Johannes Krisch: "Ich war doch immer unverwundbar"

(c) Die Presse (Clemens Fabry)
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Bei der Premiere von Nestroys »Talisman« stand der Schauspieler Johannes Krisch Anfang März 2013 zuletzt auf der Bühne des Wiener Burgtheaters. Seitdem hat er alle Aufführungen abgesagt. Ein Interview mit einem Mann, der sich für unverwundbar hielt.

Anfang März haben Sie die „Talisman“-Premiere am Burgtheater gespielt und danach jede Vorstellung abgesagt. Auch bei den Salzburger Festspielen werden Sie nicht der Leim in „Lumpazivagabundus“ sein. Was ist denn passiert?

Johannes Krisch: Das ist eine längere Geschichte. Ende Februar 2012 hatte ich bei der Premiere von „Liliom“ in Berlin einen Bühnenunfall. Jemand hatte vergessen, eine Treppe dorthin zu stellen, wo sie bei den Proben immer gestanden war. Ich bin dann aus einer Höhe von 1,70 Meter ins Leere gesegelt. Das war wie Stagediving, aber ohne Publikum.


Wie konnten Sie nach diesem Sturz die Premiere überhaupt zu Ende spielen?

Ich habe noch ein ganzes Jahr lang weitergespielt, obwohl ich irrsinnige Schmerzen hatte. Ich bin auch nicht zum Arzt gegangen, weil ich dachte, das wird eine starke Prellung sein und die tut halt weh.


Und wie ging es weiter?

Die Schmerzen sind nicht besser geworden, in der Nacht konnte ich nicht mehr schlafen, weil mir mein Rücken so wehgetan hat. Aber ich habe Schmerzmittel genommen und weitergearbeitet.


Wieso haben Sie die Signale Ihres Körpers so missachtet?


Das war nie anders. Jetzt erst ist mir klar geworden, dass ich meinen Körper vergewaltigt habe. Schon bei den Aufführungen vom „Alpenkönig“ (Krisch spielte die Titelrolle am Burgtheater, Anm.) war ich oft am Limit. Dann kamen die Proben für den „Talisman“. Nach der Premiere war dann der Punkt gekommen, an dem mir klar war, jetzt geht nichts mehr. Mein Körper war am Ende. Ich konnte kaum mehr stehen. Am nächsten Tag habe ich der Direktion gesagt, dass ich aus dem Spiel bin, mich dringend in ärztliche Hände begeben muss, um alles abklären zu lassen.


Das haben Sie hoffentlich auch getan?

Ja, ich wurde von oben bis unten untersucht. Und die Ärzte haben festgestellt, dass ich mir bei dem Sturz vor einem Jahr einen Wirbel verletzt und einen Riss des Zwerchfells zugezogen habe. Das war die Hauptursache für diese argen Schmerzen. Nebenbei fiel den Ärzten ein Muttermal auf, von dem sie fürchteten, es könnte bösartig sein. Die Histologen bestätigten das dann auch. Das war der nächste Schock. Es ist wirklich viel zusammengekommen. Jetzt darf ich halt nicht mehr so viel in die Sonne gehen.


Als Sie gerade ins Kaffeehaus hineingekommen sind, habe ich mir gedacht: „Er sieht ja richtig erholt aus!“ Wie geht es Ihnen wirklich?

Das freut mich. Das kann aber nur damit zu tun haben, dass ich nicht mehr rauche, meine Ernährung umgestellt habe und viel spazieren gehe. Denn ich fühle mich noch nicht gesund. Ich fühle mich leer. Das ist wohl die posttraumatische Depression. Jetzt wird mir erst bewusst, was alles passiert ist. Es macht mir auch sehr zu schaffen, dass ich zurzeit nichts tue. Ich habe in den letzten 25 Jahre jeden Tag gearbeitet. Und gleichzeitig relativiert sich alles in meinem Leben gerade, ich stelle alles infrage.


Was zum Beispiel?


Meine Arbeit. Ich will künftig nur mehr das machen, was ich auch wirklich machen will, worin ich einen Sinn sehe. Ich werde mich nicht mehr in diese Mühlen begeben und muss schauen, wie das dann werden wird. Viele im System reagieren ja beleidigt, wenn man nicht mehr so funktioniert, wie man das bisher getan hat. Sie sagen es nicht, aber ich spüre den Vorwurf: „Jetzt reicht es aber! Wann funktionierst du endlich wieder?“


Und wie reagieren Sie darauf?

Ich denke viel nach, lese viel. Bestelle mir auf einmal bei Amazon Bücher, die ich mir früher nie im Leben bestellt hätte.


Worum geht es in diesen Büchern?

Um Reinkarnation, um Weltreligionen, um die Seele zum Beispiel. Ich stelle nicht nur alles infrage, ich stelle mir auch neue Fragen. Aber das hat wohl auch mit dem Älterwerden zu tun. Der Körper funktioniert nicht mehr so, wie man das gewohnt ist. Für einen Mann ist das besonders schwierig.


Nur für einen Mann?

Auch für Frauen. Aber ein Mann muss stark sein, darf nicht weinen. Krank sein, das gibt es nicht. Und zu einem Arzt geht man schon gar nicht. So bin ich erzogen worden. Wenn ich 40 Grad Fieber hatte, war für mich klar, dass ich am Abend trotzdem spielen werde. Ich habe mich unbesiegbar und unverletzbar gefühlt. Jetzt hat mir mein Körper gezeigt, dass ich nicht der Superhero bin. Mein ganzes Lebensmodell ist zusammengebrochen, und zwar zu einem Zeitpunkt, an dem die Hälfte meines Lebens schon vorbei ist.


Was hätten Sie denn in der ersten Lebenshälfte anders machen wollen?


Ich hätte gern mehr Zeit mit meinen drei Söhnen verbracht, mit all den Menschen, die mir wichtig sind. Ich war nicht sehr viel zu Hause. Jetzt habe ich das Bedürfnis alles aufzuholen, was ich verabsäumt habe.


Das wird schwer werden.

Ja, eh. Mein Großer, der ist jetzt 17 Jahre alt, der wartet nicht auf mich. Der sieht das alles auch ganz entspannt und sagt: „Papa, chill und ruh dich aus.“


Sie sind 47 Jahre alt. Gab es zuvor nie intensive Nachdenkphasen?

Ein bisschen Nachdenken zu Silvester, das gab es schon. Aber eigentlich immer aus einer sehr komfortablen Situation heraus, denn mir ging es ja gut. Jetzt ist das anders, es hat sich alles existenziell verschoben. Darum will ich auch nicht mehr alles machen.


Früher haben Sie alles gemacht? Warum?

Ich habe vieles gemacht, was ich nicht machen wollte. Für die Sache, für das große Ganze, für das Burgtheater. Den Ensemblegedanken, den habe ich immer sehr großgeschrieben. Ich war der Auffassung: Einmal trägt der eine das Wasser, das nächste Mal der andere. Darum habe ich mich auch zu vielem überreden und beschwichtigen lassen. Das will ich nicht mehr. Ich sage jetzt ungeschminkt, was ich mir denke.


Und was wollen Sie gern sagen?

Dass ich entsetzt darüber bin, wie mit Menschen umgegangen wird, die die Wahrheit sagen. Wie zum Beispiel Edward Snowden. Er sagte die Wahrheit über die miesen Überwachungspraktiken der USA und soll dafür bestraft werden?! Es gibt Leute, die fordern für ihn die Todesstrafe! Die USA nehmen dem eigenen Staatsbürger den Pass weg! Was sind das für Methoden? So verhält sich ein Land, das sich Freiheit und Menschenrechte auf die Fahnen heftet? Unfassbar, wie sich Barack Obama verhält. Ich hätte nie gedacht, dass gerade er so stark von seinem Kurs abkommen würde. Es ist ja völlig unberechenbar, was noch alles in diesem Menschen schlummert. All das ist jedenfalls sehr enttäuschend und auch, dass die Welt bei Obamas Verhalten einfach zusieht.


Wie sollte die Welt, wie sollte Österreich reagieren?


Snowden sofort sieben verschiedene Reisepässe zuschicken und ihn willkommen heißen. Das ist ja wohl das Minimum!


Zurück zu Ihnen. Wie geht es nun weiter?


Das weiß ich auch noch nicht genau, weil alles von meinem Körper abhängt. Er hat mich fest im Griff. Wenn er schon so weit ist, will ich im September wieder die Rollen übernehmen, die ich an der Burg gespielt habe. Aber ich werde keine neue Produktion machen, das wäre zu viel. Ich muss Verantwortung für meinen Körper übernehmen. Das habe ich zuvor nie getan, ihm jetzt aber versprochen.


Im Sommer hätten Sie in „Lumpazivagabundus“ spielen sollen. Werden Sie sich diese oder andere Aufführungen anschauen?


Ich werde mir nichts anschauen. (Langes Schweigen)


Würde das so wehtun?

Ja.


Was tut so weh?

Darüber habe ich nicht nachgedacht. (Schweigen. Dann leise:) Dass ich nicht spielen kann. Ich vermisse es einfach so. Es ist wie Liebeskummer.

Herr Krisch,darf man Sie auch fragen . . .

1 . . . wie Sie derzeit Ihre Tage verbringen?
Lesen, spazieren gehen, Kühe melken, Atemübungen machen. Es ist unglaublich, wie lange ein Tag sein kann.

2 . . . ob Sie bald wieder einen Film drehen werden?
Ja. Zwei sind geplant. Darauf freue ich mich sehr. Filmen ist ganz anders als Theaterspielen, nicht so anstrengend. Es ist viel mehr Warten.

3 . . . ob Sie sich überlegt haben, mit dem Schauspiel aufzuhören und etwas ganz anderes zu machen?
Schon, aber mir ist nichts eingefallen. Ich will auch gar nichts anderes machen. Schauspielen ist für mich
kein Beruf, sondern eine Berufung.
Das ist kein One-Night-Stand, kein bloßes Strohfeuer. Der Wunsch zu spielen hat sehr früh in mir zu
brennen begonnen und nie wieder aufgehört. Ich brauche diesen Adrenalinschub auf der Bühne. Er
hat mich richtig süchtig gemacht.

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