Erziehung: Das neue Wiener Höflichkeitsmantra

ANTI-HUNDEKOT-KAMPAGNE IN WIEN
ANTI-HUNDEKOT-KAMPAGNE IN WIENAPA
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Essen in der U-Bahn, Hundekot auf der Straße und Rücksichtslosigkeit im Verkehr – mit zahlreichen Kampagnen bringt Wien seinen Bewohnern bei, wie man sich benehmen sollte.

Wien. Irgendwann am Samstag, spätestens am Sonntag, wird es so weit sein. Dann werden sich Jenny, Jacky und Monika ihre Kaugummis im Fundbüro der Wiener Linien abgeholt haben. Und sechs andere ihre Zeitungen, Bananenschalen, Dosen, Pommes und Taschentücher. Die Wiener Linien werden dann ihre Rücksichtskampagne beendet haben. Drei Wochen voller Iss-nichts-in-der-U-Bahn-Plakate, Lass-deine-Zeitung-nicht-liegen-Sager und eines ästhetisch zweifelhaften Kinospots: Bitte keine Nägel in der U-Bahn klippen. (Macht das wirklich jemand?)

Die Kampagne „Rücksicht hat Vorfahrt“ der Wiener Linien ist nur eine von vielen, die in jüngster Zeit die Wiener Bevölkerung zu mehr Rücksicht erziehen sollte. Fast scheint es, als hätte sich ein regelrechtes Höflicheitsmantra in der Stadt breitgemacht. Angefangen von der Hundekot-Kampagne „Nimm ein Sackerl für mein Gackerl“ über die „Tschuldigen“-Kampagne für mehr Rücksicht im Straßenverkehr bis zur „Wiener Charta“ für ein besseres Zusammenleben, wird dem Bürger beigebracht, wie er sich zu verhalten hat: umsichtig, in gemäßigtem Ton und immer um sich schauend, ob er jemanden stören könnte.

Und diese Strategie könnte aufgehen. „In einem freundlichen Ton erreicht man Menschen besser, weil es eben auch eine gewisse Abneigung gegen Verbote gibt“, sagt etwa Hannes Haas, Medienexperte am Wiener Publizistikinstitut. Und abgesehen davon können derartige Kampagnen auch dabei helfen, dass sich ein nicht gewünschtes Verhalten einschleift – das nachher schwierig zu ändern ist.

International gesehen steht Wien mit dieser Herangehensweise aber nicht allein da. Es ist zum Trend geworden, nett zu sein. In Portugal wird mit Plakaten und eigenen Mülltrupps aufgefordert, die Strände sauber zu halten. Und London erklärt den Besuchern des Hyde Parks mit witzigen Schildern, wie sie sich verhalten sollen.

Wie den Nutzen messen?

Gut und schön, manchmal sogar witzig – aber ob solche Kampagnen einen Nutzen haben, ist freilich nur zu messen, wenn man sich vorher (überprüfbare) Ziele gesteckt hat. Die Wiener Linien berichten etwa, dass die Müllmengen schon etwas geringer geworden sind. Alles andere lasse sich schwer sagen.

Denn während Themen wie „kein Essen“ und „weniger Lärm“ in der Kampagne im Vordergrund standen, mussten die Wiener-Linien-Mitarbeiter die Fahrgäste am meisten darauf hinweisen, dass Hunde ohne Beißkorb und Leine nicht mitfahren sollten, und Radfahrer, dass sie das Rad zur falschen Zeit mitnahmen. Und auf das Rauchverbot, erzählt Karlheinz Klausner, Chef der Kontrollore der Wiener Linien. Er hat mit seiner 200-Mann-Crew die Leute zum Einhalten der Kampagne aufgefordert – in 5000 Gesprächen, allein in der ersten Woche.

Die Reaktion der Leute sei grundsätzlich positiv gewesen, wenn auch manchmal das Verständnis gefehlt hat: „Wer etwa seine Semmel auseinandergebrochen hat, hat gesagt: ,Ach, die paar Brösel.‘ Aber wenn man alle Brösel an einem Tag sammelt, kann man ein Brot backen“, erzählt Klausner. „Es geht nie um den Einzelfall.“

Strafen hätte es jedenfalls kaum gegeben, nur höfliche Ermahnungen. Wohl eine gute Entscheidung. „Wenn ich selbst höflich bleibe, kann sich das Gegenüber dem irgendwann nicht mehr entziehen“, sagt Medienexperte Haas. Darauf hat wohl auch Vizebürgermeisterin Maria Vassilakou (Grüne) abgezielt, als sie mit „Tschuldigen ist nie verkehrt“ vergangenes Jahr für Fairness und Rücksicht unter Verkehrsteilnehmern warb. Die Kampagne wird heuer noch im Oktober weitergeführt. Dieses Mal geht es aber darum, „rote Ampeln zu beachten“. Ob die Kampagne im Vorjahr etwas bewirkt hat, weiß man freilich auch hier nicht. „Das lässt sich schwer messen“, sagt ein Sprecher. Und wenn, dann erst in ein paar Jahren. Eine Verhaltensänderung brauche eben Zeit.

Im Zweifel hilft die Strafe

Abkürzen kann man das freilich mit Strafen. Die Hundekot-Kampagne der Stadt Wien darf sich wohl zu Recht erfolgreich umgesetzt nennen. „Keine Frage, die Strafen waren wichtig“, sagt Ulrike Volk von der MA48. Aber nur der Mix an Sackerl, Information und Infrastruktur und die Tatsache, dass Waste-Watchers (also die, die strafen) als positiv wahrgenommen wurden, hätten den Erfolg möglich gemacht. Wie Hannes Haas es ausdrückt: Es ändert sich nichts an der Botschaft, sie wird nur in einem höflicheren Ton rübergebracht.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 05.10.2013)

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