Narkolepsie: Jung, schlank, aber immer nur müde

Narkolepsie Jung schlank aber
Narkolepsie Jung schlank aber(c) www.BilderBox.com (www.BilderBox.com)
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Immer wieder schlief Nadja P. plötzlich ein, auch mitten im Gespräch. Nach sechs Jahren Qual endlich eine Diagnose: Narkolepsie, im Volksmund Schlafkrankheit genannt.

Auto fahren? Nur minimale Strecken, denn Nadja P. schlief immer wieder kurz ein. Nach der Arbeit ausgehen, Freunde treffen? Abgehakt, die 20-Jährige war viel zu müde. Und im Supermarkt musste sie sich an den Einkaufswagen klammern und sich völlig darauf konzentrieren, wach zu bleiben. Rund sechs Jahre ging das so: Immer nur müde, erschöpft, fix und fertig, ohne entsprechenden Grund. „Ich habe mir schon gedacht, ich spinne. Ich suchte einen Arzt nach dem anderen auf und immer hieß es, ich sei kerngesund. Da fängt man schon an, ernsthaft an sich zu zweifeln“, erinnert sich die heute 23-jährige Kärntnerin. Seit einem Jahr weiß sie, woher ihre stete bleierne Müdigkeit stammte: Nadja P. leidet unter Narkolepsie, im Volksmund auch Schlafkrankheit oder Schlummersucht genannt. „Davor habe ich gar nicht gewusst, dass es das überhaupt gibt.“

Fast wie benebelt.
Zehn bis 15 Jahre dauert es im internationalen Schnitt, bis Narkolepsie überhaupt diagnostiziert wird. Da hatte Nadja P. fast noch Glück mit ihrer Diagnose – sie kam „schon“ nach sechs Jahren. Begonnen hat alles, als sie sechzehn Jahre alt war und die Höhere Lehranstalt für wirtschaftliche Berufe in St.Veit an der Glan besuchte. „Ich hatte größte Probleme, in der Früh aufzustehen. Bevor ich noch so richtig wach war, bin ich schon wieder eingeschlafen. Und ich war immer müde, fast wie benebelt, die Konzentration in der Schule fiel mir unendlich schwer. An den Wochenenden bin ich oft einen halben Tag nur am Bett gesessen und habe mich dann zum Schlafen hingelegt.“

Irgendwie hat das Mädchen die Schule dann doch geschafft. Auch das Arbeitsleben (erst Rezeptionistin in einem Kurzentrum, jetzt in der Patientenaufnahme einer Klagenfurter Privatklinik) war nicht einfach, erforderte oft richtige Kraftakte. Wenn Nadja P. dann von ihrem Job nach Hause kam, legte sie sich sofort auf die Wohnzimmercouch und schlief. „Ich war mehr als müde, ich war total erschöpft, wollte nur noch schlafen, schlafen.“ Wenn ihr Freund Stefan versuchte, sie zu wecken, reagierte sie unwirsch, beschimpfte ihn, „aber ich habe das gar nicht so richtig mitbekommen und später nichts mehr davon gewusst“.

Und immer wieder diese Schlafattacken, das plötzliche, unbeherrschbare Einnicken. Im Museum, beim Gespräch, einige Male auch am Steuer.

„Plötzlich auftretende, unwiderstehliche Schlafattacken, die rund 95 Prozent aller Neuroleptiker befallen, sind eines der Kardinalsymptome der neurologischen Erkrankung Narkolepsie. Betroffene schlafen im Bruchteil einer Sekunde ein, ob das nun beim Autofahren oder mitten im Gespräch ist“, erklärt Bruno Pramsohler, Vorstand der Neurologie an der Privatklinik Villach. „Solche Schlafanfälle kommen ein- bis 30-mal am Tag vor. Zusätzlich werden viele Patienten von extremer Tagesschläfrigkeit geplagt.“

Denn in sehr vielen Fällen leiden Betroffene auch noch an starken nächtlichen Schlafstörungen, wachen sehr oft auf und liegen dann stundenlang wach. Pramsohler: „In diesen Wachphasen haben viele vermehrt Appetit und pilgern nächtens sehr oft zum Kühlschrank. Narkoleptiker sind häufig übergewichtig.“ Nadja P. ist weit davon entfernt, hat die Maße eines Models. Vom Sport können die jedenfalls nicht herrühren, denn in den sechs Jahren ihrer Krankheit war die Kärntnerin viel zu müde dazu. Häufig zu erschöpft auch, um den Haushalt zu meistern. „Staubsaugen war für mich anstrengend wie ein Marathonlauf, mein Lebensgefährte hat viel im Haushalt mitgeholfen.“ Nicht nur das: Stefan hat sie auch kreuz und quer durch die Gegend kutschiert – „Auto zu fahren ging nun gar nicht mehr“ –, hat immer wieder Verständnis gehabt, wenn sie in letzter Minute das Grillfest, die Geburtstagsparty, den Kinobesuch absagen mussten, „weil ich so unendlich müde war“.

Ein neues Leben. Wenn sich Nadja P. dann doch eines der seltenen Male etwa zu einem Museumsbesuch aufraffen konnte, dauerte es meist keine zehn Minuten und die junge Frau musste sich niedersetzen und nickte ein. „Ich war so, so müde und vor zwei Jahren habe ich auch noch mit dem Flötenspiel aufgehört. Ich saß da und fragte mich, was ist das für eine Note, ich konnte nicht mehr. Ich wusste, irgendetwas stimmt mit mir nicht.“

Dann kamen noch diese immer wiederkehrenden, unheimlichen Halluzinationen dazu, „ich wusste erst nicht, ob ich träumte, ob ich dies oder jenes wirklich erlebte oder ob es eine Halluzination war“, schildert die hübsche junge Frau, „manchmal habe ich wirklich gedacht, jetzt sei ich endgültig verrückt“.

„Derlei Halluzinationen sind ganz typische Symptome für Narkolepsie“, erklärt Pramsohler, Nicht verrückt also, „nur“ ein Symptom einer gut behandelbaren Krankheit – es war fast wie eine Erlösung, als Nadja P. vor etwa einem Jahr die Diagnose Narkolepsie erhielt.

Primar Pramsohler, der sich seit Jahren intensiv mit diesem Krankheitsbild auseinandersetzt, konnte sie mittels Fragebogen, Bluttest und speziellen Tests im Schlaflabor stellen. Seither nimmt die 23-Jährige penibel und auf die Minute genau ihre Medikamente, jeden Tag, ein Leben lang. „Ich bin ganz erstaunt, wie viel man von einem Tag hat, was man alles anfangen kann, wenn man nicht nur schläft.“ Jetzt trifft Nadja wieder Freunde, geht mit ihrem Lebensgefährten aus und mit den Hunden spazieren, im Herbst wird sie dann wieder mit dem Flötenspiel beginnen. „Ich habe jetzt ein neues Leben.“

Traum oder Wahrheit?

Leitsymptome. Die vierLeitsymptome der Narkolepsie (im Volksmund Schlafkrankheit)sind: Schlafattacken,plötzlicher Verlust der Muskelspannung,Schlaflähmung und Halluzinationen.

Bei den Halluzinationen handelt es sich nicht um Halluzinationen im landläufigen Sinn.

Verwirrt. Patienten träumen sofort nach dem Einschlafen, wachen dann gleich wieder auf und wissen im ersten Moment nicht, ob sie geträumt haben oder ob sie halluzinieren. Das nennt man eine hypnagoge Halluzination. Passiert das beim Aufwachen, spricht man von einer hypnopompem Halluzination.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 18.08.2013)

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