österreich das Ganze eingebrockt hatten. Sie wurden kurioserweise auch von jenen vertrieben, die sich jahrelang mit dem deutschnationalen Regime arrangiert hatten. Sympathie war es also nie, dafür Anbiederung und Eifersucht gegenüber dem „starken Bruder“. Es ist ein durchaus komplexes, schizophrenes Verhältnis, das die Österreicher bis heute mit den Deutschen verbindet.
Dagegen wirken die Probleme in den Beziehungen der Deutschen mit den restlichen europäischen Staaten fast schon eindimensional und logisch. Die Last der Geschichte des Zweiten Weltkriegs wirkt hier ebenfalls nach – auch wenn diese Wirkung langsam verblasst. Noch ist unvorstellbar, dass ein Deutscher EU-Kommissionspräsident oder EU-Ratspräsident wird. Selbst in hohen politischen Kreisen in Berlin wird bei solchen Personalfragen gebremst. Die Deutschen wissen um die Angst, die mit ihrer Dominanz verbunden ist. Bei aller Arroganz, die den Deutschen zu Recht zugeschrieben wird, ist da auch eine Selbstkasteiung. Nachdem Demonstranten in Griechenland Bilder von Merkel mit Hitler-Bärtchen und Nazi-Fahnen vor sich her getragen hatten, sandte die deutsche Regierung den langjährigen deutschen Fußballtrainer der griechischen Nationalelf, Otto Rehhagl, ins Land, um für ein besseres Image zu sorgen. Den Deutschen ist die Problematik eines solcherart aufgewärmten Images durchaus bewusst.
Dass die Aktion letztlich nur ein Beweis für die aktuelle Dominanz der Deutschen nicht nur in der Wirtschaft, sondern auch im Sport war, erkannten damals die wenigsten. Erst jetzt, wenn zwei deutsche Mannschaften im Champions-League-Finale stehen, wird das zum Thema. Ist Deutschland vielleicht mittlerweile zu stark? Oder gar eine Gefahr?
Nein, das ist es nicht. Deutschland hat in seiner Wirtschaftspolitik ebenso wie im Fußball einfach nur das Richtige getan. Es hat rechtzeitig damit begonnen, die eigenen Schwächen abzuarbeiten. Die Reformen wurden anders als in vielen EU-Staaten schon vor Jahren eingeleitet. Deutschland mag volkswirtschaftlich von der hohen Exportquote profitieren. Es ist aber kein Wirtschaftswunder, das die Deutschen dem Rest Europas da vor Augen führen. Es ist die schlichte Konsequenz einer ökonomischen Abstimmung auf eine unaufhaltsame Globalisierung.
Weder für Neid noch für Bewunderung gibt es Anlass. Es wäre auch falsch, die vielen Verzerrungen und das Auseinanderklaffen des Wohlstands in Deutschland zu übersehen, die sich durch die harten Reformen ergeben haben. Der deutsche Weg ist nicht unproblematisch, aber er ist proaktiv und nicht reaktiv wie jener von Ländern wie Frankreich gewesen.
Das mag das negative Bild relativieren, das von den Deutschen in dieser Krise gezeichnet wird. Natürlich hat das Land beispielsweise von einer europäischen Währungspolitik, die den Hartwährungskurs der deutschen Bundesbank fortsetzte, mehr profitiert als andere. Der Euro war eine deutsche Konstruktion, die nicht zur Volkswirtschaft und Tradition aller Teilnehmerstaaten passte. Aber bei der Euro-Gründung wollten alle – auch Griechen und Italiener – so eine stabile Währung. Auch für andere finanzpolitische Fehlentwicklungen in diesen Ländern trägt Deutschland keine Schuld.
Es ist unfair, die Deutschen als verbissene, unsolidarische Sparer darzustellen. Erst kürzlich bewies eine Umfrage des amerikanischen Meinungsforschungsinstituts Pew Research, dass dieses Vorurteil falsch ist. Da stellte sich nämlich heraus, dass eine Mehrheit der Deutschen (52 Prozent) bereit ist, Krisenländer finanziell zu unterstützen. In Frankreich sind es im Vergleich nur 40 Prozent. Die Deutschen sind weder Übermenschen noch ausschließlich streberhafte Egoisten. Sie werden aufgrund ihrer Geschichte einfach anders – meist falsch – bewertet.
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("Die Presse", Print-Ausgabe, 25.05.2013)