Der Friedensnobelpreis geht heuer an die Organisation für das Verbot chemischer Waffen. Deren Inspektoren sollen Syriens Giftgasarsenal vernichten. Begonnen haben sie damit noch nicht.
Oslo. Nicht die 16-jährige Malala Yousafzai, die im Vorfeld meistgenannte Favoritin, auch nicht ein Dissident aus Russland oder Weißrussland, sondern die Organisation für das Verbot chemischer Waffen (OPCW) erhält den diesjährigen Friedensnobelpreis: Das ist eine überraschende Wahl des Nobelkomitees in Oslo. Der Einsatz von Giftgas im Bürgerkrieg in Syrien und die internationalen Reaktionen darauf haben der Preisverleihung besondere Aktualität verliehen, auch wenn der Komiteevorsitzende Thorbjørn Jagland betont, dass die Organisation schon vor dem Massaker von Damaskus für den Friedenspreis nominiert war.
Als Jagland pünktlich um elf Uhr vor die Tür des Festsaals des Nobel-Instituts trat, hatte der Name des Preisträgers schon die Runde gemacht. So ist das häufig, wenn es eine Wahl zu verkünden gibt, die in den Spekulationen der vergangenen Tage keine Rolle spielte. Das Komitee, das aus fünf vom norwegischen Parlament ernannten Mitgliedern besteht, möchte gern allzu große Verblüffung im Journalistenkorps vermeiden, und daher kommt rechtzeitig ein Wink aus Insiderkreisen an ein ausgewähltes Medium.
Rüge für die USA und Russland
Abrüstung sei ein zentraler Punkt im Testament des Preisstifters Alfred Nobel, betonte Jagland, als er die Vergabe begründete. Mehrmals habe man die Arbeit für die Abschaffung von Atomwaffen gewürdigt, diesmal setze man den Bann der chemischen Waffen auf die Tagesordnung. Kritiker, die dem Komitee vorwarfen, den Friedensbegriff über Nobels Willen hinaus ausgeweitet zu haben, als es Menschenrechtsvorkämpfer, Umweltschützer oder Armutsbekämpfer auszeichnete, können die diesjährige Auszeichnung nicht bekritteln: Die Chemiewaffen-Konvention, deren Umsetzung Aufgabe der OPCW ist, gilt als das gelungenste Abrüstungsabkommen weltweit.
189 Länder sind ihm beigetreten, Syrien folgt am Montag als 190., nur Angola, Ägypten, Israel, Burma, Nordkorea und Südsudan sind draußen. 80 Prozent der Bestände an chemischen Waffen sind weltweit schon eliminiert, doch Jagland mahnte, dass der in der Konvention festgelegte Stichtag im April 2012 ablief, ohne dass sämtliche Arsenale unschädlich gemacht seien. „Dies gilt vor allem für die USA und Russland“, betonte Jagland, und das war auch ein Seitenhieb auf US-Präsident Barack Obama, der vor vier Jahren selbst den Friedenspreis erhalten hatte – eine der umstrittensten Entscheidungen der Nobelgeschichte, obwohl Jagland sie auch am Freitag wieder verteidigte.
Friedensweg: Abrüstung statt Krieg
Schon in früheren Jahren habe die OPCW zu den Kandidaten gezählt, sagte Jagland. Doch die Organisation mit ihrem Sitz in Den Haag wäre wohl kaum in die engere Auswahl gekommen, wenn nicht die Giftgasattacken gegen die syrische Zivilbevölkerung das Thema brandaktuell gemacht hätten, als die Nominierungsfrist längst ausgelaufen war. So sind die Nobel-Regeln: Die Vorschläge für Kandidaten müssen bis Ende Jänner in Oslo eingetroffen sein. Dann aber steht es dem Komitee frei, auch spätere Entwicklungen zu berücksichtigen. Nach dem Einsatz des hochgiftigen Sarin-Gases in den Vorstädten von Damaskus hatte Obama Syriens Diktator Assad mit Krieg gedroht. Doch dann einigte sich die Weltgemeinschaft, statt auf einen Militärschlag auf die Erfassung und Vernichtung der Chemiewaffen des Assad-Regimes zu setzen. So kann das Nobelkomitee einen klassischen Friedensweg auszeichnen: Abrüstung statt Krieg. Auch wenn die norwegische Journalistin Sidsel Wold twitterte: „Ein guter Preis. Aber die meisten Syrer werden mit konventionellen Waffen umgebracht.“
Es sei nicht schwer gewesen, sich auf den diesjährigen Gewinner zu einigen, sagte Jagland, obwohl es den ungeschriebenen Regeln widerspricht, ein Jahr nach der EU nun erneut eine Organisation auszuzeichnen. Spektakuläre Einzelpersonen lassen sich besser als Nobelpreisträger vermarkten. Die diesjährige Feierstunde am 10. Dezember, bei der die OPCW den mit umgerechnet 920.000 Euro dotierten Preis entgegennimmt, wird wohl ohne Proteste, aber auch ohne große internationale Anteilnahme stattfinden.
("Die Presse", Print-Ausgabe, 12.10.2013)