Händlersterben

6400 Handelsbetriebe mussten im ersten Halbjahr schließen

Die Möbelkette Kika/Leiner ist die bisher größte Insolvenz des heurigen Jahres.
Die Möbelkette Kika/Leiner ist die bisher größte Insolvenz des heurigen Jahres.IMAGO/Martin Juen
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Der Handel blickt auf geschäftlich miserable Monate zurück. Eine getrübte Konsumstimmung und sinkende Umsätze führen zu einem nie dagewesenen Händlersterben. Die mittelfristige Perspektive macht kaum Hoffnung auf Besserung.

Die Branche hat sich über die vergangenen Jahre den Ruf erarbeitet, viel zu jammern. Tatsächlich haben die heimischen Händler derzeit aber allen Grund dazu. Spektakuläre Großinsolvenzen wie jene der Möbelkette Kika/Leiner oder vom Schuhhändler Salamander sind nur die Spitze des Eisberges. Alleine in den ersten sechs Monaten des Jahres mussten im Einzelhandel 6400 Betriebe schließen, eine Zunahme von 141 Prozent im Vergleich zum selben Zeitraum 2021. 480 Handelsbetriebe – darunter mehrere große Filialsysteme – meldeten zwischen Jänner und Juli zudem Insolvenz an, wie eine Sonderauswertung vom Kreditschutzverband 1870 zeigt.

Die gestiegenen Finanzierungskosten würden die Branche bei gleichzeitig eingebrochener Konsumlaue extrem belasten, sagt Rainer Trefelik, Handelssprecher der Wirtschaftskammer (WKÖ) bei einem Hintergrundgespräch am Montagabend: „Wir müssen die Schere zwischen ausufernden Kosten und der Umsatzentwicklung schnellstmöglich wieder schließen. Sonst werden noch deutlich mehr Geschäfte zusperren müssen.“ Am Konjunktur-Himmel würden sich viele dunkle Wolken zeigen, „teilweise sogar Gewitter“, so Trefelik.

Absätze unter Niveau von 2019

Tatsächlich sind die Aussichten für die Branche alles andere als rosig, wie eine aktuelle Auswertung im Auftrag der WKÖ zeigt. Seit nunmehr neun Monaten in Serie verbucht der Handel in Österreich ein reales Minus. Nominell gab es im ersten Halbjahr 2023 zwar ein leichtes Plus von 1,9 Prozent. Inflationsbereinigt ergibt sich daraus aber ein Minus von vier Prozent. Sogar im Vergleich zum Vorkrisenniveau von 2019 ging das Absatzvolumen des heimischen Einzelhandels um 0,8 Prozent zurück. „Damit liegt die reale Einzelhandelsentwicklung in Österreich das sechste Halbjahr in Folge unter dem Durchschnitt der EU-27“, sagt Studienautor Peter Voithofer vom Institut für Österreichs Wirtschaft. Eine alarmierende Bilanz.

Nominell erwirtschaftete der Lebensmittelhandel im ersten Halbjahr zwar ein Umsatzplus von 9,5 Prozent, abzüglich der gestiegenen Kosten sind aber auch in der zuletzt politisch ins Visier geratenen Branche die Absätze um 1,9 Prozent zurückgegangen. Noch deutlich härter hat es den Elektro- (minus 9,9 Prozent) und den Möbelhandel (minus 27,2 Prozent) getroffen. Die Umsatzeinbrüche im Möbelhandel haben weniger mit der Pleite von Kika/Leiner zu tun – die betroffenen Filialen haben erst mit Ende Juli geschlossen –, sondern vielmehr mit der allgemein eingetrübten konjunkturellen Situation: mit steigenden Zinsen wird weniger gebaut, was den Einrichtungssektor wohl auch in den kommenden Jahren noch hemmen wird.

Tatsächliche Arbeitszeit um 1,5 Stunden pro Woche zurückgegangen

Gilt Österreich generell als „Teilzeitrepublik“, stimmt das für den Handel ganz besonders. 55 Prozent im Einzelhandel und 25 Prozent im Großhandel sind teilzeitbeschäftigt, Tendenz steigend. Der Wunsch nach Teilzeit gehe immer mehr von den Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern aus, sagt WKÖ-Funktionärin Sonja Marchhart. „Gerade in kleineren Filialen erschwert das die Erstellung von Dienstplänen ungemein. Wir würden uns wünschen, dass wieder mehr Mitarbeiter auf Vollzeit aufstocken.“ Seit Corona sei die durchschnittlich geleistete Arbeitszeit im Handel aber um eineinhalb Stunden pro Woche zurückgegangen, so Marchhart. Politisch würden völlig falsche Anreize gesetzt, die eher zu einer Verkürzung der Arbeitszeit führten, kritisiert man in der Branche.

Mit einen Grund für die schlechte wirtschaftliche Situation des Handels sieht Spartenobmann Rainer Trefelik in den hohen Lohnabschlüssen des vergangenen Jahres, die vor allem Betrieben in beratungsintensiven Branchen zu schaffen machen. „Wir haben hier schon letztes Jahr die Grenzen des Zumutbaren überschritten“. Die Konsequenz zeige sich im katastrophalen Zustand der Branche.

Hohe Personalkosten könnten Pleitewelle fortschreiben

Die nächste Lohnrunde steht für den Handel im Herbst vor der Tür. Dabei darf sich die Arbeitgeberseite erneut auf hohe Forderungen der Gewerkschaft einstellen. Derzeit liegt die als Bemessungsgrundlage dienende rollierende Inflation bei 9,7 Prozent. Dieser Wert dürfte bis zum Verhandlungsbeginn im Oktober zwar noch etwas zurückgehen, große Hoffnungen auf ein Entgegenkommen seitens der Gewerkschafter brauchen sich die Arbeitnehmer trotz Forderungen von Ökonomen zur Lohnzurückhaltung aber wohl nicht machen.

Es wird Fingerspitzengefühl gefragt sein auf beiden Seiten: Der Handel gilt lohntechnisch alles andere als attraktiv. Sollte sich wegen ausufernder Personalkosten aber die Pleitewelle fortsetzen, ist niemandem geholfen. Am Allerwenigsten den betroffenen Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern, die dadurch ihren Job verlieren.

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