Erfolgsverwöhnte Politiker wie der türkische Premier und der russische Präsident kennen auf gesellschaftliche Herausforderungen nur den Knüppel als Antwort.
Keine Ahnung, ob Recep Tayyip Erdoğan in den vergangenen Tagen einmal mit Wladimir Putin telefoniert hat. Was den Umgang mit aufmüpfigen Demonstranten betrifft, braucht der Türke aber sicher keine Tipps aus Moskau. Im Niederknüppeln von Protesten hat die türkische Polizei ausreichend Erfahrung gesammelt – und seit sie Erdoğan praktisch zur wichtigsten Herrschaftsstütze gemacht hat, können die Polizisten ja nach Lust und jeweiligem Aggressionspegelstand losprügeln.
Erdoğan und Putin: Für Politikwissenschaftler sollte es eine ausgesprochen interessante Aufgabe sein, diese zwei bedeutenden Politiker des eurasischen Raumes und die Herrschaftssysteme, die sie in ihren Ländern aufgebaut haben, zu vergleichen. Da gibt es gewiss viele Unterschiede, aber auch frappierende Ähnlichkeiten: vor allem dann, wenn ihre Regentschaft von Kritikern herausgefordert wird. Darauf reagieren die beiden Autokraten in Istanbul beziehungsweise Moskau stets so richtig auf die harte Machotour: gewissermaßen wie „Machokraten“.
Putin ab 2000, Erdoğan ab 2003 haben ihre Länder auf wirtschaftlichen Erfolgskurs gebracht – der Türke noch viel mehr als der Russe durch echte Reformen. In ihren Amtszeiten zeigten beide Mut zum Umbau von Staat und Wirtschaft, Putin half dabei insbesondere der hohe Ölpreis. Es war dies die Zeit, als beide Politiker in ihren Stäben und Kabinetten auch noch Querdenker duldeten, die Entscheidungen auf ihre positiven und negativen Auswirkungen hin abklopften, als in den inneren Machtzirkeln noch diskutiert wurde.
Aber Erfolge steigen Menschen immer zu Kopf, Politikern aber wahrscheinlich ganz besonders, überhaupt Machtmenschen, die psychologisch wie Erdoğan und Putin gestrickt sind (von der Sorte gibt es im Moment übrigens noch zahlreiche weitere in der Welt).
Da kommt dann die Periode, in der vorgebrachte Alternativen, Hinweise auf Widersprüche dem „großen politischen Meister“ lästig zu werden beginnen. Er weiß doch schon alles, es klappt ohnehin alles bestens, die Bevölkerung ist höchst zufrieden und jubelt. Warum also etwas anders machen? Und je länger die Erfolgsstory dauert, desto mehr verschwinden die Querdenker, schließlich könnten sie ja auch noch zu potenziellen Rivalen werden.
Putin wie Erdoğan haben nach und nach alle wichtigen Kontrollmechanismen für ihr Herrschaftssystem neutralisiert. Justiz- und Medienwesen wurden in befehlsempfangende Jasager-Institutionen umgewandelt. Gut, das russische Rechtswesen war das eigentlich immer schon. Und in der Türkei zeigt sich in diesen Tagen des Protests besonders krass der Dürrezustand der Medienwelt. Den unabhängigen, kritischen Journalismus hat Erdoğan inzwischen weitgehend ausgetrocknet, kritische Berichterstatter ließ er ins Gefängnis werfen.
Folge von Medienwüste und Selbstzensur wiederum ist, dass Erdoğan und Putin kein reales Bild vom Pulsschlag ihrer eigenen Gesellschaften mehr vermittelt bekommen. Wie denn auch, wenn sie es nur noch mit Hofschranzen zu tun haben? Also konstruieren sie Feindbilder und Verschwörungen – das böse Ausland will der Türkei/Russland nur Schlechtes, die internationalen Medien berichten falsch, die Demonstranten sind „Gesindel“ im Sold ausländischer Spekulanten und Geheimdienste usw., usf.
Das Geschehen in Russland und der Türkei zeigt indes, dass sich gerade in den Städten der beiden Länder durch den wirtschaftlichen Boom des letzten Jahrzehnts eine eigenständig denkende, liberal gesinnte Mittelschicht gebildet hat, die völlig anders tickt als die konservativ gesinnten Schichten draußen in Kleinstädten und Dörfern. Vor allem sie bedient Erdoğans und Putins gesellschaftspolitische Agenda des schleichenden Islamismus beziehungsweise der orthodoxen Renaissance. Zwangsläufig muss sich da ein Konflikt zwischen dem Streben nach bürgerlicher Selbstbestimmung und blinder Staatshörigkeit herausbilden. Machokraten wie Erdoğan und Putin haben auf diesen gesellschaftlichen Konflikt keine andere Antwort als den Knüppel. Dadurch aber drohen sie mittel- und langfristig auch ihre wirtschaftlichen Erfolge zu verspielen.
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("Die Presse", Print-Ausgabe, 18.06.2013)