Willi Lemke: "Entzug der WM wäre letzte Option"

Willi Lemke Entzug waere
Willi Lemke Entzug waere(c) Reuters (Michael Leckel)
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Willi Lemke, UN-Sonderberater für Sport, über die Fußball-WM in Katar, weltweite Dopinggesetze, die "Wahnsinnssummen" im Fußball und die Dominanz von Bayern München.

Die Presse: War es ein Fehler, die Fußball-WM 2022 nach Katar zu vergeben, nach den Kalamitäten um Hitze und den sklavenähnlichen Arbeitsbedingungen asiatischer Gastarbeiter? Muss die FIFA eingreifen?

Willi Lemke: Die Frage nach der Vergabe der FIFA WM 2022 nach Katar wird z. Zt. von der FIFA aufgearbeitet. Ich bin sehr gespannt auf das Ergebnis. Die schlechten Arbeitsbedingungen im Mittleren Osten sind weitgehend bekannt gewesen. Doch durch die WM 2022 sind sie plötzlich in den Fokus medialer Kritik geraten, was ausdrücklich zu begrüßen ist. Die jetzt erhobenen Vorwürfe werden im Auftrag der Verantwortlichen in Katar von einer angesehenen britischen Kanzlei untersucht. Sollten sie sich bestätigen, muss sichergestellt werden, dass die offenbar vorhandenen rechtlichen Regelungen zum Arbeitnehmerschutz in Katar in Zukunft im Interesse der Beschäftigten auch konsequent umgesetzt werden.

Wäre ein Entzug die letzte Konsequenz?

Falls sich die Vorwürfe bewahrheiten, und keine Verbesserungen veranlasst würden, wäre das meines Erachtens eine letzte Option, die die FIFA erwägen müsste.

Muss man generell die Vergabepraxis von Großereignissen überdenken. Da kommt es ja generell zu Skandalen?

Menschenrechtsverletzungen gibt es leider in ganz vielen Ländern der Welt. Diese müssen auf allen Ebenen aufgedeckt und bekämpft werden. Wir überfordern jedoch den internationalen Sport, wenn wir von den Verbänden erwarten, Lösungen zu finden, die weder der Sicherheitsrat noch die Generalversammlung der Vereinten Nationen umsetzen können.

Andererseits gibt es Politiker, wie zum Beispiel Wladimir Putin in Sotschi, die den sportlichen Rahmen als Plattform nutzen. Kann man dem Einhalt gebieten?

Ich kenne kaum einen Staatsmann auf der Welt, der eine Sportveranstaltung nicht politisch nutzt. Die Fußball-WM in Deutschland ist von allen, von der Wirtschaft und der Politik, genutzt worden, um Deutschland in einem fabelhaften Licht darzustellen. Das ist völlig legitim. Ein weltweites Phänomen.

Was halten Sie von Boykott-Forderungen aus der Politik?

Ein Sportler, der sein Leben lang auf die Teilnahme an Olympischen Spielen hinarbeitet, wird bitter enttäuscht sein, wenn die Politik eine solche Forderung erhebt. Das ist aus sportlicher Sicht absolut abzulehnen, dafür habe ich kein Verständnis.

Stichwort Moral. Kann man dem Doping überhaupt einen Riegel vorschieben?

Das muss man weltweit angehen. Es kann nicht sein, dass Spitzenleute in Europa sich von Kontrolleuren regelrecht verfolgt fühlen, während in anderen Ländern die notwendigen Kontrollen eher nachlässig durchgeführt werden.

Den Doping-Betrügern muss das Handwerk gelegt werden, und zwar weltweit. Die Strafen müssen außerdem so abschreckend sein, dass alle betroffenen Sportler wissen: Mit meiner Sportlerkarriere ist es zu Ende. Und die Hintermänner müssen strafrechtlich verfolgt werden. Ich plädiere deshalb für die Einführung von Dopinggesetzen weltweit. Doping und auch Wettmanipulationen im Sport sind keine Kavaliersdelikte.

Nur befürchte ich, dass diejenigen, die im millionenschweren Sportbusiness manipulieren wollen, sich leider immer irgendwelche Tricks einfallen lassen werden.

In Ihrer Brust schlagen ja zwei Herzen. Einerseits sind Sie UN-Sonderberater, andererseits Aufsichtsratsvorsitzender des Bundesligaklubs Werder Bremen. Einerseits kämpfen sie mit geringen Etats, anderseits mit teils astronomischen Gagen.

Die Bundesliga ist in den letzten Jahrzehnten zu einer Topmarke geworden. Da gibt es tatsächlich Wahnsinnssummen, die bezahlt werden. Im Weltfußball muss man sicherlich überlegen, wie man Fehlentwicklungen im Interesse aller entgegenwirken kann.

Eine Liga, in der ein Club 200 Mio. Euro für Personalkosten ausgeben kann, während einige seiner Ligakonkurrenten nur 20 Mio. dafür ausgeben können, ist langfristig nicht attraktiv.

Hier sollten die Gremien darüber nachdenken, wie man dieser Entwicklung gegensteuern kann, z.B. durch Regelungen wie in den USA üblichen “Salary Cap”.

Als Sonderberater beziehen Sie selbst ein symbolisches Gehalt von einem Dollar. Ist das die Mühe wert? Sie haben bei Amtsantritt gesagt, Sie werden dort hingehen, wo es wehtut. Wo tut es am meisten weh?

Das ist natürlich die bittere Armut. In manchen Slums von Nairobi leben 700.000 Menschen auf engstem Raum, die haben keine Toiletten, keine Duschen. Die wissen morgens beim Aufstehen nicht, ob sie abends etwas zu essen haben. Das schmerzt am meisten. Ich versuche, die vorhandenen Sportprojekte zu fördern und neue zu entwickeln, um die positiven Kräfte des Sports dort zu nutzen, wo es besonders nötig ist.

Was kann man mit einem kleinen Budget ausrichten außer Goodwill-Aktionen?

Man kann nicht die Welt bewegen, aber kleine Schritte setzen. Momentan bemühen wir uns, auf verschiedenen Ebenen Sportgespräche zwischen Nord- und Südkorea anzuregen, um wenigstens in der kleinen Nische des Sports Vertrauen zu schaffen. Wir initiieren Leadership-Camps für junge Männer und Frauen aus Flüchtlingslagern, Slums und Townships, die sich in Sportprojekten für die Ärmsten der Armen einsetzen. In diesem Programm lernen sie, wie sie Sport für Entwicklungs- und Friedensziele noch besser nutzen können und es gibt ihnen neue Perspektiven, um selber aus der Armut heraus zu kommen.

Das Zauberwort heißt Frieden durch Sport. Sehen Sie da Fortschritte in Krisen- und Kriegsgebieten?

Ein kleines Beispiel: Im Norden Kenias habe ich ein tolles Projekt besucht. Seit Jahrzehnten herrschen dort Spannungen zwischen elf verschiedenen ethnischen Gruppen, die oft in Gewalt ausarten. In dieser Krisenregion haben einige intelligente Männer und Frauen die Idee entwickelt, ein Fußballturnier zu veranstalten.

Es bewarben sich elf Mannschaften, jeweils nur besetzt mit den Spielern ihrer Ethnie. Am Ende des Turniers stellten die Organisatoren eine Auswahlmannschaft auf, in die die besten Spieler berufen wurden. Diese Mannschaft durfte später gegen eine Top-Mannschaft aus Nairobi antreten. Im Stolz ihrer Berufung spielten die ethnischen Konflikte nur noch eine untergeordnete Rolle. Als Team wollte man die gegnerische Mannschaft schlagen. So konnten Spannungen und Vorurteile abgebaut werden. Das schafft langfristig Freundschaften und Frieden.

Sie waren immer ein Mann offener Worte – als SPD-Politiker in Bremen, als Fußballmanager bei Werder Bremen. Wie schwierig war es für Sie, sich in der Welt der Diplomatie zurechtzufinden?

Natürlich war das schwierig. Ich bin sicher, dass ich da und dort anecke und dass das Verwunderung hervorruft. Ich war nie auf einer Diplomatenschule. Ich möchte Dinge umsetzen, die Welt im Kleinen verändern. Für mich ist die konkrete Implementierung wichtiger als lange, politische Aushandlungsprozesse, bei denen die Resultate oft nicht sofort ersichtlich sind.

Offenbar hat Sie der Job als UN-Sonderberater für das Amt des Präsidenten des Deutschen Olympischen Sportbunds qualifiziert? Wäre das eine reizvolle Aufgabe?

Ich weiß, dass mein Name im Gespräch ist. Es gebührt sich aber für mich nicht, öffentlich dazu Stellung zu beziehen.

Blutet Ihnen das Herz, wenn Sie den Absturz Werder Bremens in die Mittelmäßigkeit der Bundesliga verfolgen?

Klar, das lässt niemanden kalt. Das ist wie im Leben: Du hast nicht immer Sonnenschein. Wir sind im Augenblick dabei, uns wieder zu berappeln. Das geht nur, wenn wir wieder an die alten Tugenden anknüpfen: mit geringen Mitteln, schlauen Entscheidungen, Kontinuität und Zusammenhalt! Wir sind jetzt dabei, uns zu konsolidieren.

Die Dominanz von Bayern München und Dortmund in der Bundesliga ist so groß, dass sie mittlerweile in einer eigenen Liga spielen. Wie kann man da noch mithalten?

Wir müssen eigene Wege beschreiten. Erstens durch eine sehr gute Jugendarbeit. Das gibt eine starke Motivation bei den Jungen. Und wir müssen uns genau ansehen, wen wir verpflichten. Da waren in der Vergangenheit Engagements dabei, mit denen wir ganz unglücklich waren. Wir werden nicht weiter im unteren Mittelfeld herumkrebsen, dafür sind die Bedingungen in Bremen viel zu gut. Wir haben Kontinuität, Vertrauen, eine familiäre Atmosphäre. Ob wir es jemals schaffen werden, den Bayern wieder Paroli zu bieten, weiß ich allerdings nicht. Die wirtschaftliche Schere klafft inzwischen so weit auseinander, dass keine Chancengleichheit mehr besteht. Da fährt der eine mit dem Rennrad gegen den anderen, der im Porsche sitzt. Da kannst Du nur gewinnen, wenn der Porsche mal einen Platten hat. Das passiert aber relativ selten!

Wie halten Sie das ständige Pendeln zwischen Erster und Dritter Welt aus?

Körperlich bin ich fit wie ein Turnschuh. Seelisch ist das schwieriger. In den Slums oder wie jüngst in den Favelas in Rio bin ich jedes Mal erschüttert. Und ich bin glücklich, wenn ich wieder zu Hause lande. Wir leben hier in Mitteleuropa wie im Paradies. Das habe ich vorher nicht geahnt, das weiß ich erst seit fünf Jahren.

Vermissen Sie die Politik manchmal?

Überhaupt nicht. Ich mache jetzt etwas sehr Konkretes, etwas sehr Globales. Das hat meinen eigenen Horizont ohne Frage vergrößert. Wenn ich ein Jugendprojekt organisieren möchte, bin ich nicht abhängig von Parteitagsbeschlüssen oder Ortsvereinen, in denen ich mich rechtfertigen muss. Wenn ich es schaffe, ein paar Schicksale positiv zu verändern; wenn ich es schaffe, Menschen, die über Krieg und Frieden entscheiden, den Sport in ihre Strategien miteinzubeziehen – dann ist dies sehr, sehr befriedigend.

Zur Person

Willi Lemke war 18 Jahre lang Manager bei Werder Bremen (Spitzname „Werder-Willi“, bis heute Aufsichtsratsvorsitzender). 1999 Wechsel in die Politik und SPD-Senator in Bremen, zunächst zuständig für Bildung und Wissenschaft, später für Inneres und Sport. 2008 von UN-Generalsekretär Ban Ki-moon zum Sonderberater für Sport im Dienste von Frieden und Entwicklung ernannt.

Mittwoch und Donnerstag findet im Schloss Schönbrunn der 20. NPO-Kongress (Motto: Anders denken und handeln) statt. Einer der Referenten ist Willi Lemke. Nähere Infos unter: www.controller-institut.at

("Die Presse", Print-Ausgabe, 15.10.2013)

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