Grönland: Eisberge tauft man nicht mit Champagner

Groenland Eisberge tauft nicht
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Stille, Sonne rund um die Uhr, arktische Wüste, ultramarinblaues Meer, Gletscher und Eisberge, bunte Häuschen und liebenswerte Inuit – Westgrönland revisited.

Elephant? Sounds great“, sagt der Tiroler. „Sieben Volumsprozent. Und schön kalt.“ Er entkorkt das Carlsberg mit dem Feuerzeug. Der Passauer, zwei Wienerinnen und drei Wiener mit ausgedörrten Kehlen tun es ihm gleich. Die 21,5 dänischen Kronen (2,88€) für ein 0,33-Flascherl berappen sie in der Flughafen-Selbstbedienung in Kangerlussuaq mit Freuden. Es ist heiß im Sommer auf Grönland.

Manche der 22 Österreicher fallen unter den 171 Grönlandtouristen, die mit dem eistauglichen Kreuzfahrtschiff Fram in die Disko-Bucht schippern wollen, schon auf dem Airport auf, unter Argentiniern, Australiern, Japanern, Neuseeländern, Franzosen, vor allem aber Schweizern und den 70 Deutschen. Doch Kangerlussuaq macht nun einmal durstig. 17Uhr, die Sonne steht hoch am Himmel, 67° 00' N, knapp über dem Polarkreis brennt die Mitternachtssonne rund um die Uhr auf die Birne. Arktisch trockene Luft. Hier ist die Insel des schmelzenden ewigen Eises keine Schönheit: ein drei Kilometer langes Rollfeld, das im diesigen Nichts verschwindet, ein kleiner Tower, das Flughafengebäude eine Baracke mit Bar auf dem Dach. Kerosin- und Öltanks. Dahinter steigen 300 Meter hohe, vom Eiszeiteis rund geschliffene und von Flechten rostrote Felsrücken an, übersät mit Gesteinsbrocken, von niedrigen Büschen besiedelt. In der Talsohle sprießt Grün aus dem Sand, Löwenzahn, lila arktische Weidenröschen, wilder Thymian, Wollgras.

Kangerlussuaq ist eine Last-Frontier-Siedlung: Lagerhallen, Kraftwerk, Spital, Supermarkt, das Polar-Bear-Inn, grönlandtypisch bunte Sozial- und Containerbauten. Mittendurch rauscht der Watson River, schmelzwassergespeist, und lagert mächtig Schwemmsand an. Ein Moschusochsenfell trocknet in der Sonne. Die Grönlandhunde, die hier irgendwo sind, lassen nichts von sich hören. Dafür Singvögel. Grönland? „Könnte Kabul sein“, ätzt Toni, Fotograf aus Wien, der für den Reiseveranstalter schöne Fotos machen soll. Geduld, die bunten Legoland-Häuschen, die fantastischen Eisberge, das Meer – kommt alles noch.

Die üblichen Verdächtigen erlegen noch ein paar Elephants, dann ist der gelbe US-School-Bus zum Hafen, zur Fram, da. Adam Lyberth, der Fahrer, ist Inuit – Shorts, olivgrünes T-Shirt, Ray Ban Predator-Sonnenbrille, Sandalen, keine Socken. Auf der holprigen Fahrt schildert der 51-Jährige den Weicheiern im Polar-Outfit – Fleecepullover, Windstopperjacken, atmungsaktive Shirts, Bergschuhe –, was in Kangerlussuaq abgeht.

Die längste Straße von Grönland

Sein Englisch wäre okay. Adam ist Grönländer. Kallalisut, Grönländisch, die schwierigste Sprache der Welt, wird leise gesprochen. Klar auch: In der stillsten Ecke der nördlichen Hemisphäre war es fünf Jahrtausende lang nur selten angesagt, laut zu werden. Das grönländische Q etwa ist für Nicht-Inuit fast unhörbar: Man lege die Zunge nach ganz hinten und oben im Gaumen und atme aus oder ein. So hört sich Q an. Von Qujanaq, danke, hört unsereins nur ujana. Adam spricht zwar laut, aber färbt sein Englisch mit der butterweichen Inuit-Aussprache. Niemand versteht auch nur die Hälfte. So viel kommt aber rüber: von 1941 bis 1992 US-Militär-Basis, nach dem Kalten Krieg mitsamt entschärften Bomben, die die Straßen als Aschenbecher zieren, den Dänen geschenkt. 500 Einwohner, von denen die meisten auf dem Flughafen arbeiten.

Und: „Wir haben die längste Straße Grönlands“, sagt Adam, „40 Kilometer zum Inlandeis, zu Point 660. Dort kann man auf dem Russell-Gletscher wandern.“ VW hat die Sand- und Schotterpiste gebaut und als Teststrecke benutzt. Sieben Tage später, vor dem Heimflug, lernen die Touristen die Piste kennen: Mehr als eine Stunde Rüttelfahrt mit Adam, 25Kilometer zur ersten Zunge des Inlandeises, aber nicht bis zum Point 660. „Zu wenig Zeit“, sagt Adam. Noch eine Enttäuschung: Den Hang zum Fluss hinunter, zur 40 Meter hohen Kalbungsfront, dürfen die Touristen auch nicht. „Zu gefährlich, wenn Eis abbricht“, warnt Adam. Die Österreicher maulen. Haben auch keine Elephants dabei, Sonntag, der Supermarkt hatte zu. Und Moschusochsen, die hier leben, haben sie auch keine gesehen, außer als – großartige – faschierte Laibchen im Restaurant Roklubben am Fergusonsee oberhalb des Flughafens.

Endlich auf dem Schiff. Die Fram entschädigt für alles. „Sie werden mehr Eis sehen, als sie sich vorstellen können“, verspricht Kapitän Benny Didriksen beim Begrüßungsdrink. Endlich Meer, endlich die großartigen nackten Gipfel und Gletscherzungen, die auf halbem Weg ins Meer weit vor ihren einstigen Endmoränen verhungern, begleiten die Fram durch den 180 Kilometer langen Kangerlussuaq-Fjord, den zweitlängsten der Erde. Hinaus in die Davis-Straße. Zwischen den Gipfeln blinkt das Inlandeis hervor. Die Touristen nehmen das Schiff in Besitz, Favoriten sind das Promenadendeck fünf mit Zugang zum Bug und das Sonnendeck sieben mit Blick vom Heck.

Elephants gibt's keine an Bord, aber Tuborg im Panoramasalon auf Deck sieben, 4,44Euro das Krügel. Die Österreicher treffen sich auf Deck sieben in einer windstillen Ecke. Aschenbecher vorhanden. „Elephants sind teurer, aber besser“, maulen der Passauer und der Tiroler und verabschieden sich in den Open-Air-Whirlpool auf Deck sieben, um über den silbrigen Reflexionen der Sonne auf den Wellen und dem Gelborange der Küstenlandschaft zu meditieren.

Fischburger mit Mayo und Salat

In Sisimiut, mit 6000 Einwohnern die zweitgrößte Stadt Grönlands, legt die Fram am Atlantikkai neben Fisch- und Krabben-Trawlern an. Geschäftiges Hafenleben. Kräne stapeln Container von Royal Arctic, der größten grönländischen Reederei, zu haushohen Türmen. Inhalt: schwarzer Heilbutt, Dorsch, Lachs, Eismeerkrabben – die besten der Welt. Inuit bessern Motorboote aus, entwirren und flicken Netze. Im Hafenkiosk gibt's Fischburger mit Mayo und Salat, das Mittagspausenbier holen sich die Arbeiter der Fischverarbeitungsfabrik von Royal Greenland in der Tankstelle am Touristenkai, die auch Elephants führt. Der Tankwart kann kein Englisch. „28,50“, hilft ein wettergegerbter Europäer, Überraschung, auf Deutsch aus. Jürgen Jessen aus Nordstrand, Schleswig-Holstein. Er kam 1972 nach Grönland. „Damals waren Tischler gesucht. Ich bekam einen Zweijahresvertrag.“ Und er ist geblieben, weil: „Die Inuit sind gute Menschen, richtig süß.“ Jessen hat mit einer Einheimischen, Anne-Sophie, einen Sohn, Jonas, und ein Bauunternehmen. Und will nie mehr weg. „Die Freiheit, die Inuit, die Natur – ich bin glücklich.“ Und das mit 73. Grönland-Aussteiger gibt es so manche. In Ostgrönland lebt in Amassalik der Südtiroler Robert Peroni und betreibt mit Inuit das „Rote Haus“, eine Unterkunft für Touristen und Expeditionen. In Westgrönland, in Qeqertarsuaq auf der Diskoinsel, unterrichtete 2009 Gregoire Magloire, Immigrant aus Cote d'Ivoire, Englisch und Yoga. Heute lebt er in Qaqortoq, Südgrönland. Die Deutsche Birgitta Kammann lehrte 2009 in Uummannaq Deutsch, bevor sie mit ihrem Schlitten, ihren Hunden und ihrem Boot in die nördlichste Siedlung Grönlands mit 100 Einwohnern, Siorapaluk (77° 47' N), übersiedelte. Die Klimaerwärmung, die höhere Jahrestemperatur in der Arktis, trieb Birgitta nach Norden. Vor Uummannaq friert das Meer seit Jahren im Winter nicht mehr dick genug zu, um auf dem Eis zu fischen, um mit dem Hundegespann zwischen festgefrorenen Eisbergen herumzugurken, um Robben zu jagen oder Einheimische und Verwandte in Minisiedlungen zu besuchen.

2000 Jäger soll es noch geben auf Grönland. Sie beliefern die Supermarktketten Pisiffik und Pilersuisoq. In den Tiefkühltruhen liegen Mattak (Walhaut mit Speck), Narwalfleisch, Rentier, Moschusochse, Heilbutt, Lachs (13Euro/5kg) neben Rinderfilets aus Neuseeland (10,6€/kg!) und heimischen Lammkeulen (40€/kg!). „Das Leben ist teuer geworden“, hat Jessen gesagt. Aber dafür gibt es alles, was es früher nie gab: Mangos, Avocados, Weintrauben (150g/4,68€), Biotomaten (400g/3,34 €). Wer sich das leisten kann? Die übergewichtigen dänischen Expatriates sicher. Apropos: Elephants kosten 37,33 Euro im 20er-Pack. Macht sich für Touristen aber nicht so gut.

Sonne rund um die Uhr kreiert paradeisrote Visagen. Auf See geht das noch viel schneller, der Fahrtwind trägt dazu bei. Am schlimmsten erwischt es meist die Raucher. Die sind öfter draußen, sehen aber mehr und oft als erste: die Finnen unbekannter Meeressäuger, den typischen Blas schräg nach vorn der Buckelwale, Seevögelschwärme, die sich um treibende Kadaver raufen, gespenstische Nebelbänke frühmorgens und die unbeschreiblich schönen Pastelllichtspiele der Mitternachtssonne um zwei, drei Uhr früh.

Der Kapitän hat nicht zu viel versprochen. Schon weit südlich der Diskoinsel treiben Unmengen von Eisbergen, von Strömungen aufgefädelt wie an einer Schnur, an den Ufern gestrandet, als riesige Eisteppiche. An Bord wird es still, feierliche Stimmung kommt auf. Sogar der Tiroler und der Passauer sind schmähstad. Fünf Tage und fünf sonnenhelle Nächte schiebt sich die Fram durchs Eis, im Schritttempo, trotz Sonar, mit dem das Schiff 2012 ausgerüstet wurde.

Fotograf Toni ist glücklich. Täglich Eis. Und in den Inuit-Siedlungen mit den unaussprechlichen Namen, die die Fram anläuft (und deren Pilersuisoqs Elephants führen) – Qeqertarsuaq, Uummannaq, Ukkusissat, Itilleq und Qasigiannguit –, kriegt er die hübschen gelben, roten, blauen und grünen Holzhäuser auf Stelzen vor die Linse. Die pittoresken Anleger, die Eisberge zwischen den Booten, die Stege und Holztreppen, die die Häuser verbinden. Und die Wäsche, die im Wind flattert, vor dem Ultramarin des Meers, dem Weiß der Eisberge und dem Türkis des Wassers um sie.

Auf einem Spaziergang durch Qeqertarsuaq taufen der Passauer, der Tiroler und ein Wiener einen Modeleisberg, der sich in Steinwurfweite unmerklich im Wasser wiegt, Homer Simpson. Mit Elephants, versteht sich. Champagner wäre ungrönländisch.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 27.07.2013)

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