Neurowissenschaft

Pink-Floyd-Song aus Gehirnströmen gelesen

Was hören wir hier? Pink Floyd in derselben Besetzung, mit der sie im Jahr 1979 das Album „The Wall“ aufnahmen.
Was hören wir hier? Pink Floyd in derselben Besetzung, mit der sie im Jahr 1979 das Album „The Wall“ aufnahmen. Die Presse Fotos extern
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US-Forscher spielten Testpersonen das Stück „Another Brick In The Wall“ vor – und konnten es später aus Elektroenzephalogramm-Aufnahmen rekonstruieren.

Das kurze Audioclip klingt verzerrt, verwischt, ja: gruslig, aber man erkennt es, wenn man den Song kennt, als Bruchstück aus “Another Brick in the Wall, Part 1”, dem Pink-Floyd-Hit aus dem Jahr 1979: „All and all it‘s just another brick in the wall.“

Die Stimme erinnert an die Sprachsynthesizer-Stimme des späten Stephen Hawking, die Musik, wenn man es denn so nennen kann, hört sich an, wie man sich klischeehaft computergenerierte Musik vorstellt. Und das ist dieses Konstrukt auch, aber nicht nur. Es ist über einen Umweg entstanden: über menschliche Gehirne.

Neurowissenschaftler am Albany Medical Center spielten 29 Patienten, an denen gerade Hirnoperationen wegen Epilepsie vorgenommen wurden – was ja schmerzfrei und bei Bewusstsein passiert – dieses Stück vor und nahmen dabei die Aktivität von Hunderten Elektroden auf, die an der Oberfläche des Gehirns, innerhalb des Schädels der Patienten befestigt waren. Ihre Forschungsfrage war: Kann man aus diesen Signalen rekonstruieren, was die Menschen gehört haben? Gut ein Jahrzehnt später, nach aufwendiger Analysearbeit, geben sie in der Zeitschrift „Plos Biology“ (15.8.) eine Antwort: Ja. Und sie belegen das mit dem genannten Clip.

„Keyboard für den Geist“

Theoretisch wäre das ja zu erwarten gewesen: Alle Reize, die das Hirn verarbeitet, sollten sich in elektrischer Aktivität auswirken. Und wenn die Elektroden, die diese Aktivität aufzeichnen, nahe an den Hörzentren liegen, kann man sich vorstellen, dass sie Gehörtes widerspiegeln. Dass es so gut funktioniert hat, dass offenbar Tonhöhe, Rhythmus, sogar stimmlicher Ausdruck wiedergegeben werden, überrascht dennoch. Und man fragt sich unwillkürlich, wie stark bei der Analyse diverse Parameter so optimiert wurden, dass sich eben das erwünschte Ergebnis einstellte. Ludovic Bellier von der University of California in Berkeley, an der Analyse der EEG-Daten führend beteiligt und selbst Musiker, unter anderem in einer Heavy-Metal-Band, gibt gern zu, dass da viel Interpretation dabei ist: „Derzeit ist diese Technologie eher wie ein Keyboard für den Geist. Man muss Knöpfe drücken. Und sie erzeugt eine roboterartige Stimme.“

Vom Originalsong übers Hirn zum rekonstruierten Song: So illustrieren die Forscher ihre Methode.
Vom Originalsong übers Hirn zum rekonstruierten Song: So illustrieren die Forscher ihre Methode.PLOS Biology

Nicht ganz zufällig ist wohl die Auswahl des Musikstücks: „Another Brick In The Wall“, teils von einem Kinderchor gesungen, ist erstens sehr eingängig. Übrigens würde man es nicht wirklich, wie in der Aussendung der Forscher passiert, als „Classic Rock“ bezeichnen. Zweitens ist es im Konzeptalbum „The Wall“ das Lied von Schülern, die sich gegen Manipulation durch Lehrer und das gesamte Erziehungssystem wehren. „We don‘t need no thought control“, ist eine Zeile daraus, und die Assoziation mit Überwachung von Gedanken liegt ja bei solchen Experimenten nahe. Die Forscher legen Wert darauf, dass mit einer solchen Methode nicht von außen die Musik abgehört werden kann, die sich jemand gerade im Kopf vorstellt. Denn es bedarf dazu großer Nähe der Elektroden zu den Hörzentren. Aber das Ergebnis gibt Hoffnung darauf, dass vollständig Gelähmte dereinst nicht nur – wie es jetzt schon möglich ist – Buchstaben oder höchstens Wörter per Elektroden aus ihrem Hirn in die Außenwelt transportieren können, sondern auch deren emotionalen Gehalt, der sich ja in Betonung, Rhythmus und Tonhöhe ausdrückt.

Lokalisierung musikalischer Elemente

Im Zug ihrer Arbeit gelang es den Forscher auch, diverse Elemente der Verarbeitung der Musik im Kopf genauer zu lokalisieren. So fanden sie, dass ein bestimmter Fleck im Gyrus temporalis superior, genau hinter und über dem Ohr, genau dann aktiv ist, wenn eine Stimme oder ein Instrument – diesfalls die akustische Gitarre – gerade einsetzt. Wenn man die Signale der dort platzierten Elektroden weglässt, beeinträchtigt das die Wiedererkennbarkeit des Songs stark. Und die Forscher konnten bestätigen, was man schon lange glaubt: dass die rechte Hirnhälfte an der Verarbeitung von Musik stärker beteiligt ist als die linke. Bei Sprache ist es umgekehrt.

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