Pop

Der Erdäpfel-Blues für die ganze Welt

Jazzkonzert
Jazzkonzert(c) APA/GEORG HOCHMUTH (GEORG HOCHMUTH)
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Österreichs Jazzer waren stets international ausgerichtet – und zeigten doch gern ihre Liebe zu Regionalismen.

Wie Jazzhistoriker Klaus Schulz in seinem Buch „Steffl Swing“ feststellt, schmückten sich Wiener Lokale schon ab 1921 mit Jazzmusikern. In Etablissements wie dem Tabarin und dem Schwarzenberg-Casino tanzte man die exotischen neuen Tänze zu den Klängen von original amerikanischen Jazzbands. Erste Jazzkritiken im „Illustrierten Wiener Extrablatt“ konstatierten, dass amerikanische Trommelkapellen in verschiedenen Vergnügungsetablissements ihr Unwesen trieben. Fazit: „Musik war es sicher nicht, was diese Herren boten. Aber es ging die Sage, das sei hochmodern.“

Bald veranstaltete das Konzerthaus erste Jazzevents mit Künstlern wie Teddy Sinclair & The Savoy Orpheans. Das Johann-Strauss-Theater bot gar Josephine Baker im legendären Bananenröckchen. Veranstaltungen dieser Art sorgten in nationalistisch denkenden Kreisen für Entsetzen. Die „Deutschösterrreichische Tages-Zeitung“ vom 3. Februar 1928 schrieb: „Die Staatsoper züchtet entartete Negertänze. Das Negerweib Josephine Baker verhöhnt das deutsche Wien.“ Jazz zu lieben war schon sehr früh ein politisches Statement gegen Nationalismus. Die Revoluzzer unter der Jugend waren die proletarischen „Schlurfs“ und die mittelständischen „Swings“. Sie wehrten sich gegen die zunehmende Reglementierung des öffentlichen Lebens.

Aus dem Josef wurde ein Joe. Ein Schlurf war auch Hans Koller, der später zum Spitzensaxofonisten der europäischen Szene aufsteigen sollte. Der goldenen Jazzergeneration der Fünfzigerjahre, zu der neben Koller auch Josef Zawinul, Fatty George, Hans Salomon, Roland Kovac, Carl Drewo und (teilweise) Friedrich Gulda zu zählen sind, ging es um den Duft der großen Welt. Mit Feuereifer erarbeitete sie sich das internationale Vokabular des Jazz. Ende der Fünfzigerjahre wurde aus Josef Zawinul ein Joe: Er wanderte nach New York aus, um in den Olymp seiner geliebten Musik aufzusteigen. Dass Zawinul derart durchschlagenden Erfolg bei afroamerikanischen Granden wie Cannonball Adderley hatte, führen viele darauf zurück, dass er musikalisch mit Wienerlied und Zigeunerweisen sozialisiert war, deshalb er Klangfarben einbringen konnte, die für den US-Jazz der frühen Sechzigerjahre neu waren. Mit seinem urigen „Erdapfee Blues“ (sic!) erinnerte er sich 1996 publikumswirksam seiner Wurzeln. Das war lange nach seinen Welterfolgen mit Miles Davis und Weather Report.

„Alpine Aspects“. Auch in Österreich selbst tat sich was. Saxofonist Uzzi Förster versuchte sich 1971 auf seinem legendären Album „Udrilitten“ an einer Fusion von dialektalem Sprachspiel und freier Improvisation. Der Tiroler Vibrafonist Werner Pirchner schuf 1973 die anarchische Liedersammlung „Ein halbes Doppelalbum“. Sie mischte auf wüste Weise heimische Folklore und Jazz mit Witz und Avantgarde. Ermutigt von den Skandinaviern, die schon früh nordische Folklore zur Basis ihrer Improvisationen machten, begannen auch Österreicher damit, heimische Klänge auf ihre Brauchbarkeit im Jazzkontext abzuklopfen. Der Akkordeonist Karl Hodina etwa vermählte ab Beginn der Siebzigerjahre mit viel Charme Wienerlied und Jazz. Der Klagenfurter Saxofonist Wolfgang Puschnig lancierte mit „Alpine Aspects“ 1991 Ähnliches mit den Mitteln der ländlichen Volksmusik. Vor drei Jahren wagte er sich sogar daran, Kärntnerlieder zärtlich zu verjazzen.

Die seidige Musizierweise österreichischer Instrumentalisten war jedenfalls für internationale Stars immer von magischer Anziehungskraft. Frank Zappa nahm den Keyboarder Peter Wolf in seine Band auf; der verstorbene Gentleman des Jazz, der Flumpet-Virtuose Art Farmer, lebte in den Siebzigern und Achtzigern gleich das halbe Jahr in Wien, um möglichst oft mit seinem Freund, dem Pianisten Fritz Pauer, spielen zu können. Jüngstes Beispiel für diese Wertschätzung ist, dass die isländische Avantgarde-Pop-Sirene Björk den Innsbrucker Hang-Spieler Manu Delago in ihre Band holte. Früher trommelte er für Michael Tschuggnall und Nadine Beiler; Jetzt lebt er in London und musiziert außer mit Björk noch mit Bugge Wesseltoft und Didier Lockwood. Auch den heutigen Jazzer zieht es trotz Aussöhnung mit heimischem Melodienzierrat hinaus in die Ferne. Abseits der Landsleute lässt es sich oft am schönsten Österreicher sein...

("Die Presse", Print-Ausgabe, 26.10.2013)

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