„Es liegt nicht an uns zu bestimmen, ob Erdoğan ein akzeptabler Staatschef ist oder nicht“

Interview. Die irische Europaministerin Lucinda Creighton verteidigte am Rande des EVP-Treffens das Vorhaben, ein weiteres Verhandlungskapitel mit der Türkei zu öffnen und nennt den Datenschutz fundamental.

Die Presse: Die irische Ratspräsidentschaft will wieder Schwung in die seit Jahren stockenden Beitrittsgespräche mit der Türkei bringen. Am 26. Juni soll auf Betreiben Dublins ein neues Kapitel – jenes der Regionalpolitik – eröffnet werden. Müssen Sie Ihre Position nach der brutalen Niederschlagung der türkischen Protestbewegung durch Erdoğan nicht ändern?

Lucinda Creighton: Nein. Wir sind zwar nicht glücklich darüber, was in den letzten zwei Wochen in Istanbul passiert ist. Dennoch hat die EU eine sehr wichtige Beziehung zur Türkei. Daher ist es die Aufgabe der Ratspräsidentschaft, zumindest einen kleinen Fortschritt im Verhandlungsprozess zu erreichen, der so lange blockiert war. Die Eröffnung eines Kapitels heißt nicht, dass die Türkei morgen Mitglied der Union ist. Das ist ein sehr langer Prozess.

Sie wollen sich also mit Premier Erdoğan an einen Tisch setzen – einem Mann, der mit dem Einsatz der Armee gegen seine Landsleute droht?

Erdoğan ist ein demokratisch gewähltes Staatsoberhaupt. Es liegt nicht an uns zu bestimmen, wer akzeptabel ist und wer nicht.

Mehrere Mitgliedstaaten haben aber bereits Bedenken angemeldet. Österreichs Außenminister Spindelegger hat den Vorschlag gemacht, zuerst das Kapitel Justiz und Grundrechte zu öffnen, um die „Probleme formal auf den Tisch zu bringen“.

Die irische Ratspräsidentschaft hätte natürlich nichts gegen einen solchen Vorschlag. Die Vorbereitungen können aber unmöglich bis kommende Woche abgeschlossen werden. Bevor ein neues Kapitel eröffnet werden kann, sind monatelange Vorbereitungsarbeiten nötig – und so weit sind wir im Bereich Justiz und Grundrechte noch lange nicht. Aber für die litauische oder griechische Präsidentschaft (2. Halbjahr 2013 bzw. 1. Halbjahr 2014) wäre das eine Möglichkeit.

Ein weiteres wichtiges Thema der irischen Präsidentschaft ist der Datenschutz. Irland gehört zu den Ländern, die den Vorschlag der Kommission verwässern wollen. Halten Sie strengere Regeln – speziell im Lichte des kürzlich aufgedeckten US-Spionageprogramms PRISM – für nötig?

Natürlich. Dass Dublin die Regeln schwächen will, ist mir neu. Die irische Präsidentschaft hat hunderte Stunden in die Datenschutzverordnung investiert. Gemeinsame Richtlinien für die gesamte EU sind fundamental. Die Regeln dürfen nicht lasch, müssen aber realisierbar sein. Da liegt noch sehr viel Arbeit vor uns. Aber es gibt das Bekenntnis zur Transparenz beim Datenschutz.

Es gibt aber in mehreren EU-Ländern Stimmen, die Irland die absichtliche Verzögerung der Verhandlungen vorwerfen. Weil die Regeln in Ihrem Land noch besonders lasch sind, haben sich viele Internetfirmen wie Facebook dort angesiedelt.

Keine Präsidentschaft hat so viel getan wie Irland, die Verhandlungen voranzutreiben. Die Staaten haben eben verschiedene Ansichten zum Kommissionsvorschlag.

Die Erwartungen an die irische Präsidentschaft waren hoch, während der ersten sechs Monate dieses Jahres den Grundstein für einen Neubau der EU zu legen. Die engere Zusammenarbeit der Mitgliedstaaten in wirtschaftlicher und politischer Hinsicht gilt als wichtigste Lehre aus der Krise. Warum ist nichts geschehen?

Ich muss klar widersprechen. Die irische Ratspräsidentschaft hat besonders im finanzpolitischen Bereich viel erreicht. Wir haben uns auf den Aufbau einer Bankenunion konzentriert und auch eine Einigung erzielt, was die gemeinsame Aufsichtsbehörde betrifft.

Aber warum stehen keine zukunftsweisenden Themen wie etwa die Installierung eines gemeinsamen europäischen Finanzministers auf der Agenda des nächsten EU-Gipfels Ende Juni? Bremst Deutschland wegen der Wahl im Herbst?

Nein, keineswegs. Die Regierungschefs konzentrieren sich auf andere wichtige Themen wie die Jugendarbeitslosigkeit. Zudem erhält jeder Mitgliedstaat von der Kommission Empfehlungen im Sinne des europäischen Semesters, was ja politisch sehr sensibel ist.

Welche Empfehlungen geben Sie der nun folgenden litauischen Ratspräsidentschaft auf den Weg?

Vilnius sollte die Bankenunion weiter vorantreiben, wobei die Frage eines gemeinsamen Einlagensicherungssystems bestimmt sehr heikel ist. Für die baltischen Länder ist auch die Ostpartnerschaft mit Ländern wie der Ukraine und Georgien von großer Relevanz.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 21.06.2013)

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