Gastkommentar

Die Nato und der „Orbán-Exit“

Petzer Kufner
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Warum die Nato Putin anbieten sollte, sich aus einem ehemals kommu­nistischen Land Osteuropas zurückzuziehen: aus Orbáns Ungarn.

Seit dem Treffen im saudiarabischen Dschidda Anfang August haben sich die Gespräche über einen Verhandlungsfrieden zur Beendigung des Krieges in der Ukraine intensiviert. Allerdings sind Russland und die Ukraine bei der Suche nach einem tragfähigen Kompromiss weit voneinander entfernt. Zu den russischen Bedingungen für einen Frieden, wie sie die Sprecherin des Außenministeriums, Maria Sacharowa, auf der Website ihres Ministeriums auflistet, gehören folgende Forderungen:

1. Der Westen muss die Waffenlieferungen an die Ukraine einstellen.

2. Die Ukraine muss entwaffnet und entmilitarisiert werden, nicht nuklear und nicht alliiert sein.

3. Die russische Annexion von fünf ukrainischen Regionen, die der Ukraine den Zugang zum Asowschen Meer verwehrt, muss anerkannt werden.

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Keine dieser Bedingungen ist für Kiew akzeptabel. Abgesehen von Gebiets- und Bevölke­rungs­verlusten würde die Ukraine damit wieder zu einer russischen Kolonie werden, so wie sie es jahrhundertelang vor dem Zusammenbruch der Sowjetunion gewesen ist. Und sollte sich die Ukraine fortan weigern, ihren Herren in Moskau zu gehorchen, hätte sie dann kein eigenes Militär und keine eigenen Waffen mehr, um einer künftigen russischen Invasion zu widerstehen.

So unrealistisch diese russischen Bedingungen sind, stellen sie zu allem Überfluss einen Rückschritt gegenüber dem Ultimatum dar, das Putin im Dezember 2021, zwei Monate vor Beginn seiner großangelegten Invasion der Ukraine, gestellt hatte. Das Ultimatum war an die USA gerichtet. Der Kreml verlangte, dass die Nato auf den Stand von 1997 zurückgeführt wird – also auf eine Zeit, bevor die ehemals kommuni­stischen Staaten Osteuropas und die drei baltischen Staaten dem Verteidigungsbündnis beitraten. Ende 2021 rechnete Putin fest damit, die Ukraine innerhalb weniger Wochen einnehmen zu können. Und die Welt fürchtete damals auch noch seine vermeintlich hocheffiziente Armee. Jetzt nicht mehr.

Nach anderthalb Jahren Krieg, den die Russen in der Ukraine auf grausame Weise geführt haben, ­haben die russischen Streitkräfte hinreichend bewiesen, dass sie schlecht geführt und schlecht ausgerüstet sind und im Großen und Ganzen eher eine unorganisierte Horde als eine moderne Streitmacht darstellen.

Mini-Putin heim zu Putin schicken

Dennoch sollte die Nato Putins altes Ultimatum aufgreifen – und als Geste des guten Willens westlicherseits Moskau ein Angebot machen. Sie sollte Putin anbieten, sich aus einem ehemals kommunistischen Land in Osteuropa zurückzuziehen, und zwar aus Ungarn. Denn Viktor Orbán agiert seit Langem als eine Art dick gewordener ­Mini-Putin. So hat er eine Kleptokratie à la Putin errichtet, in der der enge Kreis seiner Gefolgsleute reichlich belohnt wird – mit Vorliebe mit EU-Geldern.

Zur Sicherung der eigenen Machtposition hat Orban außerdem den latenten Antisemitismus und Anti-Roma-Rassismus seiner Lands­leute instrumentalisiert.

Auf den ersten Blick sollte sich Orbán über den Austritt aus dem westlichen Bündnis und die Rückkehr zum alten Warschauer Pakt freuen. Der eigentliche politische Zweck dieses Schrittes ist freilich ein ganz anderer.

Denn allein schon das Angebot, Ungarn an Putin zurückzugeben, sollte die vielen leicht­gläubigen Orbán-Unterstützer unter den Ungarn aufwecken. Immerhin zelebriert Orbán selbst den ungarischen Aufstand 1956 gegen den Kommunismus, der in den Straßen Budapests von sowjetischen Panzern niedergewalzt wurde.

Damals wurden junge idealistische Studenten, die an der Revolution teilgenommen hatten, massenweise gefoltert und hingerichtet. Ein kurzer Besuch im Haus des Terrors, dem damaligen Sitz der sowjetischen Geheim­polizei, vermittelt diese Geschichte auf eindringliche Weise.

Der Schlächter von Budapest

An der Außenfassade des Gebäudes, das an einer der Hauptstraßen Budapests, der Andrassy-Allee, liegt und zuvor als Gestapo-Hauptquartier gedient hat, sind Hunderte von Schwarz-Weiß-Fotos mit den Gesichtern der zu dieser Zeit von den Sowjets getöteten Ungarn angebracht, die ein anschauliches Bild des Mordens im russischen Stil vermitteln.

All dies geschah unter der Aufsicht des damaligen sowjetischen Botschafters in Ungarn, Juri Andropow. Nicht zuletzt aufgrund seiner „Heldentaten“ in Ungarn (die Ungarn hingegen gaben ihm den Spitznamen „Schlächter von Budapest“) wurde Andropow 1967 zum Chef des KGB ernannt. Von diesem Posten aus stieg er 1982 zum Generalsekretär der Kommuni­sti­schen Partei der Sowjetunion und damit zum Herrscher der Sowjetunion auf.

Und – so schließt sich der Kreis russischer Menschenverachtung und Meuchelmöderei – natürlich war Andropow, der Schlächter von Budapest, der oberste Vorgesetzte eines jungen KGB-Rekruten namens Wowa Putin, der heute als der Schlächter von Butscha bekannt ist.

Gerade vor dem Hintergrund der heutzutage weitgehend verschütteten, im Rückblick sehr beeindruckenden Geschichte antikommunistischen Mutes junger Ungarn und Ungarinnen vor knapp siebzig Jahren ist es kaum erklärlich, zu welchem Mitläufertum viele Ungarn von heute übergegangen sind.

Anlass zum Nachdenken

Für die Zukunft Ungarns, ob als Land, als EU- oder als Nato-Mitglied, ist es von entscheiden­der Bedeutung, ob die Ungarn wieder an diese beeindruckende Geschichte anknüpfen können.

Anlass zum Nachdenken sollte ihnen auch die Tatsache geben, dass ihr Mitläufertum mit dem Scharlatan Orbán im Nachbarland Polen auf großes Missfallen stößt. Selbst unter der PiS-Regierung, die unter demokratischen Gesichtspunkten wegen ihrer demagogischen Instinkte eher aufstößt, ist wenigstens klar, dass man gegen Putin – und dementsprechend mit der Ukraine – stehen muss. Insofern ist den Polen in beiden politischen Lagern des Landes sehr bewusst, dass die Ungarn mit Orbáns Putin-Liebe ihren eigenen Anteil an der osteuropäischen Geschichte der Befreiung vom kommunistischen Joch verraten.

Putins Kumpel oder Nato

Mit der Konzession seitens der ­Nato, Orbáns Ungarn Putin an­zudienen, müsste Viktor Orbán, der ewige egoistische Wendehals und grenzenlose Selbstverherrlicher, dessen abgrundtiefer Zynismus obendrein mit hohen Subventionen aus Brüssel belohnt wird, zwischen seinem unerträglichen Doppelstatus als Putins Kumpel und Nato-Mitglied wählen.

Auf diese Weise würde Orbán durch die Nato bloßgestellt und, so ist zu hoffen, sich endlich eines Besseren besinnen und verlässlich in den Schoß des Westens zurückkehren. Und wenn er das nicht tut – nun, dann sollten die ungarischen Wähler ihn sofort zum Teufel jagen.

E-Mails an: debatte@diepresse.com

„Die Presse“, Print-Ausgabe 7. September 2023

Die Autoren

Stephan-Götz Richter (*1959) ist Direktor des Global Ideas Center und Herausgeber von The Globalist, des von ihm gegründeten Online-Magazins für globale Ökonomie, Politik und Kultur, und schreibt regelmäßig für „FAZ“, „Handelsblatt“, „NZZ“, „Cicero“.

Alexei Bayer ist dort Senior Editor.
www.theglobalist.com

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