TV: Der Triumph der Politik im Zeitalter des Zynismus

Triumph Politik Zeitalter Zynismus
Triumph Politik Zeitalter Zynismus(c) REUTERS (STEPHEN CHERNIN)
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Trotz der Rückkehr von Stars wie Michael J. Fox und Robin Williams auf die Mattscheibe bleibt das Politische die ergiebigste Quelle für die interessantesten Produktionen.

Hier ist die schlechte Nachricht für amerikanische Politiker: Im echten Leben sind sie laut einer Umfrage von Public Policy Polling unbeliebter als Kopfläuse, Wurzelbehandlungen und Dschingis Khan (der Mongolenführer, nicht die Popgruppe).

Und hier die gute Nachricht: In der Fantasiewelt des Fernsehens können die Amerikaner nicht genug von den Umtrieben im Kongress, im Weißen Haus und in den Lobbyistenbüros dazwischen bekommen. Politische Serien fesseln das Publikum seit Jahren, erzeugen eine süchtige Anhängerschaft, deren Loyalität bisweilen ins Religiöse kippt: „Habe soeben die gesamte Staffel in zwei Tagen gesehen. Bin jetzt besoffen von politischer Korruption. Was tun?“, tat eine Anhängerin der Serie „House of Cards“ über den diabolischen Kongressabgeordneten Frank Underwood (gespielt von Kevin Spacey) ihre Seelennot auf Twitter kund.

Das schlägt sich in der Anerkennung der Branche nieder. Für die Emmys, die heute, Sonntag, verliehen werden, ist „House of Cards“ in sieben Kategorien nominiert (in zwei vorab entschiedenen Nebenkategorien hat es bereits gewonnen). Die Serie „The Good Wife“ (lose basierend auf dem Sexskandal des früheren New Yorker Gouverneurs Eliot Spitzer) hat gar Chancen auf zehn Emmys (ebenfalls zwei hat sie schon in Nebenkategorien kassiert). Kerry Washington wiederum könnte für ihre Rolle als frühere Präsidentensprecherin und nunmehrige PR-Beraterin in „Scandal“ den Preis für die beste Hauptdarstellerin erhalten.

Gewiss wird im heurigen Herbst die Rückkehr der Stars Robin Williams und Michael J. Fox ins Fernsehgeschäft und in klassische Sitcoms mit großem Interesse verfolgt. „The Crazy Ones“, in der Williams einen Werbeagenturbetreiber spielt, und „The Michael J. Fox Show“, in der Fox mehr oder weniger autobiografisch sein Parkinson-Leiden auf den Bildschirm bringt, dürften beim Publikum ankommen, ohne politische Themen durchzudeklinieren.

Doch das ist nicht typisch für den Trend im amerikanischen Unterhaltungsfernsehen. Als Bürger rümpft man über die parteipolitische Blockade im Washingtoner Kongress die Nase und blickt mit Abscheu auf das milliardenschwere Geschäft der lobbyistischen Einflussnahme auf die Staatsgeschäfte. Als Fernsehzuschauer hingegen kann man von der dramatisierten Fassung dieser Geschehnisse nicht genug bekommen.


Wie es mit Clinton begann. Die Erklärung für diese widersprüchliche Haltung beginnt vor 21 Jahren mit der Wahl von Bill Clinton zum 42. Präsidenten. Zeitgleich etablierte sich in Amerika das Kabelfernsehen – und mit dem Kabelfernsehen die Nachrichtenprogamme. Sie stehen bis heute vor der Herausforderung, 24 Stunden pro Tag mit Nachrichten zu füllen.

Doch nur selten bricht ein Krieg aus oder fesselt eine Geiselnahme das Publikum. Politische Talkshows füllten mehr und mehr Stunden, in denen nichts Aufregendes passierte. Diese Shows mussten mit unterhaltsamen und angriffigen Teilnehmern gefüllt werden. „Punditry“, das Geschäft ehemaliger politischer Funktionäre mit der schnellen Einschätzung und dem flapsigen Kommentar, wurde zu einem ebenso hoch bezahlten wie selbstbezüglichen Metier. Politische Kulissenschieber, die früher in der Anonymität der Senatorenbüros oder Parteisekretariate werkten, waren plötzlich Stars. Wenn etwa CNN nach der jüngsten Präsidentenwahl zur besten Sendezeit nichts Besseres zu tun hatte, als live zu übertragen, wie sich Barack Obamas Wahlstratege David Axelrod nach verlorener Wette den Schnauzbart rasieren ließ, kann man erahnen, wie groß die Not der Nachrichtensender sein muss, die Politik zu trivialisieren.

Eine Paradoxie war geboren: Je weniger in Amerika inhaltlich entschieden wird, weil sich Linke und Rechte gegenseitig blockieren, desto reizvoller wird für politisch interessierte Menschen der Blick in den Maschinenraum der Mächtigen.

Das begann zum Ende der Clinton-Ära mit „The West Wing“, der phänomenalen Dramatisierung des Treibens im Weißen Haus eines demokratischen Präsidenten, verkörpert von Martin Sheen. Doch im Lauf der Bush-Jahre mit seinen beiden nahöstlichen Kriegen und der illegalen Überwachung der Bürger durch die Geheimdienste versickerte der bisweilen ziemlich blauäugige Optimismus, der „The West Wing“ durchzogen hatte.


Unterhaltsam dreckig. Die neuen Hits wie „House of Cards“, „Scandal“ und „The Good Wife“ triefen vor Zynismus. Politik ist ein dreckiges Spiel, aber es ist höchst unterhaltsam anzuschauen: Das musste sich neulich auch Mark Leibovich eingestehen, der Chef des „New York Times Magazine“ und einer der scharfsichtigsten Beobachter des Washingtoner Politiker-Zirkus. „Ich ertappe mich dabei, Underwood die Daumen zu drücken“, sagte er Ende August bei einer Diskussion mit dem Erfinder und den Hauptdarstellern von „House of Cards“. Besagter Frank Underwood ist ein ruchloser Mensch, den nur das Streben nach Macht in seiner erkalteten Ehe mit einer von Robin Wright ebenso gewissenlos dargestellten Karrierefrau hält. „Ich denke, dass die Underwoods argumentieren, dass der Zweck die Mittel heiligt“, sagte der Drehbuchautor Beau Willimon bei derselben Debatte. Schon einmal hatte er so einen attraktiv-bösen Politiker filmisch zum Leben gebracht: Im Spielfilm „The Ides of March“ gab George Clooney 2011 einen Präsidentschaftskandidaten, der nach außen hin ebenso progressiv auftritt, wie er im Geheimen grausam ist.

Sehr einträglich war dieser Versuch, den politischen Film nach Hollywood zurückzubringen, nicht. 2007 schon floppte Robert Redfords „Lions for Lambs“, eine moralische Befassung mit den jüngsten Kriegen der USA.

Die kaufmännischen Zwangslagen Hollywoods, das sich zusehends nur mehr sündhaft teure Action-Spektakel für adoleszente Burschen zutraut, berühren das Kabelfernsehen jedoch viel weniger – und die datengestützte Programmierung von Abonnementsendern wie Netflix schon gar nicht. Sie haben viel geringere Produktionskosten und kennen zudem die Vorlieben ihrer Kunden genau. Netflix wusste somit schon vor dem Start von „House of Cards“, dass es zwischen den Fans von Regisseur David Fincher, des Schauspielers Kevin Spacey und der britischen Serie „House of Cards“ eine große Schnittmenge geben muss. Anfang 2014 läuft die zweite Staffel an.

Die Ära der fiktiven politischen Dramen wird anhalten, solange das wahre politische Drama Amerikas nicht endet. Und das ist nicht abzusehen, meint Kevin Spacey: „Sobald man die Nachrichten mit der Unterhaltung konkurrieren lässt, ändert das den Stil, wie Journalisten berichten.“

Serienherbst in Österreich

Borgias: Ab 25.9. läuft die zweite Staffel der europäischen Ko-Produktion über die machtgierige Adelsfamilie (u.a. mit Manuel Rubey) auf ORF 2 (20.15 Uhr) in Doppelfolge.

Mad Men: Ab morgen, Montag, zeigt der Pay-TV-Sender Fox HD die sechste Staffel der Werberserie, die mittlerweile in den 1970er-Jahren angekommen ist (20.15 Uhr).

Borgen: Am 3. 10. startet die dritte Staffel der dänischen Politserie rund um Staatschefin Birgitte Nyborg. Zehn Folgen auf Arte (ab 21 Uhr).

Neues: Neben neuen Staffeln von älteren Serien wie „Two and a Half Men“, „Revenge“ oder „Grey's Anatomy“ zeigt der ORF neue Serienware: Am 2. 10. startet die FBI-Agentenserie The Following mit Kevin Bacon in der Hauptrolle. Die Vorgeschichte des Serienkillers aus „American Psycho“ erzählt Bates Motel (2013, US); Weiters angekündigt: eine neue Anwaltsserie namens Franklin & Bash (2001, US); die ABC-Sitcom Last Man Standing mit Tim Allen in der Hauptrolle (2011, US); das US-Remake der BBC-Serie Mistresses mit Aliyssa Milano (2013, US); die Comedy The New Normal über ein Schwulenpärchen mit Babywunsch (2012, US); empfehlenswert ist die US-Version (Showtime) der Serie Shameless mit William H. Macy („Fargo“) und Joan Cusack über das Alltags-
chaos eines frustrierten Vaters von sechs Kindern.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 22.09.2013)

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