Ägypten: Justiz verbietet Muslimbruderschaft

Justiz verbietet Muslimbruderschaft
Justiz verbietet Muslimbruderschaft(c) EPA (KHALED ELFIQI)
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Ein Gericht untersagte den Islamisten am Montag jedwede Tätigkeit und ordnete die Beschlagnahmung ihrer Gelder an. Nun droht eine weitere Eskalation der Gewalt.

Kairo. Seit dem Sturz von Präsident Mohammed Mursi durch die Armee setzen Justiz, Polizei und Militär in Ägypten auf Härte gegen die Muslimbruderschaft. Doch nun ist das Regime einen großen Schritt weiter gegangen: Am Montag verbot ein Kairoer Gericht die gesamte Organisation der Islamisten und konfiszierte ihr Vermögen.

Das stellt eine weitere dramatische Eskalation in dem innerägyptischen Machtkampf zwischen dem säkularen und dem islamistischen Lager dar. Allein in der ägyptischen Hauptstadt wurden in den vergangenen Wochen mehr als 3000 Menschen festgenommen, darunter Frauen und Minderjährige, denen nach Angaben der Menschenrechtsorganisation Amnesty International in der Haft grundlegendste Rechte verweigert werden.

Vom abgesetzten Präsidenten Mohammed Mursi fehlt seit Anfang Juli jede Spur. Angeblich sollen seine Bewacher ihm letzte Woche zum ersten Mal zwei Telefonate mit seiner Familie gestattet haben.

Neben Mursi sitzt mittlerweile auch die gesamte obere und mittlere Führungsebene der Muslimbruderschaft hinter Gittern, auch der Führer der Organisation, Mohamed Badie. Der 70-Jährige wurde nach Angaben seines Anwalts zu Beginn der Haft misshandelt und ihm ein Teil seiner Zähne ausgeschlagen. Gegen alle Spitzenvertreter der Islamisten ermittelt die Staatsanwaltschaft wegen Aufruf zu Gewalt und Mord, Gefangenenbefreiung, Spionage sowie Beleidigung der Justiz. Der erste Prozesstag ist für Ende Oktober angesetzt.

Vermögen beschlagnahmt

Der Gerichtsbeschluss, den der Vorsitzende Richter Mohammed al-Sayed am Montag verkündete, „untersagt alle Aktivitäten der Organisation der Muslimbrüder und ihrer Nichtregierungsorganisation sowie alle Aktivitäten von Organisationen, die aus dieser hervorgegangen sind“.

Das gesamte Vermögen der Islamisten stellte das Gericht unter die treuhänderische Verwaltung einer Regierungskommission. Die Justiz war auf Antrag der Tagammu-Partei tätig geworden, die sich als sozialistische Partei in der Tradition von Ex-Staatschef Gamal Abdel Nasser versteht. Gegen das Urteil ist Berufung möglich, es ist noch nicht rechtskräftig.

Die Muslimbruderschaft war in Ägypten praktisch die gesamte Zeit ihrer 85-jährigen Existenz verboten und illegal. Erst im Frühjahr 2011, nach dem Sturz von Machthaber Hosni Mubarak, konnte sie sich erstmals als Nichtregierungsorganisation offiziell registrieren lassen. Gleichzeitig gründete sie mit der Partei für Freiheit und Gerechtigkeit einen eigenen politischen Arm, der offenbar auch von dem Aktivitätsverbot betroffen ist.

Bei der ersten demokratischen Parlamentswahl in der Geschichte Ägyptens Ende 2011 und Anfang 2012 errang die Partei der Muslimbrüder 37,7 Prozent der Stimmen und 213 Sitze. Die sozialistische Tagammu-Partei dagegen kam nur auf knapp ein Prozent der Stimmen und vier Sitze.

Attentate auf Polizisten

Seit die Sicherheitskräfte am 14.August die beiden Protestcamps der Muslimbrüder in Nasr City und Dokki mit massiver Gewalt aufgelöst haben, herrscht in Ägypten wieder der Ausnahmezustand mit einer nächtlichen Ausgangssperre, die erst kürzlich bis Mitte November verlängert wurde. Mehr als 600 Demonstranten starben bei dem Massaker, die meisten durch gezielte Schüsse von Scharfschützen. Die Menschenrechtsorganisation Human Rights Watch sprach von dem „schlimmsten Ereignis ungesetzlicher Massentötungen in der modernen Geschichte Ägyptens“ und warf den Einsatzkräften vor, die simpelsten internationalen Polizeistandards missachtet zu haben. Interim-Vizepräsident Mohammed ElBaradei trat aus Protest gegen das brutale Vorgehen der Polizei zurück und floh wenige Tage später aus Ägypten nach Österreich.

Dennoch versammeln sich Anhänger der Muslimbrüder nach wie vor jeden Freitag zu Demonstrationen, auch wenn die Zahl der Teilnehmer deutlich geringer geworden ist. Gleichzeitig wächst die Zahl der Attentate auf Polizisten. Innenminister Mohammed Ibrahim entging vor drei Wochen nur knapp einem Bombenanschlag.

Erst in der vergangenen Woche eroberten Armee und Polizei mit Dalga nahe dem oberägyptischen Minia und Kerdasaah nahe den Pyramiden in Giza zwei Kleinstädte zurück, die komplett unter die Kontrolle radikaler Islamisten geraten waren.

AUF EINEN BLICK

Die Muslimbruderschaft, aus derder gestürzte Präsident Mohammed Mursi stammt, ist in Ägypten seit Montag de facto eine verbotene Organisation. Ein Gericht untersagte den Islamisten jedwede Tätigkeit und ordnete die Beschlagnahmung ihrer Gelder an. Das Verbot betrifft laut Gericht sämtliche Aktivitäten der Muslimbrüder, deren Partei aus den ersten freien Wahlen im bevölkerungsreichsten arabischen Land als stärkste Kraft hervorgegangen war. Die Armee hatte Mursi im Juli nach massiven Protesten seiner Gegner abgesetzt und inhaftiert.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 24.09.2013)

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