1943 - 2023

Entdecker eines archaischen Amerika: The-Band-Songschreiber Robbie Robertson gestorben

Robbie Robertson 1978 beim letzten Konzert von The Band
Robbie Robertson 1978 beim letzten Konzert von The BandMary Evans Picture Library via www.imago-images.de
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Mit „The Band“, die auch Bob Dylan begleitete, entwickelte Gitarrist Robbie Robertson einen zeitlosen Musizierstil. Nun ist er 80-jährig gestorben. Von ihm bleiben auch große Songs wie „The Night They Drove Old Dixie Down“.

„In the winter of ′65, we were barely alive.“ Diese Zeilen schrieb der junge Mann Robbie Robertson im Jahr 1968 für seinen Song „The Night The Drove Old Dixie Down“. Er blickte darin nicht drei Jahre zurück, sondern 103: Der Song schildert das Ende des Secessionskriegs aus der Sicht eines weißen Südstaatlers namens Virgil Caine, den Schmerz über die Niederlage. Robertson, selbst in Kanada geboren, Sohn eines Juden und einer Mohawk-Indianer, war alles andere als ein reaktionärer Südstaatler. So ist dieser – nie wertende – Song ein großes Beispiel für Einfühlungsvermögen. Und für das große unausgesprochene Projekt Robertsons und seiner Kollegen, die sich bescheiden und unverfroren zugleich „The Band“ nannten: musikalische Archäologie eines alten, ländlichen Amerikas, das in dieser Dichte gar nie existiert hat. Zugleich Ragtime und Hillbilly, Dixieland und Country. Und natürlich Rock‘n‘Roll, als ob dieser auch schon historisch gewesen wäre. Wenn man heute von einem Stil namens „Americana“ spricht, muss man wissen: The Band hat ihn erfunden.

Begonnen hatte das Quintett 1959 als „The Hawks“, Begleitband des Sängers Ronnie Hawkins. 1965 tat es sich mit Bob Dylan zusammen, machte mit ihm die Empörung darüber durch, dass Dylan sich vom puren Folk abwandte und „elektrisch wurde“. Robertson und seine vollbärtigen Kollegen prägten den legendären Quecksilber-Sound von „Blonde On Blonde“, vor allem nahmen sie danach eine Menge Songs auf, die erst viel später als „The Basement Tapes“ offiziell erscheinen sollten. Um 1968 zogen sie mit ihren Familien ins Künstlerdorf Woodstock, wo auch Dylan lebte. Dort, in einem rosa angemalten Holzhaus, entstand ihr erstes eigenes Album: „Music From Big Pink“ (1968), ein erdiges Gegenmodell zur psychedelisch entrückten Hippie-Welt.

Für The Band schrieb Robertson etliche große Songs. „The Weight“ etwa, das mit den rätselhaften Anfangszeilen „I pulled into Nazareth“ in eine zeitlose kleine Welt führt. Oder das schelmische „The Shape I‘m In“, aus dem jetzt viele zitieren werden: „Out of nine lives I spent seven, now how in the world do you get to heaven?“ Oder „Up On A Cripple Creek“, wo er von einer Reise träumt, „straight down the Mississippi River to the Gulf of Mexico to Lake Charles, Louisiana“. Diese Lieder waren immer sowohl Geografie wie Geschichte. Dass er sie nur selten selbst sang, sondern oft seinen mit stärkeren Stimmen gesegneten Kollegen Levon Helm und Rick Danko überließ, soll ihn selbst ein bisschen gekränkt haben. Es war vielleicht auch ein Grund dafür, dass The Band sich 1978 auflöste. Mit einem großen Finale, verfilmt als „The Last Waltz“ von Martin Scorsese, mit Gästen von Eric Clapton bis Ringo Starr, Joni Mitchell bis Neil Young. Und natürlich Bob Dylan, der einmal noch mit ihnen sein großes Lied von der Erlösung sang, „I Shall Be Released“, mit rauem Engelschor.

Robertson machte solo weiter. 1994 grub er für die Doku „The Native Americans“ nach musikalischen Wurzeln. Er arbeitete oft an Film-Soundtracks, zuletzt für Scorseses „Killers Of The Flower Moon“. 2021 machte ihn die „Welt“ in einem Interview auf den 80. Geburtstag Bob Dylans aufmerksam. „Gott, ist das alt“, sagte er. Nun ist Robbie Robertson nach langer Krankheit 80-jährig in Los Angeles im Kreis seiner Familie gestorben. Jetzt ist von der großen Band namens The Band nur mehr Organist Garth Hudson auf der Erde.

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