Ein letztes Mal noch Sommerferien - und Kind sein

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Sie werden derzeit beneidet, wie kaum jemand: junge Menschen, die zwei Monate Sommerferien vor sich haben. Das wissen speziell jene, für die heuer die letzten großen Ferien anbrechen.

Etwas hat sich geändert. Irgendetwas ist nicht mehr wie früher. Ganz wissen Tanja und Kerstin noch nicht, was es ist, aber sie haben eine Vermutung. „Ernst des Lebens“ nennen sie es. Oder auch „arbeiten bis zur Pension“. Wenn die beiden Mädchen, 15 und 16 Jahre alt, diese Worte aussprechen, schwingt ein bisschen Unbehagen mit. Was dieser Ernst des Lebens sein soll, darüber dachten sie auch schon früher nach – wirklich betroffen fühlten sie sich davon aber nicht. Jetzt aber wissen die beiden, dass genau dieser Ernst auf sie wartet. Und das schon ziemlich bald – in genau neun Wochen.

Die zwei Mädchen, die vergangenen Freitag ihren letzten Schultag hatten und im September ihre Lehre beginnen, stehen somit gerade an einer Kippe ihres Lebens. Fast gehören sie ja noch zu jenen Kindern und Jugendlichen, die von den Erwachsenen beneidet werden. „Die haben es gut, zwei Monate frei“, haben sie schon oft zu hören bekommen. Sie finden aber, das steht ihnen zu. „Man braucht doch Zeit, um sich zu entspannen“, sagt Kerstin, die nach dem Sommer eine Lehre als IT-Technikern bei IBM vor sich hat.

Abseits der Vorfreude auf den Sommer sind sie aber auch ein wenig traurig. Weil es eben die letzten Ferien sind. Das Gefühl am letzten Schultag? „Komisch, ein bisschen nervös war ich schon. Es ist ungewohnt, weil ich die alle zum letzten Mal sehe“, sagt Tanja, die eine Lehre als technische Zeichnerin bei der Stadt Wien beginnen wird. Sie weiß, genauso wie ihre Schulfreundin, dass sie zum letzten Mal neun Wochen durchgehend frei haben wird. „Fünf Wochen im Jahr sind da ganz schön wenig.“ Deshalb wollen beide die Ferien besonders genießen. Dabei stoßen sie auf einen Widerspruch, der deutlich macht, dass sie sich schon auf dem besten Weg in Richtung Erwachsensein befinden: Denn einerseits wollen sie „nichts tun“, faul sein, ausschlafen, aber andererseits auch „Freunde treffen, schwimmen gehen, Spaß haben und so viel wie möglich machen“, sagt Tanja. Vor ein paar Jahren hat sie sich darüber nicht so viele Gedanken gemacht, die Ferien waren einfach da, wenn sie da waren. Und wenn sie aus waren, sind eben irgendwann die nächsten gekommen.

Das werden sie jetzt auch, aber eben anders: Anstelle von festgelegter Ferienzeit folgt im Berufsleben Urlaub, der kürzer ist und individuell gewählt werden kann (oder muss). Dementsprechend fällt der Blick in die Zukunft weniger entspannt aus: „Es konzentriert sich alles auf die Arbeit und dann ist vielleicht auch noch im Haushalt viel zu tun“, sagt Tanja, die sich dennoch aufs Selbstständigsein, die eigene Wohnung und das eigenes Geld freut.


Zuerst verdienen, dann faul sein. Dann, im „Ernst des Lebens“, werden die Sommerferien zunehmend zur Projektion einer Sehnsucht. Zu einer verklärten Erinnerung an eine wundervolle Zeit, auf die man gern zurückblickt. Eine Zeit, in der man in den Tag hinein leben kann, machen, was man will, faul sein darf, viel draußen ist in der Natur, oft auch am Wasser, in der man schwimmt, grillt, Eis isst, lacht und nicht nur einfach zufrieden ist – sondern glücklich und frei. Eine Sehnsucht, die aber nur funktioniert, wenn sie in einen Rahmen eingebettet ist.

Denn Ferien werden ja erst dadurch zu etwas Besonderem, dass sie einen Anfang und ein Ende haben. Hätten sie das nicht, bliebe irgendwann gepflegte Langeweile. Und das schlechte Gewissen, dass man sich die viele Entspannung gar nicht verdient hat. Genau dieses Stichwort ist es dann auch, das in Gesprächen mit jungen Menschen immer wieder auftaucht, wenn man auf Ferien zu sprechen kommt: Man hat sie sich „verdient“.


Gefühl wie in der Schule. Davon spricht auch Anita Berger. Sie hat gerade ihren Doktor in Molekularbiologie an einer spanischen Universität gemacht. „Einen Doktor in Naturwissenschaften zu machen ist ein bezahlter Vollzeitjob, das hat fünf Jahre gedauert.“ Jetzt will die 31-Jährige noch einmal so richtig die Sommerferien genießen – und dabei auch überlegen, ob sie beruflich weiter in dieser Richtung arbeiten oder doch umsatteln will. Deshalb möchte sie auch nicht ihren richtigen Namen in der Zeitung lesen. Sie hat Angst, es könnte ihr beruflich schaden, wenn zu lesen ist, dass sie bewusst zwei Monate auf der faulen Haut liegt. „Ich will ausspannen, nichts tun und alles aus meinem Kopf löschen. Es ist das erste Mal seit Langem, dass ich so richtig Sommerferien mache, wie damals in der Schule“, sagt Berger. Auch sie denkt dabei an die Zukunft: „Ich habe die Vermutung, dass solche Ferien nicht mehr so oft vorkommen werden in meinem Leben. Und wenn, dann vielleicht nicht unter guten Umständen, sondern weil ich zum Beispiel arbeitslos bin.“ Sie will zwar die Sommerferien wie früher genießen und dazu auch an ihren „Ort der Kindheit“, ins Salzkammergut, fahren. Dennoch ist es für sie jetzt etwas anderes: „Es hat eine andere Note, weil ich das selbst entschieden habe. Als Kind ist man in einer Struktur, da wird einem das vorgegeben.“

Genau das Ausbrechen aus dieser Struktur – in die natürlich auch die Molekularbiologin eingebunden ist, wenn auch mit einer Auszeit – macht auch den Reiz der Sommerferien aus. Ungeachtet dessen, dass sie eigentlich dazu da sind, um uns für die Schule oder eben die Arbeit wieder fit zu machen. Wie wir das machen, bleibt uns überlassen. Interessant, dass sich dabei dann doch die meisten auf das Gleiche einigen – und der Arbeit zwar bewusst entkommen wollen, das aber irgendwie doch nicht ganz schaffen. Denn bei all dem Entspannen und Nichtstun, taucht sie in Gedanken immer wieder auf – und sei es nur als negatives Gegenstück, wie es eben nicht sein soll.


Noch einmal Kind sein. Wie bei der 24-jährige Daniela Steiner, die mit den Sommerferien Folgendes assoziiert: „Die Sonne genießen, draußen sein, sich bewegen, Freunde treffen, spontan sein, wegfahren oder ans Meer fahren.“ Im Herbst beginnt sie ihren ersten Job als Sonderschullehrerin. Davor will sie noch einmal ein bisschen Kind sein, das „Hotel Mama“ in Kärnten genießen, im See schwimmen, so lange schlafen, wie sie möchte und dann genau das tun, wonach ihr ist. „Ich will noch ein letztes Mal richtig verschnaufen, in den Tag hinein leben. Davor habe ich während des Studiums im Sommer immer gearbeitet, da ging das finanziell nicht. Aber jetzt weiß ich, dass ich ab Herbst arbeite.“ Sie will sich auch im Berufsleben die „Studentenmentalität“ bewahren. Was das ist? „In den Tag hinein leben“, sagt Steiner. Als Lehrerin werden ihr die Sommerferien zwar erhalten bleiben – doch das sei, sagt sie, nur ein netter Nebeneffekt ihrer Berufswahl, nicht der Hauptgrund. Die Ferien, die sie dann haben wird, stellt sie sich weniger entspannt vor.

Von der stets kursierenden Idee, die Sommerferien zu verkürzen, um das Betreuungsproblem kleinerer Kinder in den Griff zu bekommen, halten die vier Berufsanwärterinnen naturgemäß wenig. „Wir brauchen das“, sagen die angehenden Lehrlinge. Es nervt sie, wenn die Eltern neidische Kommentare abgeben und sie kritisieren, wenn sie die Zeit nicht nutzen – also fernsehen statt schwimmen. „Die kommen heim und regen sich auf, dass wir nur vorm Fernseher liegen, aber sie sehen nicht, was wir vorher gemacht haben.“ Die Molekularbiologin und die Sonderschullehrerin können, da sie schon gearbeitet haben, die Sommerferien noch mehr schätzen. „Natürlich verstehe ich das Argument der Betreuung. Aber ich glaube, dass man Ferien für das seelische Wohl braucht, um abzuschalten und sich zu distanzieren“, sagt Steiner. Sie überlegt kurz und meint: „Aber vor allem sollen Kinder doch auch Kinder sein. Wer hat sich nicht als Kind auf die Ferien gefreut?“ Auf die Ferien freuen – für einige ist dieser Gedanke mit Wehmut verbunden. Für all jene nämlich, die wissen, dass es die letzten Sommerferien sein werden.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 30.06.2013)

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