Griechenland: "Dominoeffekt der Verunsicherung"

Dominoeffekt Verunsicherung
Dominoeffekt Verunsicherung(c) Reuters
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Angela Merkels Stillhaltetaktik greift nicht mehr. Selbst Parteikollegen sehen einen weiteren Schuldenschnitt für Athen am Horizont. Die Kanzlerin will davon nichts hören.

Berlin/Wien/Ag./Auer. Wenige Wochen vor der deutschen Bundestagswahl kommt Bewegung in die Debatte rund um das kriselnde Euromitglied Griechenland. Erst stellte der deutsche Finanzminister Wolfgang Schäuble (CDU) klar, dass Athen noch einmal Geld von seinen Partnerländern brauchen wird. Dann legte EU-Kommissar Günther Oettinger (CDU) noch eins drauf, bezifferte die benötigte Summe mit mindestens zehn Milliarden Euro und stellte auch einen weiteren Schuldenschnitt für Hellas – und damit neue Verluste für deutsche (und österreichische) Steuerzahler – in den Raum.

„Schon die Debatte schadet“

Für seine wahlwerbende Parteifreundin Andrea Merkel war das zu viel. Die deutsche Kanzlerin verlässt sich beim Thema Griechenland seit Sommerbeginn auf eine Mischung aus Stillhaltetaktik und Beschwichtigungspolitik. Frühestens 2014 dürfe man wieder laut darüber nachdenken, ob und wie viel Geld die Euroländer noch für Griechenland in die Hand nehmen müssten. Von einem zweiten Schuldenerlass will sie überhaupt nichts hören. „Ich warne ausdrücklich vor einem Schuldenschnitt in Griechenland“, sagte sie im Gespräch mit dem Magazin „Focus“. „Ein Schuldenschnitt könnte einen Dominoeffekt der Verunsicherung auslösen, an dessen Ende die Investitionsbereitschaft privater Anleger in der Eurozone weder gen null geht.“

Schützenhilfe bekam sie nicht nur von Finanzminister Schäuble, sondern auch von Jörg Asmussen, dem deutschen Direktor bei der Europäischen Zentralbank. Schon die Debatte über einen weiteren Schuldenerlass sei schädlich, sagte er. Der Reformdruck auf das Land werde dadurch nur verringert.

SPD: Reiche Griechen abkassieren

Der deutschen Regierung wird die Diskussion dennoch nicht erspart bleiben. Denn die Opposition und zahlreiche Experten haben sich auf das Thema Griechenland eingeschossen. Sie werfen Merkel vor, notwendige Schritte bis nach den Wahlen zu verschleppen, um keine Wähler zu vergraulen. „Jeder weiß, das dicke Ende kommt nach der Wahl“, sagte SPD-Chef Sigmar Gabriel. Er forderte, Griechenlands Reiche stärker zur Kasse zu bitten. Stattdessen bereite die Kanzlerin „heimlich einen zweiten Schuldenschnitt“ vor, der „sehr gefährlich“ werden könne.

Keine Rettung aus eigener Kraft

Im Frühjahr 2012 haben die privaten Gläubiger Athens auf etwa 100Milliarden Euro (knapp mehr als die Hälfte ihrer Ansprüche) verzichtet. Diesmal würde ein Schuldenerlass aber die Eurostaaten direkt belasten, da sie (gemeinsam mit der EZB und dem IWF) die meisten Forderungen gegenüber Griechenland haben.

Dass sich das Land allerdings ohne Schuldenschnitt (oder Euro-Austritt) überhaupt noch aus seiner schwierigen Lage befreien kann, ist unwahrscheinlich. Mit den beiden ersten Rettungsprogrammen haben die EU-Länder bereits 237 Milliarden Euro an Hilfen für Griechenland zugesagt. Solange die Wirtschaftsleistung des Landes aber weiter sinkt, treibt jeder Euro aus diesen Hilfskrediten die Schuldenquote des Landes nur weiter nach oben.

Heuer dürfte sich die Quote bei 175 Prozent der Wirtschaftsleistung einpendeln. Ein Niveau, bei dem eine Rettung aus eigener Kraft de facto unmöglich ist.

Schuldenschnitt „unvermeidbar“

Diese Ansicht vertritt auch Jürgen Stark, der frühere Chefvolkswirt der EZB. „Angesichts fortbestehender ökonomischer und politischer Risken ist die wirtschaftliche Schuldentragfähigkeit meines Erachtens nicht gewährleistet.“, sagte er. „Allein die Finanzierungslücke im Haushalt 2014 von über zehn Milliarden Euro wird zusätzliches Geld insbesondere der europäischen Partner erfordern.“

Das würde den Schuldenstand des Landes weiter erhöhen. Ein weiterer Schuldenschnitt sei damit in seinen Augen „unvermeidbar“.

Auf einen Blick

Angela Merkel warnt vor einem weiteren Schuldenschnitt für das kriselnde Griechenland. Ihr Parteikollege Günther Oettinger hat tags zuvor gesagt, das Land brauche mindestens zehn Milliarden Euro an zusätzlicher Hilfe, und auch ein Schuldenerlass für Hellas sei nicht undenkbar. Damit konterkariert der EU-Kommissar Merkels Wahlkampftaktik. Die Kanzlerin war bisher bemüht, das unangenehme, weil teure Thema vor den Wahlen nicht zu streifen.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 26.08.2013)

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