Freihandelsabkommen USA-EU: Was auf dem Spiel steht

Die Erwartungen in die transatlantischen Verhandlungen sind groß – die Anzahl an rechtlichen Problemen aber auch.

Bei den angelaufenen Verhandlungen zwischen den Vereinigten Staaten und der Europäischen Union gilt es, die auf dem Grundsatz der Vorsorge fußenden EU-Regularien zum Umwelt- und Gesundheitsschutz nicht durch windelweiche Informations- und Deklarationsplacebos auszuhöhlen.

Die derzeitige Wirtschaftsentwicklung in Europa lechzt nach Impulsen und Perspektiven. Fieberhaft verläuft die Suche nach Fesseln und Knebeln, die eine Dynamisierung der Konjunktur behindern könnten. In den unterschiedlichen Bedingungen für den Marktzugang zwischen den Vereinigten Staaten und der Europäischen Union bei Produkten und Dienstleistungen glaubt man nun, fündig geworden zu sein – und „TTIP“ ist das Wunderding, von dem man sich die Entfesselung verspricht.

Der Startschuss zu den Verhandlungen dieses „Transatlantic Trade and Investment Partnership“ ist gefallen und ohrenbetäubender noch war die Begleitmusik dazu: Jetzt schon tauschen die beiden Wirtschaftsräume Waren und Dienstleistungen im Wert von nahezu drei Milliarden Euro aus – und das täglich!

Hunderttausende neue Jobs

Die Hälfte des globalen BIPs wird von diesen beiden Wirtschaftsräumen erwirtschaftet und TTIP würde, so die Prognosen, die Wirtschaftsleistung für beide Seiten um immerhin einen halben Prozentpunkt steigern. Die Schätzungen für neue Jobs in Europa, die dank dessen entstünden, gehen in die Hunderttausende.

Angesichts des Zustandes der Arbeitsmärkte – vor allem in Südeuropa – ein Strohhalm der Hoffnung, der schleunigst ergriffen werden will.

Was ist denn der Preis für dieses – in der Sprache der EU-Kommission – „billigste Konjunkturpaket der Welt“? Denn es geht um viel mehr als um die Beseitigung der ohnehin schon niedrigen Zölle. Es geht um verbindliche gegenseitige Anerkennung: Was in dem einen Wirtschaftsraum marktfähig ist, soll auch im anderen ungehinderten Marktzugang haben. Großes Potential und gute Chancen auf rasche Realisierung haben hier etwa Produktkategorien, zu denen es auf beiden Seiten des Atlantiks Zulassungssysteme gibt.

Regime also, bei denen rechtliche Rahmenbedingungen und Behörden einen großen Teil der Verantwortung übernehmen, um sicherzustellen, dass Artikel die notwendigen Voraussetzungen (etwa an Sicherheit, Umweltverträglichkeit oder Leistungsfähigkeit) für eine Zulassung auch erfüllen. In den einzelnen Systemen (etwa bei der Zulassung von Kraftfahrzeugen, Pharmazeutika oder von Pflanzenschutzmitteln) gibt es zwar inhaltliche und prozedurale Unterschiede – die Ansprüche an das Schutzniveau sind einander jedoch ähnlich genug, dass ein akzeptables Ergebnis bei den TTIP-Verhandlungen erwartet werden kann.

Kriterien für Biolebensmittel

Ausgerechnet im Bereich der Biolebensmittel existiert eine derartige gegenseitige Anerkennung der Regime bereits: Was den Kriterien für „organic food“ in den USA entspricht, darf sich in der EU „Bio“ nennen, wenngleich es den EU-Bestimmungen weiterhin genügen muss.

Ein Biojoghurt etwa mit Vitaminen und Spurenelementen aufzumotzen (was in den USA am Organic-Status nichts ändert) führt in der EU auch weiterhin zum Verlust der Bioqualität.

Ähnlich, so die Beteuerungen der EU-Kommission, würde es sich nach Abschluss der TTIP-Verhandlungen bei Nahrungsmitteln generell verhalten: Die EU-Regelungen etwa zu GVO-Produkten blieben durch das Abkommen unberührt und ungefährdet. Hier seien nun erste Bedenken angemeldet.

Wenn von einem Produkt selbst kaum Gefahren ausgehen mögen und sich Bedenken in erster Linie gegen die Art der Herstellung stützen (Chlorhühner, Klonfleisch, GVOs), so ist das in der Europäischen Union oft noch Grund genug für eine (auch rechtlich ausformulierte) Ablehnung. In den USA reicht diese Gemengelage nicht einmal für Kennzeichnungsregelungen.

Es ist kaum vorstellbar, dass solch fundamentale Unterschiede in Verhandlungen überbrückt werden können. Der Druck auf die entsprechenden EU-Regelungen wird groß sein, und eine verstärkte Rolle gerade von Kennzeichnungen und Produktdeklaration wäre ein (allenfalls aus US-Sicht mögliches, aber keinesfalls aus Sicht europäischer Verbraucherinnen und Verbraucher erstrebenswertes) Kompromissergebnis.

Es würde wohl argumentiert werden, dass die Information auf dem Produkt eine Entscheidung der Konsumentinnen und Konsumenten nach deren Bedürfnissen zuließe. Die Produkte wären damit auf dem Markt und die Verantwortung beim Kunden.

Eine Situation, wie sie in den USA dominiert, was letztlich der zentralen Rolle der Haftung im amerikanischen Rechtssystem zuzuschreiben ist. Außerhalb von Zulassungssystemen sind es Inhaltsstoffdeklarationen und Warnhinweise, mithilfe derer sich Unternehmen in den USA gegenüber allfälligen Haftungsansprüchen im Schadensfall absichern.

Dies steht im Gegensatz zum Vorsorgeprinzip, welches die tragende Säule des EU-Rechts im Gesundheits- und Umweltschutz darstellt und gewährleistet, dass auch außerhalb von Zulassungssystemen eine Bewertung und Abwehr von Risken, die von einem Produkt ausgehen können, durch den Hersteller vorzunehmen ist.

Neben der Berücksichtigung von Herstellungsmethoden im Produktrecht ist es vor allem dieser Aspekt der Vorsorge – des „better safe than sorry“ – im EU-Recht, welcher bei den angelaufenen TTIP-Verhandlungen auf dem Spiel steht.

Neue Chemikalien-Verordnung

Seit 2007 gilt in der EU die Chemikalien-Verordnung „Reach“, womit der Einsatz und die Bewertung von Industriechemikalien gänzlich neu geregelt wurden.

Die Eigenschaften der Stoffe müssen bekannt sein, die Risken bei ihrer Anwendung abgeschätzt und Vermeidungsmaßnahmen ergriffen werden. Das US-Umweltrecht hat nichts Vergleichbares aufzuweisen, der Marktzugang für Chemikalien in den USA ist an keine vergleichbaren Auflagen geknüpft.

Mit ein paar zusätzlichen Pickerln und (wohl nur mithilfe eines Mikroskops entschlüsselbaren) Hinweisen wird es hier nicht getan sein.

Es sind mehr als kreative Lösungen gefragt, wenn das Schutzniveau gegenüber Industriechemikalien hier nicht am Altar des Freihandels geopfert werden soll. Vor allem in Segmenten wie diesem liegen die heißen Kartoffeln der Verhandlungen.

Zur Person


E-Mails an: debatte@diepresse.comThomas Jakl ist Biologe und Erdwissenschaftler. Der 48-Jährige arbeitete bis 1991 an der Uni Wien, ehe er ins Umweltministerium wechselte. Dort leitet er die Abteilung für Chemiepolitik, ist stv. Aufsichtsratsvorsitzender des Umweltbundesamtes und war Vorsitzender des Verwaltungsrates der EU-Chemikalienagentur. [Privat]

("Die Presse", Print-Ausgabe, 25.07.2013)

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