EU-Gipfel: Merkel dominiert die EU wie nie zuvor

Angela Merkel ließ zuletzt die Verhandlungen mit der Türkei platzen und bremst nun bei der EU-Reform.
Angela Merkel ließ zuletzt die Verhandlungen mit der Türkei platzen und bremst nun bei der EU-Reform.(c) REUTERS (TOBIAS SCHWARZ)
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Ohne Deutschland bewegt sich in der Europäischen Union derzeit gar nichts mehr. Wegen der Bundestagswahl im Herbst bremst Kanzlerin Angela Merkel derzeit bei nötigen Reformschritten.

Wien/Berlin/Brüssel. Wenn sie nicht will, bewegt sich nichts – und Angela Merkel will nicht. Die Ampeln stehen auf Rot, wenn die mächtige deutsche Kanzlerin am Donnerstag mit den anderen EU-Staats- und Regierungschefs zum Gipfel in Brüssel zusammentrifft. Schon seit Monaten blockieren die bevorstehenden Bundestagswahlen im September den propagierten Integrationsprozess der Mitgliedstaaten. Zugeständnisse an Brüssel, so lautet das Credo in Berlin, wären Gift für einen erfolgreichen Wahlkampf. Deshalb hat Merkel dieser Tage laut „Spiegel“ verhindert, dass eine Debatte über das Strategiepapier zur Zukunft der EU überhaupt auf die Agenda des Gipfeltreffens kommt.

Offiziell tritt zwar auch die Kanzlerin für eine engere wirtschaftspolitische Zusammenarbeit ein. Andererseits weigert sie sich aber, weitere Macht an die Kommission abzugeben. Selbst in der eigenen Partei gibt es in dieser Frage Differenzen: Während Finanzminister Wolfgang Schäuble etwa für eine Direktwahl des Kommissionspräsidenten eintritt, will Merkel das verhindern. „Das brächte das Gefüge der EU aus der Balance“, sagte sie Anfang des Monats in einem Gespräch mit dem „Spiegel“.Für Zugeständnisse an die EU-Kommission sieht sie keinen Anlass. Stattdessen kritisiert sie offen, dass sich Brüssel um die falschen Themen kümmere – also etwa um Regelungen für die Industrie statt um den Freihandel.

Frankreich ist zu schwach

Dass die Kanzlerin eine Verschiebung im Kräfteverhältnis der EU nicht gutheißen würde, verwundert angesichts ihrer Machtfülle nicht wirklich. Derzeit gibt es aber ohnehin niemanden, der ihre Vormachtstellung streitig machen könnte. Selbst Frankreichs Staatschef François Hollande ist derzeit so mit internen Angelegenheiten beschäftigt, dass für die Einmischung in europäische Themen kaum Zeit bleibt. Zudem steht es mit Frankreichs Verhältnis zur EU-Kommission wegen Differenzen beim Freihandelsabkommen mit den USA derzeit nicht zum Besten.

Merkel hält die Zügel fest in der Hand, sei es in der seit mittlerweile über drei Jahren dauernden Eurokrise oder in der europäischen Außenpolitik. Jüngstes Beispiel: die geplatzten Beitrittsverhandlungen mit der Türkei. Berlin machte die Hoffnungen der irischen Ratspräsidentschaft, die Verhandlungen über ein weiteres Kapitel noch im Juni zu starten, an nur einem Tag zunichte.

Wenig Eile scheint man in Berlin auch mit jenem Aspekt der europäischen Zusammenarbeit zu haben, der nach Ansicht von Ökonomen essenziell für die Überwindung der Schuldenkrise ist – der Bankenunion. Nachdem es den EU-Finanzministern in der Vorwoche nicht gelungen ist, sich auf ein Regelwerk zur Abwicklung maroder Banken zu einigen, wurde in der Nacht zum Donnerstag erneut über dieses Thema verhandelt. Strittig ist die Frage, ob und in welchem Ausmaß die Gläubiger einer Bank ihre Abwicklung mitfinanzieren sollen – bzw. müssen. Wie es gestern aus deutschen Regierungskreisen hieß, wird dieses Thema beim heutigen Gipfeltreffen gar nicht zur Sprache kommen. Der Zeitpunkt 2014 für den Start der Bankenunion wird somit immer unwahrscheinlicher – was durchaus in deutschem Interesse liegt, denn Berlin will vermeiden, die Finanzlöcher südeuropäischer Institute selbst stopfen zu müssen.

In den Mittelpunkt der Gipfelagenda gerückt ist indes der Kampf gegen die Jugendarbeitslosigkeit – und konkret die Frage, ob die für den Zeitraum 2014–2020 budgetierten sechs Mrd. Euro bereits in den kommenden zwei Jahren in die Hände genommen werden können. Freilich: Damit es dazu kommt, müssen sich Rat, Kommission und Europaparlament auf einen mehrjährigen Finanzrahmen einigen, und diese Einigung stand bis Redaktionsschluss aus. Doch selbst in dieser im Gesamtkontext der Krise eher marginalen Frage will sich Merkel nicht die Schau stehlen lassen: Die Bundeskanzlerin lädt für den 3. Juli zu einem eigenen EU-Beschäftigungsgipfel nach Berlin ein.

Auf einen Blick

Deutschlands Kanzlerin Angela Merkel hält die Zügel in der EU fest in der Hand. Große Reformschritte wie die weitere Integration der Mitgliedstaaten liegen derzeit auf Eis, weil Berlin wegen der Bundestagswahlen im Herbst blockiert. Auch Frankreich bildet keinen Kontrapunkt, weil es mit internen Problemen beschäftigt ist.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 27.06.2013)

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