Wo man Meister ist: Die Aussichten für die Wirtschaft sind gut, die Reformen des Arbeitsmarktes zeigen Wirkung. Wo man abseits steht: „Kleinstaaterei“ der Bundesländer und geringe Geburtenraten gefährden die Entwicklung.
Wirtschaft
Präzise Maschinen, teure Autos, innovative Chemieprodukte für die Schwellenländer und den Rest der Welt, eine starke mittelständische Industrie und tolle Ingenieure: Mit diesem recht traditionellen Erfolgsrezept ist Deutschland wieder auf allen Märkten konkurrenzfähig. Zwar wächst die Wirtschaft zurzeit nur mäßig, aber die Aussichten sind positiv und eine Rezession wie in anderen Euroländern müssen die Deutschen vorerst nicht fürchten. Dazu trägt auch der erstarkende Binnenkonsum bei.
Arbeitsmarkt
Die Reformen von Schröders Agenda 2010 haben sich für den deutschen Arbeitsmarkt als Segen erwiesen. Die Zahl der Arbeitslosen ist von über fünf Millionen (2005) auf drei Millionen gesunken. Neue Beschäftigungsformen wie Leiharbeit oder Minijobs gingen, anders als oft behauptet, nicht auf Kosten der „guten“ Vollzeitarbeitsplätze, die ebenfalls deutlich zunahmen. Deutschland hat (ex aequo mit Österreich) mit 7,6 Prozent die niedrigste Jugendarbeitslosigkeit in der EU, was auch dem „dualen Ausbildungssystem“ in diesen beiden Ländern zu verdanken ist. Negativ ist die schwindende Tarifabdeckung in vielen Branchen, was durch die umstrittenen Mindestlöhne ausgeglichen werden soll.
Staatshaushalt
Eine Schuldenbremse für Bund und Länder steht schon seit 2009 im Grundgesetz. Die Defizite gehen Jahr für Jahr zurück, ab 2015 will der Bund Schulden abbauen. Allerdings könnte die Konsolidierung dank der guten Konjunkturlage und der hohen Steuereinnahmen schneller erfolgen, wie SPD und Grüne kritisieren. Belastend wirken die Einzahlungen auf die Euro-Rettungsschirme. In den Regionen ist die Bilanz sehr gemischt: Während Bayern bereits Schulden tilgt, sieht die Finanzlage in Nordrhein-Westfalen, Bremen oder Berlin deutlich schlechter aus. Auch viele Kommunen ächzen unter ihrer Schuldenlast.
Heeresreform
Keine schlechte Arbeitsteilung: Der charismatische Verteidigungsminister Karl-Theodor zu Guttenberg setzte die Aussetzung (und damit de facto Abschaffung) der allgemeinen Wehrpflicht auch gegen Widerstände in der CDU/CSU durch. Nachdem er über eine Plagiatsaffäre gestolpert ist, setzt nun Nachfolger Thomas de Maizière mit ruhiger Hand die damit verbundene Neuausrichtung um: Bis 2017 wird die Truppenstärke von 250.000 auf maximal 185.000 Soldaten reduziert. Wenn die Übung gelingt, ist die Bundeswehr dann wesentlich besser für Auslandseinsätze gerüstet als heute – bei deutlich niedrigeren Kosten.
Energiewende
Ein kühner Plan: Unter dem Eindruck des Atomunfalls von Fukushima beschloss die deutsche Regierung, bis zum Jahr 2022 zur Gänze aus der Atomenergie auszusteigen. An ihre Stelle sollen erneuerbare Energien aus Wind und Sonne treten, deren Ausbau massiv beschleunigt wurde. Unmittelbar profitieren davon die Hersteller des Ökostroms. Aber auch hinter dem Gesamtprojekt steht ein ökonomisches Kalkül: Wenn fossile Energieträger wie erwartet knapp werden und die Preis für Öl und Gas steigen, hätten die Deutschen einen Wettbewerbsvorteil. Sie könnten auch vom Wissensvorsprung profitieren und ihre Technologie weltweit anbieten.
Die Umstellung von Atomkraft auf erneuerbare Energien birgt auch große Risken. Es ist der umfangreichste staatliche Eingriff in die Wirtschaft in der Nachkriegszeit, ein planwirtschaftliches Projekt, das mit jeder Fehlentscheidung neue Staatseingriffe erfordert. Die großzügig garantierte Einspeisevergütung für Solarpanel-Besitzer schießt über das Ziel hinaus, sie treibt die Strompreise in die Höhe, die Bevölkerung murrt. Stromautobahnen müssen durchs ganze Land gelegt werden, um Windstrom aus dem Norden zu den Industriezentren im Ruhrgebiet und im Süden zu bringen. Zur Überbrückung werden neue Kohlekraftwerke gebraucht, die sich die Energiekonzerne subventionieren lassen, weil sie sich nicht rechnen. Ob sich das alles später rentiert, ist ungewiss: Weil die USA auf Schiefergas setzen, könnte fossile Energie länger günstig verfügbar sein als gedacht – und Deutschland bliebe auf hohen Kosten für seine Energiewende sitzen.
Zu wenige Kinder
Das größte Zukunftsproblem Deutschlands: Es werden viel zu wenige Kinder geboren. Die Reproduktionsrate liegt bei nur 1,4 Kindern pro Frau. Die Gesellschaft überaltert, die künftige Finanzierung des Pensionssystems ist gefährdet. Während Frankreich, die USA und die skandinavischen Länder ihre Bevölkerungszahl auch ohne Einwanderung halten können, sind alle Bemühungen der Familienpolitik in Deutschland gescheitert. Vermutlich war es falsch, alles auf finanzielle Anreize zu setzen und den Ausbau von Betreuungseinrichtungen für Ein- bis Dreijährige zu vernachlässigen. Zwar wird nun bei den Kita-Plätzen massiv aufgerüstet, aber die Einsicht erfolgt spät und eine Trendwende bei der Geburtenzahl ist nicht in Sicht.
Übertriebener Föderalismus
Wer mit Kindern im Schulalter von einem deutschen Bundesland in ein anderes zieht, dem steigt beim Wort „Föderalismus“ vermutlich die Zornesröte ins Gesicht. Besonders in der Bildungspolitik, die fast reine Ländersache ist, zeigen sich die Nachteile übertriebener Dezentralisierung: Schulformen, Lehrpläne, Dauer der Ausbildung – alles ist überall anders. Deshalb fiel es den Deutschen auch schwer, rasch und effektiv auf die miserablen Ergebnisse der ersten Pisa-Studie von 2001 zu reagieren. Dennoch ist einiges passiert, mühsam hat man sich ins bessere Mittelfeld vorgearbeitet. Wie sehr das Kleinstaatsdenken die Zusammenarbeit erschweren kann, zeigte auch das komplette Versagen des Verfassungsschutzes bei der Aufdeckung des NSU-Terrors. Jedes Bundesland hat seinen eigenen Inlandsgeheimdienst, dessen hehrste Aufgabe es zu sein scheint, seine Erkenntnisse vor den Kollegen nebenan geheim zu halten.
Großbaustellen
Der neue Großflughafen von Berlin, der Bahnhof Stuttgart 21, die Hamburger Elbphilharmonie: Das sind nur die bekanntesten Beispiele aus einer langen Liste von Großbaustellen, die im Chaos enden. Der Rest der Welt wundert sich: Was ist plötzlich los mit dem viel gerühmten Organisationstalent, der Verlässlichkeit und der technischen Kompetenz der Deutschen? Fast überall, wo die öffentliche Hand zur Schaufel greift und sich Großes vornimmt, häuften sich in den vergangenen Jahren die Pannen. Massive Kostenüberschreitungen und verzögerte Fertigstellung sind eher die Regel als die Ausnahme. Meist liegt die Wurzel des Übels darin, dass Politiker in der Rolle als oberste Bauherrn ihrer eigenen Prestigeprojekte heillos überfordert sind. gau
("Die Presse", Print-Ausgabe, 25.05.2013)