Der ökonomische Blick

Die vielen Gesichter der Diskriminierung

Abgesehen vom Aspekt der Fairness kann mehr Diversität in verschiedenen Dimensionen einiges bewirken.
Abgesehen vom Aspekt der Fairness kann mehr Diversität in verschiedenen Dimensionen einiges bewirken.Die Presse/Clemens Fabry
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Ein blinder Fleck in der Forschung zum Thema Diskriminierung: Das Zusammenspiel verschiedener gleichzeitig auftretender Faktoren kann zu multipler Diskriminierung führen.

Vereinfacht gesagt bedeutet Diskriminierung die nachteilige Behandlung einer Person aufgrund ihrer Zugehörigkeit zu einer bestimmten Gruppe oder Kategorie. Zu diesen Gruppen, Kategorien, oder „Gründen“, worauf Diskriminierung beruhen kann, gehören neben der Hautfarbe, der Rasse und dem Geschlecht auch die sexuelle Orientierung, das Körpergewicht, der Intellekt und vieles andere mehr. Die allgemeine Empfehlung 18 des UN-Menschenrechtsausschusses schreibt dazu: „[Nichtdiskriminierung erfordert], dass jeder Vertragsstaat die im Pakt anerkannten Rechte [...] für alle Menschen ohne Unterschied der Rasse, der Hautfarbe, des Geschlechts, der Sprache, der Religion, der politischen oder sonstigen Anschauungen, der nationalen oder sozialen Herkunft, des Vermögens, der Geburt oder des sonstigen Status achtet und gewährleistet“[18].

In der Forschung zu Diskriminierung werden die Gründe für Diskriminierung in der Regel getrennt voneinander betrachtet. Es gibt jedoch Situationen, in denen verschiedene Gründe zusammenspielen und Personen „multipler Diskriminierung“ ausgesetzt sind [7]. Verschiedene Studien erwähnen den Fall, in dem ein Arbeitgeber in der Produktion zwar Männer verschiedener Ethnien beschäftigte; im direkten Kundenkontakt jedoch nur Frauen der Mehrheitsethnie [1,5]. Ein anderes Beispiel sind bestimmte Untergruppen junger Menschen, die bei der Jobsuche aufgrund ihres jungen Alters in Kombination mit Gründen wie ihrer Ethnie oder Sprache diskriminiert werden [8]. Auch positive Diskriminierung kann auf verschiedenen gleichzeitig zutreffenden Gründen basieren: erinnern Sie sich an die Lyrikerin Amanda Gorman, die das Gedicht zur Amtseinführung von Joe Biden vortrug? Ihre Präsenz sollte sicherlich signalisieren, dass unter diesem Präsidenten auch junge, nicht-weiße Frauen respektiert werden.

Was ist „Der ökonomische Blick“?

Jede Woche gestaltet die Nationalökonomische Gesellschaft (NOeG) in Kooperation mit der „Presse“ einen Blogbeitrag zu einem aktuellen ökonomischen Thema. Die NOeG ist ein gemeinnütziger Verein zur Förderung der Wirtschaftswissenschaften. Dieser Beitrag ist auch Teil des Defacto Blogs der wirtschaftswissenschaftlichen Fakultät an der Central European University (CEU). Die CEU ist seit 2019 in Wien ansässig.

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In der Forschung zu Diskriminierung werden die Gründe für Diskriminierung in der Regel getrennt voneinander betrachtet. Es gibt jedoch Situationen, in denen verschiedene Gründe zusammenspielen und Personen „multipler Diskriminierung“ ausgesetzt sind.
In der Forschung zu Diskriminierung werden die Gründe für Diskriminierung in der Regel getrennt voneinander betrachtet. Es gibt jedoch Situationen, in denen verschiedene Gründe zusammenspielen und Personen „multipler Diskriminierung“ ausgesetzt sind.

Innsbrucker Forschungsgruppe untersucht multiple Diskriminierung

Diese Beispiele zeigen: Manchmal müssen verschiedene Gründe kombiniert betrachtet werden, um eine Behandlung, die eine Person erfährt, angemessen zu beschreiben. So wurde der oben genannte Arbeitgeber vom Vorwurf der Diskriminierung freigesprochen – schließlich diskriminiert er weder aufgrund von Geschlecht noch aufgrund von Ethnie. Eine kleine Forschungsgruppe an der Universität Innsbruck untersucht, wie die verschiedenen Gründe zusammenspielen, wenn es um multidimensionale Identitäten geht, unter welchen Bedingungen welche Gründe eine Rolle spielen, und wie viele Menschen tatsächlich von multipler Diskriminierung betroffen sind. Erst wenn diese zugrundeliegenden Mechanismen verstanden werden, können wir diskriminierendes Verhalten korrekt modellieren. Dies ist wiederum notwendig, um herauszufinden, wo knappe Ressourcen am besten eingesetzt werden können, um Diskriminierung zu reduzieren.

Warum ist es wichtig, Diskriminierung zu reduzieren? Warum sollten sich Wirtschaftswissenschaftler um Vielfalt kümmern? Abgesehen vom Aspekt der Fairness – in vielen Top-Positionen und insbesondere in den Wirtschaftswissenschaften sind Frauen und Minderheiten oft drastisch unterrepräsentiert [2,4,17] – kann mehr Diversität in verschiedenen Dimensionen einiges bewirken; Rückschlüsse darauf lassen sich aus den Ergebnissen der allgemeinen Forschung zur Diskriminierung schließen. Zum einen profitiert ein einzelner Arbeitgeber für gewöhnlich davon, die produktivsten Mitarbeiter einzustellen, und nicht aufgrund von persönlichen Präferenzen auf Gewinne zu verzichten.

Gleichstellung der Geschlechter könnte BIP positiv beeinflussen

Es gibt aber auch eine Reihe gesamtwirtschaftlicher Auswirkungen. Allein die Gleichstellung der Geschlechter hätte vermutlich schon eine stark positive Auswirkung auf das Bruttoinlandsprodukt (BIP): Forscher des European Institute for Gender Equality schätzen, dass die Verbesserung der Gleichstellung der Geschlechter zu einem Anstieg des Pro-Kopf-BIP in der EU bis 2050 um 6,1 bis 9,6% führen würde, was 1,95 bis 3,15 Billionen Euro entspricht [6]. Des Weiteren verbessert Vielfalt, Gruppendynamiken und Entscheidungsfindungsprozesse [siehe, z.B., 9–11,15,16]. Und schließlich können Menschen unterschiedlicher Identitäten durch ihre Sichtweise das Spektrum der behandelten Themen erweitern, und bekannte Themen aus anderen Perspektiven betrachten. Das kann zu anderen Interpretationen von Ergebnissen führen und zu alternativen Politikempfehlungen [3]. So haben zum Beispiel verschiedene Studien ergeben, dass es signifikante Differenzen gibt zwischen den Ansichten von Männern und Frauen hinsichtlich Umweltschutz, Fragen der Chancengleichheit, und zahlreichen weiteren Themen [12,14]. Ein weiteres Beispiel sind Frauen, die das herkömmliche Verständnis von wirtschaftlichen Begriffen wie „Wert“, „Schulden“, „Wachstum“ und „BIP“ infrage stellen und neu definieren [13].

Diversität unter Entscheidungsträgern kann einen Einfluss darauf haben, wie die Politik und unsere Gesellschaft gestaltet werden. Eine stärkere Vertretung von Minderheiten kann zu ausgewogeneren politischen Empfehlungen für drängende Fragen wie z.B. dem Klimawandel führen, und betrifft somit jeden Einzelnen von uns, als Bürger und Verbraucher.

Die Autorin

Dr. Regine Oexl arbeitet als Senior Lecturer an der Universität Innsbruck. Im Bereich der Verhaltensökonomie deckt sie mithilfe von Experimenten Zusammenhänge auf, um aus ihren Ergebnissen evidenzbasierte Politikempfehlungen abzuleiten.

Referenzen

[1] Auma, Maisha-Maureen, “Kimberlè Crenshaw’s influence on my thinking with regard to transformative justice,” 2019.

[2] Auriol, Emmanuelle, Guido Friebel, and Lambros Pechlivanos, “Career Concerns in Teams,” Journal of Labor Economics, 2002, 20 (2), 289–307.

[3] Bayer, Amanda and Cecilia Elena Rouse, “Diversity in the Economics Profession: A New Attack on an Old Problem,” Journal of Economic Perspectives, November 2016, 30 (4), 221–42.

[4] Collins, Susan M., “Minority Groups in the Economics Profession,” Journal of Economic Perspectives, June 2000, 14 (2), 133–148.

[5] EAC, “Race and Sex in Antidiscrimination Law,” Encyclopedia of the American Constitution, accessed July 25, 2023 from Encyclopedia.com: https://www.encyclopedia.com/politics/encyclopedias-almanacs-transcripts-andmaps/race-and-sex-antidiscrimination-law.

[6] EIGE, “Economic Benefits of Gender Equality in the European Union,” European Institute for Gender Equality, 2017, available at: https://eige.europa.eu/newsroom/economic-benefits-gender-equality, accessed 3 August 2023.

[7] ENAR, “Fact sheet 44: The legal implications of multiple discrimination,” European Network Against Racism, 2011.

[8] European Youth Forum, “Survey on “Youth and Multiple Discrimination in Europe” Summary,” https://www.youthforum.org/survey-youth-and-multiple-discrimination-executive-summary, 2014.

[9] Hoogendoorn, Sander and Mirjam van Praag, “Ethnic Diversity and Team Performance: A Field Experiment,” Tinbergen Institute Discussion Papers 12-068/3, Tinbergen Institute July 2012.

[10] , Hessel Oosterbeek, and Mirjam van Praag, “The Impact of Gender Diversity on the Performance of Business Teams: Evidence from a Field Experiment,” Management Science, 2013, 59 (7), 1514–1528.

[11] Levine, Sheen S., Evan P. Apfelbaum, Mark Bernard, Valerie L. Bartelt, Edward J. Zajac, and David Stark, “Ethnic diversity deflates price bubbles,” Proceedings of the National Academy of Sciences, 2014, 111 (52), 18524–18529.

[12] Mari, May Ann, Mary G. McGarvey, and Robert Whaples, “Are Disagreements among Male and Female Economists Marginal at Best? A Survey of AEA Members and Their Views on Economics and Economic Policy,” Contemporary Economic Policy, 2014, 32 (1), 111–132.

[13] MarianVidal-Fernandez, Duygu Yengin, and Rigissa Megalokonomou, “Why having more women/diverse economists benefits us all,” VoxEU.org, 21.11.2021.

[14] May, Ann Mari, Mary G. McGarvey, Christopher R. Gustafson, and Taro Mieno, “Gender, environmental issues and policy: An examination of the views of male and female economists,” Ecological Economics, 2021, 182, 106877.

[15] Phillips, Katherine W., Gregory B. Northcraft, and Margaret A. Neale, “Surface-Level Diversity and Decision-Making in Groups: When Does Deep-Level Similarity Help?,” Group Processes & Intergroup Relations, 2006, 9 (4), 467–482.

[16] Sommers, Samuel R, “On racial diversity and group decision making: identifying multiple effects of racial composition on jury deliberations.,” Journal of personality and social psychology, 2006, 90 (4), 597.

[17] Sondergeld, Jess Palka Philip Hanspach Virginia, “Few Top Positions in Economics Are Held by Women,” VoxEU.org, 05.02.2021.

[18] UNHRC, “CCPR General Comment No. 18: Non-discrimination,” UN Human Rights Committee, 1989, available at: https://www.refworld.org/docid/453883fa8.html, accessed 3 August 2023.

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