Wort der Woche

Der chinesische Spatzenkrieg

Der Spatzenkrieg vor 65 Jahren im kommunistischen China ist ein Lehrbeispiel dafür, was passieren kann, wenn die biologische Vielfalt beeinträchtigt wird. 

Vor 65 Jahren ereignete sich in China Unglaubliches: Mitten im „Großen Sprung nach vorn“, der das Land produktiver machen sollte, kamen die kommunistischen Machthaber auf die Idee, vier große Plagen auszurotten – nämlich Ratten, Fliegen, Gelsen und Spatzen, die Krankheiten übertragen bzw. Ernten dezimieren. Auf Geheiß Mao Zedongs zogen ab 1958 Millionen Menschen – bewaffnet mit Stangen, Pfeifen, Löffeln und Kochtöpfen, Steinschleudern und Gewehren – durch Stadt und Land, um Feldsperlinge aufzuscheuchen und nicht mehr zur Ruhe kommen zu lassen. Nach zwei, drei Stunden sanken diese erschöpft zu Boden, wo sie erdrosselt oder zertreten wurden. Mehrere Hundert Millionen Vögel (natürlich nicht nur Spatzen) mussten ihr Leben lassen.

Die Wissenschaft hatte so einiges mit diesem Irrsinn zu tun: Zum einen hatten Regierungswissenschaftler berechnet, dass ein Spatz jährlich zwei bis vier Kilo Getreide verzehrt – pro Million Vögel entspricht das einer Menge, die 60.000 Menschen satt macht. „Theoretisch stimmte die Rechnung, doch letztlich trat genau das Gegenteil des gewünschten Ergebnisses ein“, merkt der britische Forscher und Autor Stephen Moss in seinem neuen Buch „Wie zehn Vögel die Welt veränderten“ (336 S., Gräfe und Unzer, 24,70 Euro) an: Ohne Vögel hatten Insekten keine Fressfeinde mehr, sie vermehrten sich explosionsartig und vernichteten die Reisernte 1959 – die Folge waren Hungersnöte und eine rapide Zunahme des Einsatzes chemischer Pestizide. Daran erinnert derzeit auch der deutsche Künstler Maximilian Prüfer im Weltmuseum: In „Fruits of Labour“ reflektiert er nicht nur den „Spatzenkrieg“, sondern auch die händische Bestäubung von Obstbäumen in einem Tal in der Provinz Sichuan, wo es seit vielen Jahren keine Vögel und Insekten mehr gibt.

Zum anderen leitete die Wissenschaft aber auch das Ende des Vogelmordens ein. Der Zoologe Zheng Zuoxin wies nach, dass Insekten 75 Prozent des Mageninhalts von Spatzen ausmachen – die Vögel könnten daher nicht als Ernteschädlinge angesehen werden, sondern im Gegenteil als Nützlinge. Er informierte die Chinesische Akademie der Wissenschaften und diese wiederum die Partei, die zwei Jahre später den Spatzenkrieg beendete. Dank bekam der Forscher dafür keinen: Weil Zheng die offizielle Politik kritisiert hatte, wurde er als Krimineller eingestuft, musste seine wissenschaftliche Arbeit einstellen und zwecks Umerziehung Toiletten putzen. Erst nach Maos Tod wurde er rehabilitiert.

Der Autor leitete das Forschungsressort der „Presse“ und ist Wissenschaftskommunikator am AIT.

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