Pizzicato

Das Problem mit der (Un)Bildung

Bei so manchen Themen kommen bei uns befremdlich schiefe Argumente daher, die offenbar schlecht kalkuliert worden sind.
Bei so manchen Themen kommen bei uns befremdlich schiefe Argumente daher, die offenbar schlecht kalkuliert worden sind.Clemens Fabry
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Schulbeginn! Sicher werden nun wieder die typischen Themen dazu aufgewärmt. Etwa, dass es in Österreich das Problem gebe, dass Bildung vererbt werde. Ist das echt so böse oder schlicht eine übel missverständliche Formulierung?

Nun geht also wieder die Schule los, vorerst im Osten. Damit weiß man, was für Themen demnächst wieder breit getreten werden. All die Sachen mit den je nachdem armen, überforderten oder pösen Lehrern, den schwierigen Lehrstoffen, den superlangen Ferien etc. Und natürlich die Sache mit der Bildung an sich. Wetten, dass wieder jemand (meist aus SPÖ-Kreisen) das Lamento anstimmt, dass Bildung schrecklicherweise „vererbt“ werde? Der ORF hat‘s kürzlich wieder getan: Bei uns hänge der Schulerfolg stark von der Bildung der Eltern ab, hieß es. Arbeiterkinder hätten es schwerer als solche aus „höheren“ Schichten. Bildung werde vererbt. Nicht gut! Punkt.

Klar, da ist schon was dran. Ist aber soziologisch gesehen irgendwie logisch. Nur fragst du dich, wie die Leute im Lauf der Zeit überhaupt zu irgendetwas aufsteigen konnten. Früher waren wir Menschen fast alle Bauern, Fischer, Jäger und so. Noch anno 1900 im Gebiet des heutigen Österreichs war fast die Hälfte der Bevölkerung im Land- und Forstwirtschaftsmilieu. Und heute? Ein paar Prozenterl. Meine Uropas waren Bauern und Handwerker (einer aber war sogar Lehrer), meine Opas ein Bauer und ein Eisenbahner, mein Vater Arzt. Wow, wie der das nur geschafft hat? (Man unterschätze allerdings die Bauern nicht - das ist ein häufiger, unguter Habitus im Milieu der formal höheren Bildungsschicht.)

1961 hatten über 80 Prozent der Österreicher nur Pflichtschulabschluss, zuletzt noch zirka 18 Prozent. Das mit der Bildungsvererbung sei insgesamt ein Mythos, heißt‘s auch beim Think Tank Agenda Austria, wo man sich übrigens auch sarkastisch fragt, wie die inkriminierte Bildungsvererbung in einem Land möglich sein könnte, wo die öffentliche Hand fast den gesamten Bildungssektor kontrolliert und freien Bildungszugang garantiert. Letztlich steckt heute hinter jedem Physikprofessor, Schriftsteller, Richter, Neurochirurgen, Konzernmanager und Chefredakteur historisch gesehen irgendwann ein Bauer und/oder Hackler.

Das klingt doch wie ein Vorwurf!

Bei dem ganzen Bildungsvererbungsgeklage geht es allerdings auch um den seltsamen Ton: Es klingt so nach Vorwurf gegenüber (formal) Gebildeteren, ja gegenüber Bildung an sich. Dabei muss man doch froh sein, wenn Bildung, Wissen, Fähigkeiten vererbt bzw. weitergegeben werden! Wenn es Familien schaffen, ein Niveau zu halten. Das wächst nicht aus dem luftleeren Raum heraus. Wobei natürlich - wichtig! - Akademiker auch nicht nur Akademiker reproduzieren müssen, im Gegenteil: Es ist gut, wenn aus einer Ärztefamilie ein Konditor entspringt oder aus einem Psychologenclan eine Feinmechanikerin. Die Wirtschaft jammert eh, dass es zu viele Akademiker und zu wenige Fachkräfte des so wichtigen Mittelbaus gibt.

In diesem Sinne ist‘s eigentlich bedrohlich, wenn die Bildungssprecherin der SPÖ vor einiger Zeit gefordert hat: „Die Regierung muss die Vererbung von Bildung beenden.“ Ähnliches hat man speziell aus diesem Politsektor schon oft gehört. Wow: Du sollst intellektuell also nix weitergeben, die Bücher und Chemiebaukästen verstecken, Besuche in Museen streichen und die Kindlein vor dem Fernseher parken? Ist man nicht verpflichtet, Bildung zu verschaffen, ja zu vererben? Okay, die Dame hat es sicher nicht so gemeint. Aber der Satz ist schon sehr missverständlich und klingt schrecklich.

Nun ja: Das Bildungsvererbungsgeklage kommt offenbar aus derselben Ecke wie jenes in Bezug auf das finanzielle Erben. Mit Erben hat die SPÖ bekanntlich ein Problem. Das Problem bei der Bildung ist aber in Wahrheit nicht, dass Bildung vererbt wird: Ein Problem ist es vielmehr, wenn Unbildung vererbt wird. Der andere Vorwurf hingegen vergiftet nur den Ton in dieser Debatte. (wg)

E-Mails an: wolfgang.greber@diepresse.com

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