159 dunkle Flecken in Wiens Straßennamen

Archivbild: Die ''Enthüllung'' des Universitätsrings vor einem Jahr
Archivbild: Die ''Enthüllung'' des Universitätsrings vor einem JahrAPA/HANS KLAUS TECHT
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Mehr als 4300 Verkehrsflächen sind in Wien nach Personen benannt. Bei 3,6 Prozent davon sieht eine Expertenkommission eine "kritische Benennung". Umbenennungen werden nicht empfohlen.

Wien/duö. Warum es doch länger gedauert hat, als geplant, hat einen einfachen Grund: Man habe sich, so der Historiker Oliver Rathkolb, nicht nur auf die Sekundärliteratur gestützt, sondern auch im Archiv die biografischen Spuren der betreffenden Personen ausgegraben - das Ergebnis ist ein rund 350 Seiten umfassender Forschungsbericht über Benennung von Wiens Straßen seit 1860.

Damit ist Wien, und das wurde man bei der Präsentation des Berichts am Mittwoch nicht müde zu betonen, die erste europäische Großstadt, die sich systematisch den (historisch belasteten) Straßennamen widmet. Oder wie Rathkolb meinte: „Wir haben die geschichtspolitische Büchse der Pandora geöffnet." Unter seiner Leitung haben drei weitere Historiker von den insgesamt 4379 personenbezogenen Verkehrsflächen eine „Schlüsselgruppe" ausgemacht, bei der ein Diskussionsbedarf geortet wird. Heißt: Die namensgebenden Personen haben eine nationalsozialistische, antisemitische oder antidemokratische Vergangenheit. Wobei auch innerhalb dieser Gruppe unterschieden wird: 159 Benennungen werden als besonders kritisch eingestuft, bei 28 (davon eine Frau - die Dichterin Maria Grengg) davon bestehe intensiver Diskussionsbedarf (Kategorie A), bei 56 Fällen Diskussionsbedarf (Kategorie B), bei weiteren 75 Fällen weisen die Biografien erhebliche Lücken auf.

Was die Historiker prinzipiell nicht empfehlen - und diese Meinung teilt auch Kulturstadtrat Andreas Mailath-Pokorny (SPÖ) - ist die Umbenennung der Straßen. Das würde implizieren, so Rathkolb, dass man die Geschichte schönfärben oder auslöschen wolle - „im Nachhinein besser machen, als es ist." Stattdessen wird empfohlen, Tafeln mit Zusatzinformationen zu versehen, aber auch künstlerische Interventionen sowie ausführliche Informationen im Online-Lexikon der Wiener Straßennamen. Oder die Anbringung eines QR-Codes mit direkter Weiterleitung auf eine Informationsseite, swie der Kultursprecher der Wiener Grünen, Klaus Werner-Lobo, im Rahmen der Pressekonferenz vorgeschlagen hat.

Von Lorenz Böhler bis Paula Wessely

Über einige der im Bericht behandelten Namen wird und wurde bereits öffentlich diskutiert; Beispiel ist der ehemalige Wiener Bürgermeister Karl Lueger (Karl-Lueger-Platz in der Inneren Stadt): er „verstärkte den antisemitischen Trend seiner Zeit durch politische Kampagnen", schreibt Rathkolb. Wie Lueger sind auch bei dem Mathematiker Josef Schlesinger (Straße in Penzing), Politiker Leopold Kunschak (Platz in Hernals) sowie Autobauer Ferdinand Porsche (Straße in Liesing) - alle in der Kategorie A - antisemitische Tendenzen bzw. Mitgliedschaft bei der NSDAP nachweisbar.

>> Karte: "Fälle mit intensivem Diskussionsbedarf"

In der Kategorie B hingegen finden sich die Namen von Schauspielerin Paula Wessely (Weg in Döbling) sowie Unfallchirurg Lorenz Böhler (Gasse in Brigittenau). Der Unterschied zwischen den beiden Kategorien bestehe darin, dass zwar beide Gruppen antidemokratisch aufgetreten sind und den Nationalsozialismus (indirekt) gestützt haben, in der zweiten Gruppe aber keine nachhaltige Wirksamkeit in der NS-Zeit vorliege.

Künftig mehr Flora und Fauna

Trotzdem sollen Umbenennungen in besonderen Fällen weiterhin möglich sein. Zur Erinnerung: erst vergangenen Sommer wurde der Dr.-Karl-Lueger-Ring in Universitätsring umbenannt. Derzeit wird über das Denkmal des Dichters und Nationalsozialisten Josef Weinheber diskutiert; so sagte Mailath-Pokorny, dass künftig auch die Wiener Denkmäler überprüft werden. Man dürfe aber nicht vergessen, so der Kulturstadtrat, dass Straßennamen in erster Linie als Postadressen dienen - und nicht zur Würdigung von historischen Persönlichkeiten.

Die Ergebnisse der Historikerkommission werden nun an die Bezirke weitergegeben. Künftig soll bei Benennungen von Straßennamen eine historische Vorab-Prüfung stattfinden - zudem sollen mehr Frauen, aber auch Migranten berücksichtigt werden. Und: Straßen und Plätze sollen vermehrt die Namen historischer Ereignisse tragen - oder auch Begriffe aus Flora und Fauna.

>> Link: Der Bericht als PDF

("Die Presse", Print-Ausgabe, 4. Juli 2013)

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Kommentare

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